Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die ARD siegt beim ESC
Mäßiges Zuschauerinteresse an den Ersatzshows – Die eigentlichen Stars sind die Moderatoren
KÖLN/HAMBURG (dpa) - Der Eurovision Song Contest 2020 in Rotterdam fällt aus, aber ARD und ProSieben machen eigene Wettbewerbe, bei denen das auch quotentechnisch gespaltene Publikum seine Favoriten wählen kann.
ARD und ProSieben sendeten am Samstagabend konkurrierende Ersatzwettbewerbe fürs deutsche TVPublikum. Traditionell ist das Finale des Eurovision Song Contest die erfolgreichste TV-Unterhaltungsshow des Jahres. Vergangenes Jahr sahen siebeneinhalb Millionen im Ersten zu. Diesmal verteilten sich die Millionen auf ARD (3,1 Millionen) und ProSieben (2,6 Millionen). Sieger im Quotenrennen der Primetime wurde sogar der ZDF-Samstagskrimi „Herr und Frau Bulle – Abfall“mit 5,5 Millionen.
Das deutsche ESC-Finale im Ersten gewann Litauen mit dem minimalistischen Elektropopsong „On fi- re“der Band The Roop. Bei ProSieben gewann Nico Santos für Spanien mit dem Lied „Like I Love You“den „Free European Song Contest“. Diesen neuen, alternativen Wettbewerb mit eigenen Musikbeiträgen produzierte Altmeister Stefan Raab. Im Ersten lief außerdem nach dem deutschen ESC-Finale zeitversetzt eine zweistündige internationale Ersatzshow des niederländischen Fernsehens, bei der es allerdings kein Voting gab.
Dafür gab es in dieser aus Hilversum bei Amsterdam präsentierten Sendung Ausschnitte aller für den ESC in Rotterdam vorgesehenen Beiträge. Am Ende der europaverbindenden Show, die von Sendern in 45 Ländern übernommen wurde, sangen die nominierten Interpreten gemeinsam, wenngleich – coronabedingt von zu Hause aus – „Love Shine A Light“, den ESC-1997-Siegertitel von Katrina and the Waves.
Sänger Ben Dolic lieferte zuvor im deutschen ESC-Finale der ARD mit Moderatorin Barbara Schöneberger eine Vorstellung davon ab, wie der deutsche Beitrag für die Finalshow in Rotterdam ausgesehen hätte. Mit vier Tänzern und vor großer Leinwand sang der 23-Jährige in der leeren Hamburger Elbphilharmonie „Violent Thing“. Barbara Schöneberger mutierte zur Alleinunterhalterin – das allerdings gekonnt. Zu ihrem eigenen, extrovertierten Kleid sagte sie: „Der ESC lebt! Das freut mich besonders, denn wo sonst hätte ich diesen Fummel noch tragen können?“Etwas irritierend war vor allem – auch wenn es nicht anders zu erwarten war –, dass nach den aufgedrehten Beiträgen kein euphorischer Applaus aufbrandete. Die Künstler verharrten stattdessen sekundenlang in absoluter Stille in ihrer Schlusspose. Selbst Song-Contest-Dauerkommentator Peter Urban war nur gelegentlich zu hören. Schwierig für das ESC-Feeling.
Bei ProSieben ging es derweil durchaus krachender zu, auch weil man die Teilnehmer – wohlgemerkt als Deutscher – besser kannte. Zum
Beispiel Sängerin Sarah Lombardi für Italien oder Schlagerstar Vanessa Mai für Kroatien. Moderator Steven Gätjen wählte sogar die große europäische Geste: „Welcome Europe!“Dann nahm er neben einer PlexiglasWand Aufstellung, die ihn coronakorrekt von seiner Co-Moderatorin Conchita Wurst trennte.
Der von Raab erfundene „Free European Song Contest“wartete mit 16 Teilnehmern auf, darunter auch das
astland „Der Mond“– in Anspielung darauf, dass beim echten ESC seit Jahren ja auch das außerhalb Europas liegende Australien mitmache. Am Ende der Show wurde zu verschiedenen Repräsentanten der Teilnehmerländer
geschaltet, um Punkte einzusammeln. Für welches Land die deutschen Zuschauer die meisten Stimmen abgaben, verkündeten zugeschaltet aus Los Angeles Model Heidi Klum und Ehemann Tom Kaulitz. Es war „Der Mond“, hinter dem im Astronautenkostüm Max Mutzke steckte.
Überraschend war der Künstler, der für Deutschland antrat: der Musiker und Komiker Helge Schneider („Katzeklo“). Das Lied des 64-Jährigen drehte sich passend zur CoronaPandemie ums Zuhausebleiben („Forever at home, forever alone, für immer im Haus“). Für den Sieg reichte das nicht.