Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Debatte nach Lieberknechts Kirchenkritik
BERLIN (dpa) - Haben die Kirchen Kranke, Sterbende und Trauernde in der Corona-Krise im Stich gelassen? Die frühere thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU; Foto: dpa) vertritt diese Meinung – und erntet dafür heftigen Widerspruch, aber auch Unterstützung.
In den vergangenen Wochen galt in den Kliniken ein Besuchsverbot. Dadurch starben viele Patienten einen einsamen Tod. Höchstens die engsten Verwandten wurden vorgelassen, Enkeln dagegen blieb der Abschied von Oma oder Opa versagt. Lieberknecht kritisiert nun, dass auch Geistliche oft nicht da gewesen seien. „Da wurde kein letzter Psalm gebetet, es gab keinen
Trost, keine Aussegnung am Sterbebett“, sagte Lieberknecht der
„Welt“. Sie selbst war früher Pastorin. „Man hätte neben Pflegern und Ärzten auch Seelsorger testen lassen müssen. Das hätte die Ansteckungsgefahr minimiert.“
Aber stimmt das so? Viele Seelsorgerinnen und Seelsorger hätten den Kranken und Sterbenden „unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung“durchaus zur Seite gestanden, widerspricht der Kirchenrechtler Thomas Schüller. Das gleiche sagt der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber. „Wir haben in Berliner Krankenhäusern keine Unterbrechung der Seelsorge gehabt“, stellt Huber klar. Allerdings schließt sich der Bischof in einem Punkt der Kritik von Lieberknecht an: „Die Kirche hat auch nach meinem Gefühl die Aufgabe der Seelsorge und Fürsorge für Kranke, Alte und Sterbende nicht mit dem gebotenen Nachdruck herausgestellt.“Sie hätte stärker betonen müssen, dass das Recht auf Seelsorge sogar von der Verfassung geschützt sei.
Was Lieberknecht von vielen in der Kirche verübelt wird, ist ihr Satz „Die Kirche hat in dieser Zeit Hunderttausende Menschen allein gelassen.“Der langjährige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, bezeichnet diese Schätzung als „sensationsheischend“, da durch nichts belegt.