Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Lagarde verlangt von Bundesbank weiterhin Anleihenkäufe
EZB verweist auf ihre Verpflichtungen als europäische Institution
FRANKFURT - Die Europäische Zentralbank lässt sich von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht aus der Ruhe bringen. Die Deutsche Bundesbank, die zum europäischen System der Zentralbanken gehört, müsse sich weiter an den Anleihekäufen beteiligen. „Nach dem Vertrag müssen alle nationalen Zentralbanken in vollem Umfang an den Entscheidungen und der Durchführung der Geldpolitik des EuroWährungsgebietes teilnehmen“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde in einem Interview mit mehreren europäischen Tageszeitungen, darunter dem „Handelsblatt“.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am 5. Mai die Anleihekäufe der EZB als teilweise nicht konform mit dem Grundgesetz bezeichnet und der EZB eine Überschreitung ihrer Kompetenzen vorgeworfen. Sollte die EZB nicht innerhalb von drei Monaten darlegen, dass ihre Anleihekäufe „verhältnismäßig“seien, dann dürfe die Bundesbank nicht mehr daran teilnehmen. Die Bundesbank tut dies gemäß ihrem Anteil an der EZB – gut 26 Prozent. Dass die Bundesregierung ihr dies künftig gegebenenfalls verbieten könne, sei unvereinbar mit den Verträgen, sagte Lagarde: „Jede nationale Zentralbank in der Eurozone ist unabhängig und darf keine Anweisungen von Regierungen entgegennehmen.“
Die EZB-Präsidentin verwies nochmals darauf, dass sie von den
EU-Mitgliedsstaaten mit einem Mandat ausgestattet worden sei, dieses Mandat ist die Wahrung der Preisstabilität.
Lagarde machte nochmals deutlich, dass die EZB der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unterstehe, also dem EuGH. Die EZB werde weiter dem Europäischen Parlament gegenüber verantwortlich sein und den europäischen Bürgern ihre Entscheidungen
erklären. Erklären muss sie vor allem das Mandat der Preisstabilität: danach strebt sie eine mittelfristige Preissteigerung von unter, aber nahe zwei Prozent an. Nach den aktuellen Zahlen ist sie davon weit entfernt: Nach jüngsten Daten des Statistikamtes Eurostat lagen die Verbraucherpreise im Euroraum im April um 0,4 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Im März hatte die Inflationsrate 0,7 Prozent betragen.
„Wir werden tun, was wir müssen, um unser Mandat zu erfüllen“, hatte auch EZB-Chefvolkswirt Philip Lane gegenüber der spanischen Tageszeitung „El Pais“versichert. Mit den Anleihekäufen pumpt die EZB Liquidität in die Finanzmärkte und dadurch in die Wirtschaft; das soll die Preissteigerung anheizen. Ob diese Strategie noch zeitgemäß ist, will der EZB-Rat in den nächsten Monaten überprüfen. Wegen der Corona-Pandemie
verzögert sich dieser Prozess jedoch.
Lagarde verwies in dem Interview darauf, dass das aktuelle PandemieNotfallankaufprogramm (PEPP) von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht betroffen sei. Das hatte die Notenbank im März beschlossen, es hat ein Volumen von 750 Milliarden Euro. Damit kauft die EZB am Finanzmarkt öffentliche und private Wertpapiere. In der vergangenen Woche erwarb sie solche Papiere im Volumen von 28,9 Milliarden Euro, davon dürfte der größte Teil in italienische Staatsanleihen geflossen sein. Im April hatte sie Papiere im Volumen von insgesamt knapp 142 Milliarden Euro gekauft – das war Monatsrekord, der aber im Mai übertroffen werden könnte. Weil die EZB unbeirrt und mit großem Tempo Wertpapiere kauft, rechnen Beobachter damit, dass sie im Juni das Volumen des PEPP aufstocken könnte.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezog sich jedoch nur auf das Anleihekaufprogramm PSPP, das etwa die Höhe und den Anteil der Anleihekäufe je Land begrenzt. Deshalb hatte das Bundesverfassungsgericht dieses Programm auch nicht als „monetäre Staatsfinanzierung“angesehen, die der EZB nach den Verträgen verboten ist. Diese Einschränkung besteht beim PEPP nicht, deshalb sind Klagen auch gegen dieses Programm wahrscheinlich. Über das PSPP-Programm erwarb die EZB in der vergangenen Woche Papiere im Wert von 10,9 Milliarden Euro.