Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Auf der Suche nach der perfekten Täuschung

Weltweit forschen Wissenscha­ftler am Schutz vor Corona – Impfstoffe tricksen das Immunsyste­m auf geniale Weise aus

- Von Sebastian Heilemann

Kaum war die Gensequenz des neuartigen Coronaviru­s entschlüss­elt, hat in den Laboren rund um die Welt die Suche nach einem Impfstoff begonnen. Denn der gilt derzeit als vielverspr­echendste Chance, die Pandemie dauerhaft zu stoppen. Doch zur wirksamen Spritze gibt es viele Wege.

Ein Impfstoff trickst das Immunsyste­m des Körpers aus. Die Forscher tarnen ein harmloses Mittel als aggressive­s Virus und täuschen dem Immunsyste­m einen gefährlich­en Angriff vor. Im Idealfall geht der Körper in die Gegenattac­ke über und bildet spezifisch­e Antikörper und T-Zellen zur Virenabweh­r – obwohl gar kein gefährlich­er Erreger da ist. Der Clou: Hat das Immunsyste­m den vermeintli­chen Angreifer erfolgreic­h bekämpft, ist es für eine Infektion mit einem echten Virus trainiert. Es kann schneller reagieren, und im besten Fall kommt es gar nicht zu einer Erkrankung. Denn hat der Körper einmal auf das Virus spezialisi­erte Abwehrzell­en produziert, stehen diese auch nach dem Angriff weiter für das Waffenarse­nal des Immunsyste­ms zur Verfügung – der Körper ist immun gegen den Erreger.

Doch dafür, auf welche Art man dem Immunsyste­m ein aktives Coronaviru­s vorgaukeln kann, gibt es verschiede­ne Ansätze. 124 Forschungs­projekte zählt die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) derzeit, die nach der richtigen Verkleidun­g suchen. Impfstoffe können grob in zwei Gruppen unterteilt werden. Die sogenannte­n Lebendimpf­stoffe bestehen aus aktiven Viren, die im Körper in der Lage sind, sich zu vermehren. Diese sind allerdings so weit abgeschwäc­ht, dass sie bei einem gesunden Geimpften keine Erkrankung mehr auslösen können. Zu dieser Gruppe gehört etwa die Mumps-Masern-Röteln-Impfung. Genauso arbeiten 25 Forschungs­projekte daran, andere Viren – etwa das Masernviru­s in abgeschwäc­hter Form – so umzuprogra­mmieren, dass sie Proteine des Coronaviru­s produziere­n.

Proteine, die die Bildung von Antikörper­n gegen Sars-CoV-2 verursache­n. Ein solcher Vektor-Impfstoff wurde beispielsw­eise gegen Ebola entwickelt.

Doch es geht auch noch anders. Die sogenannte­n Totimpfsto­ffe enthalten keine aktiven Viren. Sie enthalten durch Erhitzung, Bestrahlun­g oder chemische Behandlung abgetötete Viren oder nur einzelne Teile von Erregern, die ebenfalls harmlos sind, aber eine Immunreakt­ion auslösen. Eine vielverspr­echende Impfstoffa­rt sind dabei die Gen-Impfstoffe. Bei dieser Form werden Teile des Viruserbgu­ts geimpft. Dieses bringt körpereige­ne Zellen dazu, Proteine des Coronaviru­s zu produziere­n, die wiederum eine Immunantwo­rt triggern.

An diesem Ansatz arbeitet etwa das Tübinger Unternehme­n CureVac. Ein weiterer dieser Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 wird derzeit bereits in den USA am Menschen getestet.

Doch alle Varianten haben Vorund Nachteile. „Lebendimpf­stoffe mit vermehrung­sfähigen Viren der Zielkrankh­eit imitieren den natürliche­n Infektions­prozess am besten und lösen üblicherwe­ise eine humorale und zellvermit­telte Immunantwo­rt aus“, erklärt Professor Thomas Mertens, Virologe und Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert-Koch-Institut. „Lebendimpf­stoffe rufen üblicherwe­ise eine länger anhaltende Immunität aus und benötigen keine oder weniger Auffrischi­mpfungen.“Anderersei­ts könne es zu Komplikati­onen nach der Impfung kommen. Für Schwangere oder Menschen mit einem stark geschwächt­en Immunsyste­m sind sie deshalb nicht geeignet. Der Vorteil bei den Gen-Impfstoffe­n liegt vor allem in ihrer Herstellun­g. Die funktionie­rt schneller und billiger, da nicht aufwendig Viren in Tieren gezüchtet werden müssen. Allerdings ist von einem solchen Impfstoff noch keiner auf dem Markt. Welche Nebenwirku­ngen

eine solche Impfung haben kann, müssen jetzt klinische Tests klären.

Damit ein Impfstoff zugelassen werden kann, muss er mehrere Entwicklun­gsstadien durchlaufe­n. Der Erreger muss analysiert, ein passender

Stoff designt werden. Dann wird der Kandidat zunächst im Tierversuc­h getestet, es folgen drei klinische Studien an Testperson­en. Zunächst mit einer kleineren Testgruppe von gesunden Patienten, mit denen überprüft wird, ob der Impfstoff verträglic­h ist. In der zweiten Phase wird eine größere Gruppe Patienten mit dem Impfstoff behandelt und überprüft, ob diese die gewünschte­n Antikörper produziert hat. In einer dritten Phase wird eine noch größere Gruppe an Probanden getestet, um ein möglichst repräsenta­tives Ergebnis zu erzielen. Ein Prozess, der bis zu 20 Jahre dauern kann. In Zeiten von Corona läuft das wie im Zeitraffer ab. „Die Impfstoffe waren binnen zwei Monaten fertig designt. Das hat es noch nie gegeben“, sagt Rolf Hömke, Forschungs­sprecher des Verbands der forschende­n Pharmaunte­rnehmen im Podcast „vfa-Tonspur“. Das liege vor allem daran, dass Forscher in den vergangene­n Jahren sogenannte Impfstoff-Plattforme­n angelegt haben – Impfstoff-Prototypen, die noch auf keinen Erreger angepasst sind.

Außerdem kam den Forschern zugute, dass die Familie der Coronavire­n keine unbekannte ist. Schon beim Ausbruch von Sars und Mers – auch durch Coronavire­n verursacht – beschäftig­ten sich Forscher mit Impfstoffe­n, die nun auch Wirksamkei­t gegen das neue Coronaviru­s zeigen könnten. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO rechnet mit 15 bis 18 Monaten, bis ein Impfstoff auf den Markt kommt – also im zweiten Halbjahr 2021.

Doch wie sicher ist es, dass überhaupt ein Impfstoff gefunden wird? Für Viruserkra­nkungen wie AIDS, die durch HIV ausgelöst werden, gibt es auch nach Jahrzehnte­n keine Impfung. Klaus Cichutek, Leiter des Paul-Ehrlich Instituts, das für die Zulassung von Impfstoffe­n zuständig ist, zeigt sich zuversicht­lich. „Die Wahrschein­lichkeit ist aus derzeitige­r Sicht recht hoch“, sagte er kürzlich in einem Interview. „Es scheint eine relativ unkomplizi­erte Sache zu sein zu schützen.“

Vor allem, weil die Erkenntnis­se aus mehreren Tierversuc­hen bereits eine Wirksamkei­t nachgewies­en haben. „Allerdings müssen wir Wert darauf legen, dass diese verträglic­h sind. Diese Balance zu finden, wird die Herausford­erung sein.“Aktuell testen laut WHO zehn Projekte ihre Impfstoffe bereits am Menschen. Ob diese verträglic­h genug sind, um die Pandemie zu beenden, wird sich also bald zeigen.

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