Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Versteckspiel auf dem Fußballplatz
Warum Homosexualität im Sport immer noch ein Tabu ist und wie ein Bad Saulgauer das ändern will – Benjamin Näßler hat die Aktion „Doppelpass“konzipiert
Die Saisonunterbrechung wegen der Corona-Krise kam Heckmann sogar ein bisschen entgegen. Im Januar hatte er sich am Fußknöchel verletzt, erst kurz vor dem Zwangsstopp kehrte er ins Ulmer Aufgebot zurück. „Die Pause hat mir gut getan“, versichert Heckmann. „Normalerweise kannst du als Basketballprofi um diese Jahreszeit nichts Athletisches machen, weil du mitten in den Play-offs bist.“
Fit sollten die Ulmer also beim Finalturnier sein. Der erste Prüfstein ist dann gleich der schwerste. Am Samstag, 6. Juni (20.30 Uhr/Magenta Sport) treffen die Ulmer auf den FC Bayern. Neben der körperlichen Fitness wird dann auch entscheidend sein, wie sich die Mannschaften in der kurzen Trainingszeit wieder eingespielt haben. „Es hakt an der einen oder anderen Stelle noch“, gibt Heckmann zu. Kein Wunder: Erst seit wenigen Tagen hat Trainer Jaka Lakovic wieder seinen kompletten Kader im Training. „Das Gute ist“, meint Heckmann, „dass beim Turnier
in München alle Teams auf dem gleichen Stand sind.“
Leichte Vorteile haben höchstens Berlin und Oldenburg, die jeweils ihren gesamten Kader zusammengehalten haben. Bei Ulm verzichteten Killian Hayes, Seth Hinrichs und Grant Jerrett auf eine Rückkehr, beim FC Bayern fehlen der US-amerikanische Topstar Greg Monroe und der Führungsspieler Nihad Djedovic. „In einem Spiel kann immer viel passieren“, meint Heckmann daher. Der Ulmer Flügelspieler war zwar überrascht, dass die Bundesliga ihre Saison überhaupt noch zu Ende spielt. „Viele hatten damit nicht mehr gerechnet“, sagt Heckmann. „Aber die Idee des Turniers finde ich gut.“Siege bei Kartenspielen übrigens auch.
In der Gruppe A spielt Ratiopharm Ulm gegen den Gastgeber FC Bayern (6. Juni, 20.30) sowie gegen Oldenburg (8. Juni, 16.30), Crailsheim (10. Juni, 20.30) und Göttingen (14. Juni, 16.30).
BAD SAULGAU - Benjamin Näßler gilt als der schönste schwule Mann Deutschlands: Er hat Ende Dezember die Wahl zum Mr. Gay Germany gewonnen. Dafür reichte es nicht, dass der gebürtige Bad Saulgauer athletisch ist und in Badehosen auf einem Laufsteg eine gute Figur macht: Eine Kampagne, die jeder Teilnehmer erarbeiten musste, war Teil des Wettbewerbs. Benjamin Näßler entschied sich, ein Problem zu thematisieren, von dem er selbst jahrelang betroffen war: Unbehagen, Ablehnung und offener Hass gegenüber Schwulen im Fußball.
Dass er schwul ist, wusste er schon, als er noch in Bad Saulgau lebte und dort beim FV Fußball spielte. Doch sich bei den Kumpels und Trainern zu outen, kam für ihn nicht infrage. Auf deutschen Fußballplätzen, in der Kabine und beim Bier nach dem Spiel fallen bis heute Sprüche, die schwulenfeindlich sind: „Schwul“ist häufig eine Beschimpfung, egal ob es um einen missglückten Pass, einen foulenden Gegenspieler oder einen Trinkspruch geht. „Man hat sich zugeprostet, und dann kam des Öfteren der Spruch: ,Absetzen, sonst gibt’s schwule Kinder’“, erinnert sich Näßler. „Für mich war das ein Grund zu sagen: Dann oute ich mich lieber nicht.“Er wollte nicht riskieren, von Teamkameraden und Zuschauern verachtet zu werden, weil er Männer liebt.
Während Homosexualität in der Kunst- und Musikszene und selbst in der Bundespolitik deutlich entspannter wahrgenommen wird, ist sie bei Fußballern nach wie vor ein Tabu. „Wir haben in Deutschland 36 Profivereine mit jeweils 25 Spielern, also mehr als 600 hauptberufliche Fußballer, von denen offiziell keiner schwul ist“, sagt Näßler. Selbst wenn der Anteil von Homosexuellen unter
Fußballern vielleicht etwas geringer sei – es gebe auf jeden Fall den einen oder anderen. Gerüchte gibt es oft und viele. Für Schwule seien das Versteckspiel und das Verheimlichen von einem Teil ihrer selbst in der Öffentlichkeit oft das kleinere Übel, meint Näßler im Podcast „Sag’s Pauly“der „Schwäbischen Zeitung“.
Dass sich im Fußball niemand traut, zur Homosexualität zu stehen, liegt aus Sicht des 31-Jährigen vor allem am Männerbild im Sport, wo jeder der Stärkste, Beste, Schnellste und Männlichste sein müsse. Wer sich bekennt, schwul zu sein, biete Angriffsfläche für die Pöbler – die vor allem hinter der Bande stehen. „Ich glaube, viele denken, dass schwule Männer nicht die klassischen Männer sind, die groß, stark und kräftig sind“, sagt Näßler. „Aber nicht alle Schwulen sind tuntig.“Ein Outing von prominenten Profis würde das Verhalten in den unterklassigen Vereinen allerdings nicht ändern, glaubt der 31-Jährige. Das zeige das Beispiel des Sportvorstands und
Vorstandsvorsitzenden des VfB Stuttgart. Thomas Hitzlsperger hatte als Profi den Beinamen „Hitz the Hammer“. Hitzlspergers Outing nach seiner aktiven Karriere vor sechs Jahren sorgte für großes Aufsehen. „Was hat sich denn seitdem auf den Plätzen geändert?“, fragt Näßler rhetorisch. „Nichts.“
Deshalb zielt die Kampagne „Doppelpass“, die er für die Mr-GayWahl konzipiert hat, darauf ab, Aufmerksamkeit für homophobe Begriffe zu wecken. Benjamin Näßler will Trainer und andere Funktionäre sensibilisieren, damit diese solche Äußerungen nicht mehr tolerieren. Außerdem will er erreichen, dass Landesverbände Ansprechpartner benennen, die schwule Sportler beraten und unterstützen können. Denn die Homophobie auf Fußballplätzen in der Region habe laut Näßler einen weiteren Effekt: Einige talentierte Sportler entscheiden sich dagegen, im Verein zu spielen: aus Angst vor Verachtung, Hass und einem Zwangsouting.
Das ganze Gespräch mit Benjamin Näßler gibt es ab Sonntag, 8 Uhr, als Podcast unter:
www.schwaebische.de/sagspauly