Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Ein Helikopter im Einsatz für den Vogelschutz
Amprion lässt an der Höchstspannungstrasse zwischen Zwiefalten und Herbertingen Markierungen anbringen
RIEDLINGEN - Derzeit erregen Arbeiten an der neuen Stromtrasse zwischen Zwiefalten und Herbertingen einiges Aufsehen bei den Anwohnern. Dort werden Vogelschutzmarkierungen angebracht, wofür ein Hubschrauber eingesetzt wird. Der Anfang wurde vorige Woche bei Altheim gemacht.
Mit dieser Maßnahme setzt der Dortmunder Übertragungsnetzbetreiber Amprion eine Artenschutzvorgabe der Genehmigungsbehörde aus dem Planfeststellungsbeschluss um. Diese sieht vor, dass im südlichen Abschnitt der Leitung in insgesamt 54 Spannfeldern, Vogelschutzmarkierungen anzubringen sind, teilt Amprion dazu mit. Ein Spannfeld ist der Abschnitt zwischen zwei Spannmasten. Neben einem Spannfeld über dem Lautertal betrifft dies den gesamten Bereich von Zwiefalten über Riedlingen bis Herbertingen.
Freileitungen sind für Vögel teilweise schwierig zu erkennen. Um das Risiko einer Kollision zu senken, setzt Amprion in sensiblen Bereichen Vogelschutzmarkierungen ein. Dadurch werden die Erdseile, die oberhalb der Leiterseile über die Mastspitzen verlaufen, für die Tiere besser sichtbar. Ornithologische Überprüfungen haben gezeigt, dass durch die Markierungen das Kollisionsrisiko für verschiedene Vogelarten um bis zu 90 Prozent sinkt.
Vom Boden aus wären diese Arbeiten schwierig und zeitaufwendig, erklärt Projektsprecher Jörg Weber. Um die Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz in der Höhe zu bringen, müssten jeweils Kranwagen positioniert und dafür zuvor der Untergrund im freien Gelände befahrbar gemacht werden. Die schnellere und günstigere Lösung sei der Einsatz von Hubschraubern.
Erste Priorität haben dabei die Spannfelder in der Nähe des Riedlinger Flugplatzes. Hier werden nicht nur die Vogelschutzmarkierungen angebracht, sondern auch die auffälligeren Kugeln, die verhindern sollen, dass möglicherweise ein Flugzeug an die Leitung gerät.
Aus gebührender Entfernung wird die Hubschrauberbesatzung bei der Arbeit beobachtet; einige Leute fotografieren und filmen das Geschehen. Besuch am provisorischen Start- und Landeplatz ist nicht eben erwünscht. „Bitte nicht auf die Seile treten“, warnt einer aus der Mannschaft, „da hänge ich nämlich dran.“Der Mann meint das wörtlich. Er wird gleich zusammen mit einem Kollegen in den Korb steigen, der mit den Seilen am Hubschrauber hängt, und sich nach oben hieven lassen. Das erfordert auch absolutes Vertrauen in die Piloten, die in niedriger Flughöhe recht dicht an die Masten und die Leitungen heranfliegen müssen.
Der Hubschrauber ist mit zwei Piloten besetzt, von denen einer steuert und der andere die Instrumente im Auge behält. Zwei Leute arbeiten im Korb. Der fünfte Mann der Crew bleibt am Boden und hält Sichtkontakt zu den Kollegen oben.
Den Job am Boden macht diesmal Ralf Henschel. „Wie das Flugzeug“, stellt er sich vor. Er ist auch Pilot, wie die anderen vier. Angefangen habe er 1991 als Privatpilot, erzählt er, „auf Cessnas und so“. Dann habe er sich fliegerisch weiterentwickelt und sein Hobby zum Beruf gemacht. Die Crew kommt von der der Firma Meravo, die in Oedheim bei Heilbronn eine eigene Werft und insgesamt 25 Hubschrauber stationiert hat. Die Einsatzbereiche seien vielseitig: „Wir machen alles außer Rettung.“Die Meravo-Leute fliegen, um Wälder zu kalken, „tonnenweise“im Schwarzwald, sie sind an Bahntrassen im Einsatz, transportieren Außenlasten zur Gebirgsversorgung, auch mal eilige Ersatzteile, wenn irgendwo ein Band stillsteht, oder VIPs. Auch für Film- und Fernsehaufnahmen werden die Helis gebucht. Gerne erinnert sich Henschel an einen Einsatz mit dem „Herzblatt“-Hubschrauber für die bekannte Kuppel-Show. Jetzt ist sein Arbeitsplatz für ein paar Wochen an der Stromtrasse, rund eine halbe Flugstunde vom Heimathangar entfernt.
Grundsätzlich herrscht Flugplatzzwang. Für den Airbus AS 350 gilt jedoch eine Außenlandegenehmigung; lediglich die Erlaubnis des Grundstückseigentümers müsse eingeholt werden. Henschel achtet auf die Sicherheit am Boden. Zum Beispiel, wenn ein Reiter kommt, besteht die Gefahr, dass das Pferd scheut. Aus diesem Grund behält er die Pferde auf dem nahen Bauernhof im Blick. Es könne auch passieren, dass mal etwas zu Boden fällt, was zum Schutz der landwirtschaftlichen Maschinen weggeräumt werden muss. Sorge bereitet Henschel die Straße, die überflogen und wohl für ein paar Minuten gesperrt werden muss.
Derweil kämpfen die Kollegen in der Luft mit dem Wind. Wenn der von vorne kommt, sei das kein großes Problem, „aber Seitenwind geht gar nicht“. Dann kann beim Gegensteuern auch mal kurz Höhe verloren werden. Die ersten beiden Tage konnte deshalb gar nicht geflogen werden. Besonders schwierig sei es bei Wind, die Kugeln anzubringen. Die Vogelschutzmarkierung seien einfacher zu handhaben. In Schleswig-Holstein habe man kürzlich 4500 Stück angebracht: „Da haben wir uns die Zähne ausgebissen.“Hier sollen es „nur“700 werden. Rund 45 Minuten kann der Heli oben bleiben, dann muss er wieder auftanken. In einem Lastwagen wird ausreichend Treibstoff mitgeführt. Bei einer maximalen Arbeitszeit von zehn Stunden haben die Piloten durch die Tankvorgänge auch Ruhepausen. Die reine Flugzeit schätzt Henschel auf fünf bis sechs Stunden täglich.
Einen Dienstplan, der vorgibt, wer wann fliegt, wer im Korb arbeitet und wer am Boden bleibt, gibt es nicht: „Das besprechen wir bei einem Bier heute Abend.“Untergebracht ist die fünfköpfige Crew in Herbertingen. Der Heli bleibt vor Ort stehen: „Wir wollen ihn nicht jedes Mal umsetzen.“Über das Wochenende wird er auf einem Bauernhof geparkt.
In dieser Woche stehen nochmals Warnkugeln auf dem Plan: 20 Kilometer weiter an der Trasse über das Lautertal. In vier Wochen soll die Trasse auf einer Seite fertig sein, wenn das Wetter mitmacht. „Nächstes Jahr kommen wir wieder“, kündigt Henschel an. Dann ist die andere Seite dran. Nach rund zweieinhalb Jahren Bauzeit wird Amprion die neue Leitung voraussichtlich Mitte 2021 fertigstellen.