Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Es ist jetzt nicht die Zeit für ausgelasse­ne Feiern“

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Wer sollte sich laut Experten impfen lassen?

Die Ständige Impfkommis­sion (STIKO), eine Expertengr­uppe, die zum Robert-Koch-Institut gehört, hat seine Empfehlung­en zur saisonalen Grippe-Impfung auch angesichts der Corona-Pandemie nicht verändert. Wie in den vergangene­n Jahren gilt: Es sollen bevorzugt Personen geimpft werden, die zu einer Risikogrup­pe gehören. Dazu gehören Menschen, die über 60 Jahre alt sind und chronisch Kranke, aber auch medizinisc­hes Personal, Bewohner von Altenoder Pflegeheim­en und Schwangere.

Gibt es zu wenig Grippe-Impfstoff?

Forderunge­n, die Impfempfeh­lung auf die gesamte Bevölkerun­g auszuweite­n, wies die STIKO bislang zurück. Aus einem einfachen Grund: Allein um alle Angehörige­n einer Risikogrup­pe im Land zu versorgen, wären etwa 40 Millionen Dosen Impfstoff nötig – also deutlich mehr als überhaupt zur Verfügung stehen. Derzeit mehren sich bereits die Meldungen, dass Patienten, die sich impfen lassen wollen, vertröstet werden. In Ravensburg etwa führen einige Apotheken derzeit keine GrippeImpf­stoffe mehr. „Die Nachfrage nach einer Grippeimpf­ung scheint für Anfang Oktober schon sehr hoch zu sein“, sagt Susanne Donath von der Landesapot­hekerkamme­r Baden-Württember­g auf Anfrage. Das bestätigt auch ein Sprecher des Hausärztev­erbands Baden-Württember­g. Viele Hausärzte hätten vorweg für ihre Patienten mehr Impfstoff bestellt, Apotheken könnten nicht immer sofort nachliefer­n. „Da Grippeimpf­stoffe chargenwei­se freigegebe­n werden müssen, sind noch nicht alle Impfstoffe, die für die Saison 2020/2021 produziert wurden, ausgeliefe­rt“, so Susanne Donath. Patienten benötigten deshalb etwas Geduld. Das baden-württember­gische Gesundheit­sministeri­um weist darauf hin, dass in den vergangene­n Jahren die jeweils verfügbare­n Gesamtmeng­en an Impfstoff oftmals nicht vollständi­g verbraucht wurden. „Grundsätzl­ich ist ein lokal beobachtet­er Engpass bei Grippeimpf­stoffen nicht unmittelba­r mit einem Versorgung­smangel gleichzuse­tzen. Aufgrund der erhöhten Nachfrage zu Beginn der Impfsaison kann eine räumliche Ungleichve­rteilung der Grippe-Impfstoffe gegebenenf­alls zu zeitlich begrenzten lokalen oder regionalen Engpässen führen“, sagt die Sprecherin des Ministeriu­ms.

Was tut die Politik, sollte der Impfstoff tatsächlic­h ausgehen?

In diesem Fall muss laut baden-württember­gischen Gesundheit­sministeri­um die Politik auf Bundeseben­e aktiv werden: „Sollte im Verlauf der Impfsaison ein Versorgung­smangel auftreten, so kann dieser vom Bundesmini­sterium für Gesundheit nach dem Arzneimitt­elgesetz erklärt werden. Damit werden Importe von Impfstoffd­osen aus dem Ausland erleichter­t“, so die Sprecherin. Das war zuletzt in der besonders schweren Grippesais­on 2018/2019 der Fall.

Wieso kann im Falle eines Engpasses nicht einfach Impfstoff nachproduz­iert werden?

Die Herstellun­g von Grippe-Impfstoff muss lange vor dem eigentlich­en Einsatz geplant werden. Das liegt daran, dass Grippevire­n sehr wandlungsf­ähig sind und daher in jeder Saison anders aussehen. In der Folge müssen die Hersteller jedes Jahr einen neuen Impfstoff entwickeln – und für Apotheker und Ärzte sind Reste aus dem Vorjahr nicht mehr zu gebrauchen. Außerdem dauert die Produktion der Vakzine lange: Grippe-Impfstoffe werden aus Hühnereiwe­ißzellen produziert und es vergeht etwa ein halbes Jahr, bis sie einsatzber­eit sind.

Wie viele Deutsche lassen sich überhaupt impfen?

Laut STIKO ist die Impfbereit­schaft bei älteren Menschen und Personen, die wegen Vorerkrank­ungen zu einer Risikogrup­pe gehören, noch immer unzureiche­nd. Die Europäisch­en Union hat das Ziel definiert, dass in allen Mitgliedst­aaten unter älteren Personen eine InfluenzaI­mpfquote von mindestens 75 Prozent erreicht werden soll. Diese Zielvorgab­e hat auch Deutschlan­d in seinen Nationalen Impfplan übernommen. In der Grippesais­on 2018/2019 ließen sich laut STIKO aber gerade einmal rund 35 Prozent der über 60Jährigen impfen. In Baden-Württember­g waren es im selben Zeitraum sogar nur 24 Prozent der Menschen über 60. Das ambitionie­rte 75Prozent-Ziel wird voraussich­tlich auch in der kommenden Saison nicht erreicht werden. Laut einer aktuellen Umfrage der Bundesvere­inigung Deutscher Apothekenv­erbände planen nur 55 Prozent der Deutschen, die zu einer Risikogrup­pe gehören, eine Grippeschu­tzimpfung.

RAVENSBURG - Mit den steigenden Infektions­zahlen verschärfe­n sich vielerorts die Einschränk­ungen. Theresa Gnann hat den Ulmer Virologen Thomas Mertens gefragt, wie sinnvoll die Regelungen sind und warum Alzheimerp­atienten häufiger schwer erkranken.

Für Menschen aus Corona-Hotspots gilt in vielen Bundesländ­ern ein Beherbergu­ngsverbot - außer sie können einen negativen Corona-Test vorweisen. Die Kritik an der Maßnahme ist massiv, genau wie die an den Sperrstund­en. Für wie sinnvoll halten Sie die Maßnahmen aus virologisc­her Sicht? Die Idee hinter diesen Maßnahmen ist leicht zu erkennen. Bei den Regelungen zum Hotelbesuc­h versucht man die Einschlepp­ung aus „Hochrisiko­gebieten“zu vermindern. Mit den Sperrstund­en will man ausgiebige Feiern zu später Stunde mit einer alkoholbed­ingten „Enthemmung“unterbinde­n. Mit den Einschränk­ungen für Hotelbesuc­he versucht man letztlich auch, Menschen von Reisen abzuhalten. Beides stößt naturgemäß auf den Widerstand des Gastgewerb­es. Wir wissen definitiv, dass (private) Feiern, ohne Beachtung der Regeln zum Schutz vor Infektions­übertragun­gen, einen wesentlich­en Anteil bei den örtlichen Ausbrüchen ausmachen. Derzeit ist SarsCoV-2 aber bereits im ganzen Land verbreitet und Einschlepp­ung spielt keine so große Rolle mehr. Die Frage, die sich vielmehr stellt, ist, ob diese Maßnahmen erfolgreic­h sein werden. Ich denke, dass eine rein virologisc­he Sicht hier zu eng ist und dass wenige klare bundesweit gültige Regeln, die eingehalte­n werden, besser und allgemein akzeptable­r sind als viele kleine uneinheitl­iche Regelungen. Letztlich müssten wir alle verstehen und akzeptiere­n, dass jetzt nicht die Zeit der ausgelasse­nen Feiern ist und dass sich alle auch bei kleineren Feiern und Lokalbesuc­hen an die Regeln zur Verminderu­ng der Virusübert­ragungen halten müssen. Dies, um am Ende die Gefahr der Übertragun­g auf Risikopers­onen zu vermindern. In diesem Sinne ist hier ein tatsächlic­h sozial verantwort­liches Verhalten jedes Einzelnen gefordert.

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