Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Frankfurter Buchmesse startet digital
Hallen bleiben leer – 4400 Aussteller präsentieren ihre Werke virtuell
FRANKFURT (KNA) - Für die Frankfurter Buchmesse ist es ein Novum: Sie wird zwar von Mittwoch bis Sonntag stattfinden, aber wegen der Corona-Pandemie ohne Ausstellungsstände von Verlagen und ohne Besucher in den Messehallen. Die klassische Hallen-Ausstellung ist in diesem Jahr ausgesetzt. Eine Formulierung, bei der zumindest für die kommenden Jahre etwas Optimismus mitklingt, dass sich die CoronaLage langfristig bessern wird. 2020 ist nun von einem - weitgehend digitalen - „Lesefest“die Rede.
In der entscheidenden Planungsphase für die diesjährige Buchmesse vollzogen die Verantwortlichen vor einem Monat einen Schwenk: Ursprünglich sollte die Messe trotz der Pandemie unter besonderen Hygieneauflagen auch mit Messeständen und Verlagsausstellungen organisiert werden. Buchmessen-Direktor Juergen Boos hatte monatelang darauf gehofft, dass sich die Corona-Lage stabilisiert und damit auch eine „physische“Buchmesse möglich wäre. Doch Anfang September musste er angesichts der bundesweit zunehmenden Infektionszahlen eingestehen: „Meine Hoffnungen haben sich nicht erfüllt.“
Eigentlich hatten 750 Aussteller in diesem Jahr auf die Frankfurter Buchmesse kommen wollen - darunter die Verlage Aufbau, C.H. Beck, Klett-Cotta und Suhrkamp mit einem Gemeinschaftsstand. Sie merkten aber nach und nach, dass es zu viele „Restriktionen“für ihre Präsenz gegeben hätte. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 zählte die größte Buchmesse der Welt noch 7450 Aussteller aus 104 Ländern.
Nun soll es eine „Special Edition“, eine Sonderausgabe der Frankfurter Buchmesse geben. An den digitalen Formaten beteiligen sich rund 4400 Aussteller aus mehr als 100 Ländern, wie Boos am Dienstag bei der gestreamten Eröffnungs-Pressekonferenz bekanntgab. Verlage und Buchhändler können nun auf der Internetseite www.buchmesse.de Neuerscheinungen präsentieren.
Die Marketing-Leiterin der Buchmesse, Katja Böhne, sagte, dies sei die „Absprungrampe“für die literarischen Angebote, vom Krimi über das Kinderbuch, von politischer und gesellschaftskritischer Literatur bis hin zu Büchern über das Kochen oder Reisen.
Dazu wird ein umfangreiches Online-Programm angeboten: Das „Bookfest“– eigentlich ein Kulturfestival jeweils nach Messeschluss in Frankfurter Veranstaltungsorten – soll am Samstag erstmals „digital und weltweit“gefeiert werden. Auf zwei Kanälen werden demnach live Diskussionen, Lesungen und Gespräche mit mehr als 150 Autoren übertragen. Die digitalen Angebote sind kostenlos. Das Gastland Kanada plant 25 virtuelle Veranstaltungen.
In Präsenzform sollen allein die im Rahmen des „Bookfest city“geplanten Veranstaltungen dezentral mit Besuchern stattfinden. Alle am „Bookfest city“beteiligten Veranstaltungsorte erfüllten die geltenden
Schutzverordnungen des Landes Hessen, hieß es am Montag. Die Begrenzung der Teilnehmerzahlen ermögliche hier die Einhaltung der Abstandsregeln.
Mindestens 60 Live-Veranstaltungen sollten ursprünglich auch auf der Buchmessenbühne in der Frankfurter Festhalle mit Publikum angeboten und zusätzlich gestreamt werden. Am Montag wurde angesichts der steigenden Corona-Infektionen in Frankfurt allerdings entschieden, in der Festhalle doch auf Publikum zu verzichten - und nur zu streamen. Gespräche und Lesungen sind etwa mit David Grossman, Bov Bjerg, Deniz Ohde, Linda Zervakis, Jan Böhmermann, Margit Auer, Chilly Gonzales und Karl Lauterbach geplant.
Programmpunkte zu explizit religiösen Themen gibt es bei der digitalen Buchmesse kaum; allerdings spricht Richard David Precht über Künstliche Intelligenz (KI) und den „Sinn des Lebens“. Bruno Latour und Hartmut Rosa diskutieren aus philosophisch-soziologischer Sicht über die Folgen der Corona-Krise. Zudem wurden Gespräche mit Edward Snowden und auch mit Margaret Atwood angekündigt. Die virtuelle Buchmesse versteht sich laut Böhne auch als Bühne, das krisenhafte Zeitgeschehen zu kommentieren.
Nach der Buchmesse soll ausgewertet werden, wie die Angebote angenommen wurden. Nach Einschätzung von Boos können manche neuen Formate beibehalten werden. Online-Angebote ermöglichten eine „größere Reichweite“. Wenn er in die Zukunft der Frankfurter Buchmesse blicke, sehe er als neuen Normalzustand „einen Mix aus digitalen und physischen Elementen“.