Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Eine Frage der Ehre
Die Staatsoper Stuttgart zeigt mit „Cavalleria rusticana“und „Luci mie traditrici“einen spannungsreichen Doppelabend
STUTTGART - Große Emotionen, Leidenschaft, Eifersucht, Mord sind die ewigen Themen der Theaterund Operngeschichte und spiegeln sich doch in höchst unterschiedlichen Werken. An der Staatsoper Stuttgart spannen Dirigent Cornelius Meister und Regisseurin Barbara Frey zwei von ihnen zusammen, die in der musikalischen Gestaltung kontrastreicher nicht sein könnten und durch das Bühnenbild von Martin Zehetgruber eine beeindruckend stimmige Verbindung eingehen: „Cavalleria rusticana“von Pietro Mascagni und „Luci mie traditrici“des italienischen Zeitgenossen Salvatore Sciarrino.
Der Doppelabend war bereits „vor Corona“geplant gewesen. Unter den „neuen Spielregeln“, so Intendant Viktor Schoner in seiner Begrüßung, hat Frey ihre Personenführung natürlich überdacht und zeigt die Dramen zwar mit Abstand zwischen den Personen, doch ohne reduzierte Intensität. An Stelle des großen romantischen Orchesters bei Mascagni platziert Cornelius Meister eine kleine Streichergruppe samt Konzertflügel im Orchestergraben und postiert die Bläser gleich einer italienischen Banda hinter der Bühne. Sebastian Schwab, Komponist, Stipendiat des Deutschen Dirigentenforums und Assistent des Stuttgarter Generalmusikdirektors Cornelius Meister, hat die Partitur für
Kammerorchester bearbeitet, Meister übernimmt in manchen Szenen den Klavierpart. Große Chorszenen, wie sie die festliche Ostermesse oder das Trinklied des Turiddu erfordern, sind derzeit nicht möglich, der klein besetzte Staatsopernchor singt vom obersten dritten Rang und hinter der Bühne. Das Publikum, mit weiten Abständen verteilt im Parkett und auf den Rängen, erlebt so einen interessanten Raumklang, muss aber mangels Choraktivität auf der Bühne die Handlung recht gut kennen.
Wilde Graffitis zieren die Wände des Bühnenraums mit umlaufender
Galerie, eine breite Treppe ist so schief in den Boden versunken, dass keine Verbindung nach oben besteht. „Töte mich“, „schlag mich“, aber auch „ich liebe dich“steht in Kreidelettern auf Italienisch auf den Stufen, schließlich geht es in beiden Opern um Liebe, Untreue, Ehre, Mord und Eifersucht in Sizilien. Die Konzentration liegt auf dem Gefüge von Mamma Lucia, Sohn Turiddu, seiner leidenden Frau Santuzza, der koketten Geliebten Lola und ihrem gehörnten Ehemann Alfio. Eine düstere Szenerie, die Alexander Koppelmann auf beklemmende Weise ausleuchtet.
Eva-Maria Westbroek kehrt als Santuzza mit dunkler Leuchtkraft an ihr früheres Haus zurück, hat die Qualen und Verzweiflung der betrogenen Bäuerin verinnerlicht und hat intensive Szenen mit Mamma Lucia, die Dame Rosalind Plowright mit großartiger Bühnenpräsenz verkörpert. Arnold Rutkowski gibt den mit Tenorglanz und unbekümmerter Lebenslust prunkenden Turiddu, weiß in seiner letzten Szene aber auch um die Tragik seines Schicksals. Etwas eindimensionaler in seiner Rolle ist der Fuhrmann Alfio des Baritons Dimitris Tiliakos, Ida Ränzlöv ist die einzige, die an diesem Abend mit schlankem Sopran in beiden Opern auftritt.
Die klangliche Reduktion des Orchesters ist mit der Aufteilung in Streicher und Bläser und dem CoDirigenten Stefan Schreiber gut gelöst, doch stimmt die Balance zwischen Stimmen und Orchester nicht immer.
Verglichen mit den auch in Kammerbesetzung immer noch opulenten spätromantischen Klängen von Mascagni betritt man mit Sciarrinos „Luci mie traditrici“(„Meine verräterischen Augen“) eine Zauberwelt wispernder Klänge, in der die Explosion am Schluss wie ein Peitschenknall wirkt. In der 1998 in Schwetzingen uraufgeführten Oper greift der Komponist auf ein Drama „Il tradimento per l’onore“zurück, das den Mord des Renaissancekomponisten Carlo Gesualdo an seiner Gattin und ihrem Geliebten thematisiert. Doch äußert sich die Spannung nicht in sich aufbäumenden Klangballungen, sondern in einem feinstofflichen Gewebe von Klängen. Die Streicher sind wieder im Orchestergraben, zwei Schlagwerker in den Proszeniumslogen und die Bläser auf der Galerie des Bühnenbilds postiert. Vogelrufe, geheimnisvolles Grundrauschen eines Donnerblechs, dumpfe Trommelakzente, kurze Flötenmotive, Streicherflageoletts bilden einen Klangteppich, den Cornelius Meister mit Konzentration und Achtsamkeit formt.
Die Stimmen raunen, flüstern, fragen, Worte sind nur in Bruchteilen verständlich. Zwischen Graf und Gräfin Malaspina (Christian Miedl und Rachael Wilson), dem voyeuristischen Diener (Elmar Gilbertsson) und dem Gast (Ida Ränzlöv) entsteht eine unheimliche Spannung: Barbara Frey unterstützt sie durch Körpersprache, intensive Blicke und Zeitlupenbewegung im Farngestrüpp, das sich unter der Treppe ausgebreitet hat. Über rund 80 Minuten Spieldauer taucht man bei Sciarrino ein in eine Schule des Hörens – faszinierend und mit herzlichem Applaus bedacht.
am 18., 20. und 24. 10., bedingt durch das reduzierte Platzangebot sind bereits ausgebucht, eventuell gibt es Restkarten an der Abendkasse.