Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„...dann müssten Sie sagen: nein!“
Ehinger muss wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes für fünfeinhalb Jahre ins Gefängnis
EHINGEN/ULM - Der aus einem Ehinger Teilort stammende Mann, der im vergangenen Jahr mindestens ein Kind für seine bizarren Sexpraktiken missbraucht hat, muss für fünfeinhalb Jahre ins Gefängnis. Dieses Urteil hat das Ulmer Landgericht am Dienstag gefällt. Richter Wolfgang Fischer führte in der Begründung elf Fälle von der Herstellung und Verbreitung jugendpornografischer Schriften bis hin zu schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern auf.
Regungslos, fast wie ein interessierter Zuhörer mit leicht nach vorne gestrecktem Kopf, hörte der Verurteilte den Worten des Richters zu. Worte, die allenfalls erahnen lassen, was der 63-Jährige dem damals elfjährigen Jungen angetan hatte – auch wenn zwei Versuche, das Kind auch zu vergewaltigen, scheiterten. In der Anklageschrift ist von einem missbrauchten Brüderpaar die Rede, im Falle des anderen, ein Jahr jüngeren Buben konnte eine Verhandlung „aus prozessalen Gründen“, so der Richter, nicht eröffnet werden. Die Beweisaufnahme war, aus Rücksicht auf die Opfer und Zeugen, ebenso wie die Plädoyers hinter verschlossenen Türen erfolgt, die Verlesung der Anklageschrift und das Urteil samt Begründung fanden in öffentlicher Sitzung statt.
Der Angeklagte sei vor seinen Taten aufs Dorf – einen Ehinger Teilort – gezogen und habe sich dort, als unbekannter Neubürger, mit den beiden Buben aus der Nachbarschaft angefreundet, schilderte der Richter. „Er nutzte das Vertrauen der Kinder aus, um Gelegenheit zu seinen sexuellen Handlungen zu bekommen“, so Wolfgang Fischer. Dann zählte er insgesamt elf Fälle auf, die das Gericht letztlich in das Urteil einbezog. Die elf dafür verhängten Einzelstrafen führten, unter Berücksichtigung von mildernden und strafverschärfenden Umständen, zur Gesamtstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.
Als „schwerste Tat“beurteilte das Gericht einen Fall, in dem der Angeklagte den Jungen dazu brachte, ihn mit einem Maiskolben und einer Zahnbürste zu penetrieren. Das sei für das Opfer ganz besonders ekelhaft gewesen. „Dafür sieht das Gesetz einen Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren vor“, erklärte Fischer. Man habe in diesem Fall zweieinhalb Jahre angesetzt. Eineinhalb beziehungsweise eineinviertel Jahre verhängte das Gericht für die beiden erfolglosen Versuche, das Kind zum Analverkehr zu zwingen. In etlichen weiteren Situationen zwischen April und November 2019 wurde die Arglosigkeit des Elfjährigen für vielfältige bizarre Handlungen ausgenutzt, in denen Gegenstände wie ein Kürbis mit Loch, eine Flasche oder Stofffetzen eine Rolle spielten. Auch Stiche einer Hummel auf das Geschlechtsteil und Stromstöße vermochten den Angeklagten zu erregen, erst recht, weil das Kind dabei zusah oder sich überreden ließ, es selbst auszuprobieren. „Mit einem leichten Lächeln sagte der Angeklagte, dass sich der Junge nicht getraut habe, sich Stromstöße zuzufügen“, erzählte der Richter. Auch Videoaufnahmen wurden gemacht und von dem Mann verbreitet.
„Der Junge wollte das“, sei eine Erklärung des Angeklagten für die Taten gewesen, berichtete der Richter. Und genau das zeige, dass es dem 63Jährigen offensichtlich nicht möglich sei, „nachzuvollziehen, was er dem Kind angetan hat“. Die Aussage erwecke den Eindruck, dass der Angeklagte glaube, sexueller Umgang mit Kindern sei normal, wenn diese das wollten. Selbst wenn der Bub sein Mitwirken aus einer gewissen Neugier heraus angeboten haben sollte, „so haben Sie als Erwachsener die Pflicht, es auf der Stelle abzubrechen. Sie müssten sagen: nein! Du bist kein
Sexualpartner für mich!“Zwar müsse man ihm zugute halten, dass er dem Kind „nicht auf der Lauer gelegen“habe, sondern eher in die Geschichte „hineingeschlittert“sei und eine Gelegenheit genutzt habe. Die Grundeinstellung des Angeklagten aber sei erschreckend, er neige zum Bagatellisieren der Taten, die geäußerte Reue beziehe sich mehr auf das Gerichtsverfahren und die drohende Gefängnisstrafe als auf das Leid des Opfers.
Strafmildernd zu werten sei das umfassende Geständnis des Mannes, schon während des Ermittlungsverfahrens. Er habe damit dem Jungen und anderen Zeugen eine Vernehmung im Gerichtssaal erspart. Ebenso berücksichtigt werden müssten die Repressalien durch die Mitgefangenen in der U-Haft. „Ob es nun tatsächlich 200 Morddrohungen waren, wie er behauptet, sei dahingestellt. Aber es ist bekannt, dass Sexualstraftäter einen außerordentlich schweren Stand im Gefängnis haben“, sagte der Richter. Dass so etwas psychische Probleme verursache, sei nachvollziehbar.
Richter Wolfgang Fischer Keine Reduzierung der Strafe habe jedoch das psychiatrische Gutachten über den Angeklagten zur Folge. Zwar bewege sich der Mann „nicht im Bereich der Normalität“, eine Einschränkung der Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit habe der Sachverständige aber nicht festgestellt.
Bei dem Opfer handle es sich um ein „schwieriges Kind“, was es dem Gericht erschwere, zu bewerten, welchen Anteil die Taten des Angeklagten an der psychischen Verfassung des Jungen haben. Dennoch seien die Folgen für die Psyche und vor allem für die weitere Entwicklung des Elfjährigen, der mittlerweile in einer Jugendhilfeeinrichtung betreut werde, als die Strafe verschärfend zu bewerten.
Verteidiger Reinhold Branz zeigte sich ganz zufrieden mit dem Urteil, das acht Monate unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft liege. Er werde sich zwar noch mit seinem Mandanten besprechen müssen, „aber es sieht eher so aus, dass wir nicht in die Revision gehen werden“. Ob das für die Staatsanwältin in Frage kommt, war nicht zu erfahren. Die Vertreterin der Nebenklage, die die Interessen der Opferfamilie vertrat, wollte sich zu dem Urteil nicht äußern.
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„Er nutzte das Vertrauen der Kinder aus.“