Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Im Land entsteht mehr Wohnraum
Unter Grün-Schwarz ist in Sachen Wohnungsbau viel passiert – Nicht genug, sagen Kritiker
STUTTGART - Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) stellt sich ein glänzendes Zeugnis aus: Unter ihrer Ägide habe der Wohnungsbau im Südwesten seit 2016 eine „neue Dimension“erreicht, sagte sie nach der letzten Sitzung der WohnraumAllianz am Montag. Das von ihr erschaffene Gremium, in dem von den Kommunen über Bau- und Wohnbranche bis hin zu Naturschutz- und Sozialverbände alle relevanten Akteure vertreten sind, sieht das etwas differenzierter. Ein Überblick:
Ist unter Grün-Schwarz mehr sozialer Wohnraum entstanden?
Um den Bestand an Sozialwohnungen im Land zu halten, müssten laut Studien pro Jahr 1500 neue hinzukommen, weil andere aus der Sozialbindung fallen. Seit 2016 entstanden stets mehr als 1500 Sozial-Mietwohnungen, weil sie gebaut oder umgewidmet wurden. Spitzenreiter ist das Jahr 2019, in dem 3040 Wohnungen geschaffen wurden. „Das ist schon eine beachtliche Leistung“, sagt Udo Casper, Landesgeschäftsführer des Mieterbunds, der von einer Verdoppelung im Vergleich zur vorigen Legislaturperiode spricht. „Das reicht aber bei weitem noch nicht, um den Bedarf zu decken.“Im Ländervergleich sei Baden-Württemberg weiter Schlusslicht. „Bayern schafft bezogen auf die Einwohnerzahl dreimal so viel.“Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) pocht auf mehr Anstrengungen. 2002 gab es laut DGB-Expertin Mia Koch 137 000 Sozialwohnungen im Land. Ende 2019 seien es noch 53 800 gewesen. „Wir müssen die Schallmauer von 100 000 Sozialwohnungen durchbrechen“, sagt sie.
Wie stark hat das Land den Bau von Wohnraum gefördert?
Das Land stellt über das Programm „Wohnungsbau BW“inzwischen jedes Jahr 250 Millionen Euro zur Verfügung. Das Geld soll vorwiegend für Sozialwohnungen, zudem für weiteren Wohnungsbau, aber auch zur Eigentumsförderung fließen. Das Problem: In den ersten Jahren sind viele Millionen nicht abgerufen worden. Das Programm für das Jahr 2019, das auch die ersten drei Monate von 2020 beinhaltet, wurde indes praktisch ausgeschöpft.
Welche Bau-Hürden sind gefallen? Viel Streit gab es in der grün-schwarzen Koalition um die Landesbauordnung. Einige Vorgaben sind in der Reform von 2019 gefallen oder wurwerden. den flexibler. Heiß umkämpft war etwa die bis dahin gültige Pflicht, pro neuer Wohnung zwei Fahrrad-Stellplätze zu schaffen. Wie strikt dies eingehalten werden muss, entscheiden inzwischen die Baurechtsbehörden der Kreise. Hinzu kamen viele weitere Flexibilisierungen – etwa beim barrierefreien Wohnen. Einfacher wurde zudem die Bürokratie: Baugenehmigungen sind digitaler und kürzer geworden. Zudem wurde es einfacher, die Städte dichter zu bebauen und Wohnhäuser aufzustocken. Es kamen aber auch neue Auflagen hinzu: So müssen bei Neubauten Leerrohre verlegt werden. Dadurch können bei Bedarf schnell Ladestationen für E-Autos angebaut Die FDP im Landtag kritisiert weitere neue Hürden „durch die Hintertür.“Gabriele Reich-Gutjahr verweist auf die Photovoltaikpflicht beim Bau von Nicht-Wohngebäuden. Die Grünen haben derweil angekündigt, diese Pflicht in einer möglichen neuen Regierung nach der Landtagswahl auch auf Wohnhäuser ausdehnen zu wollen.
Welche Hürden bleiben? Hoffmeister-Kraut nennt vor allem zwei Hemmschuhe: die ausgelastete Baubranche und zu wenige Bauflächen. Innerorts neue Flächen zu finden sei schwierig. Zwar gibt es laut einer Studie ein Potenzial von bis zu 350 000 neuen Wohnungen durch
Aufstockung. Die Studienmacher der Technischen Universität Darmstadt nennen aber Baubestimmungen als Hindernis und bezeichnen den Widerstand der Bevölkerung als „besonders beachtenswertes Hemmnis“. Bleibt also neues Bauland. Hierbei stehen sich vor Ort aber viele Interessen gegenüber: unter anderem Landwirtschaft, Naturschutz und ebenfalls Widerstand der Bürger. Doch ohne weitere Flächen sei es nicht möglich, ausreichend Wohnraum zu schaffen, betont etwa Gemeindetagspräsident Roger Kehle. Beim Artenschutz brauche es weitere Vereinfachungen, so Städtetagsvorstand Gudrun Heute-Bluhm.
Mit einem 100 Millionen Euro schweren Grundstücksfonds hilft das Land klammen Kommunen dabei, Baugrundstücke zu erwerben. Das reicht nicht, sagt die SPD im Landtag und fordert eine Landeswohnungsbaugesellschaft, durch die das Land selbst Wohnraum schaffen kann. Das lehnt die Ministerin ab. Es gebe schon genug Akteure am Markt. Udo Casper vom Mieterverein hält dagegen. Wohnungen entstünden nicht immer dort, wo sie gebraucht würden. In Mangelregionen könnte das Land selbst aktiv werden.
Fazit: War die Wohnraum-Allianz erfolgreich?
Allgemeiner Tenor: Ja. 80 Vorschläge hat das Gremium erarbeitet, etliches wurde umgesetzt. Städtetagsvorstand Gudrun Heute-Bluhm lobt etwa die „innovativen Elemente“wie den Grundstücksfonds und die Förderung von Wohnraum, der gezielt für Mitarbeiter von Unternehmen geschaffen wird. Gleich zu Anfang hat die Allianz eine Studie in Auftrag gegeben, um den Bedarf an Wohnraum zunächst zu beziffern. Die Ergebnisse der Prognos-Studie sind seitdem leitend: Demnach fehlen im Land insgesamt 88 000 Wohnungen – auch in wirtschaftsstarken ländlichen Gebieten. Manche Teilnehmer pochen darauf, das Gremium zu verkleinern und dadurch schlagkräftiger zu machen. Der Kreis sollte auf diejenigen beschränkt werden, die vom Thema betroffen sind, fordern etwa der Verband der Wohnungs- und Immobilienunternehmen und die Vereinigung kommunaler Wohnungsunternehmen.
Will die Ministerin nach der Landtagswahl weitermachen? Abgeneigt klingt sie nicht. „Alles ist offen, ich bin bereit für alles“, so Hoffmeister-Kraut. Schließlich sei sie jetzt tief im Thema.