Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schwere Vorwürfe gegen Schlachthof
Videoaufnahmen sollen Verstöße gegen Tierschutz belegen – Landratsamt reagiert
BIBERACH - „Katastrophalen Tierschutz“in baden-württembergischen Schlachthöfen, speziell bei der Betäubung von Tieren, kritisiert der Verein „Soko Tierschutz“in einer am Dienstagabend veröffentlichten Pressemitteilung und verweist dabei konkret auf Videomaterial, das, nach Aussagen des Vereins, zwischen Anfang Oktober und Mitte November im Schlachthof Biberach in der Bleicherstraße entstanden ist. Der SWR hatte am Dienstagabend in der Fernsehsendung „SWR Aktuell BadenWürttemberg“über das Thema berichtet, ebenso der MDR in der ARDSendung „Fakt“am selben Abend.
Noch vor den Sendungen hat sich Michael Koch, Geschäftsführer des Schlachthofs, am Dienstagmorgen gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“geäußert, allerdings ohne die Videoaufnahmen zu kennen. Ausschnitte daraus zeigte Friedrich Mülln vom Vorstand der „Soko Tierschutz“zwei SZ-Redakteuren am späten Dienstagnachmittag. Das Kreisveterinäramt Biberach zeigte sich am Abend „betroffen von den vorliegenden Videoaufnahmen über die Zustände in einem Biberacher Schlachthof“und kündigte Konsequenzen an.
„Ich habe von den Videoaufnahmen am vergangenen Freitagnachmittag erfahren, als mich ein Redakteur des MDR besuchte und mir sagte, es gebe schlimme Aufnahmen aus meinem Schlachthof“, sagte Koch am Dienstagmorgen. Der Journalist habe ihm diese aber nur unter der Bedingung zeigen wollen, wenn sich Koch beim Betrachten der Bilder filmen lasse und diese dann auch gleich kommentiere. „Ich fand das nicht in Ordnung und fühlte mich unter Druck gesetzt“, so Koch, weshalb er das Vorgehen abgelehnt habe. Er halte das für keine seriöse Arbeitsweise, bei der möglicherweise nicht der Tierschutz im Vordergrund stehe. Bis zu deren Ausstrahlung am Dienstagabend hatte er die Aufnahmen nach eigener Aussage deshalb noch nicht gesehen.
Die SZ hatte am Dienstagnachmittag die Möglichkeit, Ausschnitte aus dem Videomaterial zu sehen, das die „Soko Tierschutz“nach Aussage von Mülln mit versteckten Kameras in der Zeit vom 5. Oktober bis 16. November im Schlachthof Biberach aufgenommen haben will, jeweils an den Schlachttagen Montag und Freitag. Wer die Kameras dort angebracht hat und wie diese Person in den Schlachthof kam, sagte Mülln nicht.
Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie Schlachthofmitarbeiter zum Betäuben von Rindern das Bolzenschussgerät bei einzelnen Tieren mehrfach ansetzen müssen, weil dieses nur fehlerhaft oder gar nicht auslöst. „Das ist ein Bolzenschussgerät aus der Hölle, so etwas habe ich noch nie gesehen“, beschreibt Mülln. In solchen Fällen müsse immer ein Ersatzgerät bereitliegen und zum Einsatz kommen. „Es kann immer mal zu Fehlern kommen, aber hier passierte es regelmäßig über Wochen“, sagt Mülln zu den Videoaufnahmen. Diese zeigten außerdem, dass die eingesetzte Tötungsbox „vorsintflutlich“sei, weil die Rinder darin nicht fixiert werden könnten und ein sicherer erster Betäubungsschuss somit kaum möglich sei. „Das ist auch gefährlich für das Personal, weil die Tiere sich in ihrer Panik wehren können“, so Mülln.
Die Aufnahmen legten seiner Beobachtung auch den Verdacht nahe, dass manche Rinder und Schweine nicht richtig betäubt seien, weil sie sich aufbäumten, den Kopf hoben, sich wehrten oder längere Schnappatmung zeigten. In einem solchen Fall müsse normalerweise überprüft werden, ob die Tiere wirklich betäubt seien oder ob nachbetäubt werden müsse, bevor man das Messer ansetze. Er sehe auch nirgendwo ein Einschreiten von einem Amtsveterinär, der eigentlich anwesend sein müsste. Mülln kritisiert außerdem das mehrfach rechtswidrige Einsetzen von Elektroschockern bei Rindern. Sein Fazit: Das Bildmaterial von sechs Schlachttagen, an denen etwa 1500 Schweine, circa 72 Rinder, 19 Schafe und ein Esel geschlachtet worden seien, offenbare rechtswidrige Gewalt, mangelhafte Betäubung, schrottreife Technik und ein Personal, das maximales Desinteresse zeige. Er werde nun Strafanzeige gegen den Schlachthof erstatten und die Aufnahmen den Behörden, auch dem Veterinäramt, zur Prüfung zur Verfügung vorlegen.
Die Familie Koch hat den Biberacher Schlachthof in der Bleicherstraße, der unmittelbar an das Betriebsgelände der Familienmetzgerei angrenzt, im Jahr 2000 übernommen. Bis dahin gehörte der Schlachthof der Stadt. Er ist der einzige im Landkreis, die nächsten liegen in Mengen und Ulm. Seit 2016 ist Michael Koch Geschäftsführer des Schlachthofs. Er sagte am Dienstag: „Wir werden ständig vom Veterinäramt kontrolliert, wir halten den Tierschutz ein, es gibt keine Tierquälerei bei uns. Aber ich habe die Befürchtung, man will mir etwas anhängen.“Was die Bewegungen der Tiere nach der Betäubung betreffe, so müsse er widersprechen. Es können nach der Betäubung bei fast allen Tieren starke Konvulsionen auftreten. Das weise nicht sofort auf eine mangelnde Betäubung hin.
Für jedes Schwein, das elektrisch betäubt werde, gebe es ein zuordenbares Betäubungsprotokoll des eingesetzten Geräts, ob die Betäubung richtig funktioniert habe. Außerdem werde am Band durch die Mitarbeiter eine Betäubungskontrolle in unregelmäßigen Abständen vorgenommen, so Koch. Er selbst betrachte sich als Tierschützer in Schlachthof und Metzgerei. „Das betreiben wir seit Jahren“, so Koch. Er achte auf kurze Transportwege. Rund 25 Bauern liefern laut Koch Tiere nach Biberach an, eine „höhere zweistellige Zahl“an Metzgerkunden beziehen Ware aus dem kleinen Schlachthof mit seinen rund 25 Mitarbeitern. „Die wissen über die Sache Bescheid und stehen alle hinter mir“, so Koch.
Erst an diesem Montag habe es eine turnusmäßige, mehrstündige Kontrolle des Schlachthofs durch das Regierungspräsidium Tübingen mit dem Landratsamt gegeben, bei dem es keine Beanstandungen in Sachen Tierschutz gegeben habe. Man wolle aber das Videomaterial sehen, um beurteilen zu können, ob es zu Versäumnissen gekommen sei, sagt Erwin Salzgeber, der als Berater für den Schlachthof Biberach tätig ist. „Wir halten den Tierschutz sehr hoch. Sollte es da zu einem Fehler gekommen sein, wird der bewertet und es gibt heftigste Konsequenzen – und zwar nicht irgendwann, sondern sofort.“Die Betäubung eines Tieres sei ein sehr sensibler Bereich.
Das Kreisveterinäramt hatte bis Dienstagabend auch einige der Videoaufnahmen gesehen. In einer ersten Bewertung kommt es zum Schluss, dass tierschutzrechtliche Verstöße vorliegen, teilt das Landratsamt in einer Pressemitteilung mit.
Man werde die dargestellten Vorgänge lückenlos aufklären und Strafanzeige erstatten. Man prüfe auch, ob der Betrieb unter diesen Umständen überhaupt noch weiter aufrechterhalten werden könne, so das Landratsamt. Die von Koch genannte Kontrolle des Veterinäramts gemeinsam mit dem RP Tübingen am Montag habe unabhängig von den Videoaufzeichnungen „Mängel im Schlachthof aufgezeigt“, widerspricht das Landratsamt Kochs Darstellung. Die Tötungsbox für Rinder sei für die Tiere verletzungsgefährlich. Deshalb wurde deren Nutzung vom Amt untersagt, bis der Mangel behoben wird.