Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Absturz vorerst abgewendet
Nur eine städtische Finanzspritze bewahrt die Messe Friedrichshafen vor der Insolvenz – Unsichere Aussichten
RAVENSBURG/FRIEDRICHSHAFEN Sieben Millionen Euro sind es, die für die Messe Friedrichshafen über alles oder nichts entscheiden – darüber, ob das Unternehmen am Bodensee zahlungsfähig bleibt oder nicht. Für diese sieben Millionen Euro wurden Messechef Klaus Wellmann und Finanzchef Stefan Mittag am vergangenen Montag beim Friedrichshafener Gemeinderat vorstellig. Über die Power-Point-Präsentation an der Wand flackerten Zahlen und Grafiken, während die Messemacher alles taten, um für ihr Unternehmen zu werben. Letztlich mit Erfolg. Die Stadt als Hauptgesellschafterin, bewilligte die Finanzspritze am Montagabend und verhinderte damit die Insolvenz einer der größten Messen Baden-Württembergs. Doch: Die Pandemie ist noch nicht überwunden und damit bleiben die Herausforderungen für Messechef Klaus Wellmann und sein Team.
Die vergangen Monate waren hart. Seit Beginn der Pandemie konnte in Friedrichshafen nur eine einzige Messe stattfinden. Die Wassersportschau Interboot zog im September in abgespeckter Version in die Hallen, nachdem das Land die Corona-Maßnahmen gelockert hatte. Die Messemitarbeiter hatten in wochenlanger Arbeit und in Abstimmung mit den Behörden ein Hygienekonzept entwickelt, das „vorbildlich“war, wie Wellmann im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“sagt. Die Interboot sei reibungslos abgelaufen und obendrein auch wirtschaftlich erfolgreich für die Aussteller gewesen. „Da dachten wir, dass wir Stufe 1 geschafft haben und darauf aufbauen können.“
Doch dann kam zunächst das Beherbergungsverbot, das verhinderte, dass Aussteller anreisen konnten und dann der zweite Lockdown. „Wir sind sozusagen wieder bei Null angelangt“, sagt Wellmann. Im Oktober musste die für November geplante und zuvor bereits verschobene Fahrradmesse Eurobike – ein Aushängeschild in Friedrichshafen – endgültig abgesagt werden. „Das war vergleichbar mit einem Sportereignis auf das man monatelang hintrainiert. Man fühlt sich topvorbereitet, doch dann fällt das Rennen kurz vor Start plötzlich aus. Das tut weh“, sagt Wellmann, der früher selbst ein erfolgreicher alpiner Skiläufer war.
Eine Messe nach der anderen fiel also aus. Das drückt auf die Bilanz. 2020 verzeichnet die Messe, laut Stefan Mittag, einen Umsatzrückgang gegenüber den ursprünglichen Planungen von 85 Prozent. Am Ende bleibe ein Umsatz von rund sechs Millionen Euro übrig. 2019 waren es noch 26,6 Millionen Euro.
Schloss die Messe vergangenes Jahr noch mit einem positiven Jahresergebnis
von 270 000 Euro ab, reißt die Corona-Krise in diesem Jahr ein tiefes Loch in die Kasse. Man werde alles tun, um den Betrag noch zu verringern, aber gehe im Moment von einem Verlust von rund 13,8 Millionen Euro aus, sagt Mittag.
Parallel dazu sind die Rücklagen der Messe aufgebraucht. Hintergrund ist, dass die Messe in zwei Gesellschaften aufgesplittet ist. Die für das operative Geschäft zuständige Betriebsgesellschaft überweist jährlich Miete an die Besitzgesellschaft, die, weil sie die Messehallen einst finanziert hat, heute noch die Darlehen abzahlt. Da die Messe in den vergangenen Jahren gut gewirtschaftet hatte, zahlte die Betriebsgesellschaft mehr Miete, als sie vertraglich musste und reduzierte damit die Schulden innerhalb von elf Jahren um die Hälfte auf nun noch 37 Millionen Euro. Corona konnte ja keiner voraussehen. Jetzt aber fehlen die flüssigen Gelder.
So blieb am Montag nur der Gang in den Gemeinderat – mit der dringenden Bitte um sieben Millionen Euro im Gepäck. „Wir sind erleichtert, dass wir diesen breiten Rückhalt des Gemeinderates der Stadt Friedrichshafen bekommen haben“, sagt Wellmann. Zwei Millionen Euro braucht das Unternehmen quasi sofort, um das Personal und die Rechnungen für laufende Kosten des 123 000 Quadratmeter großen Messegeländes zahlen zu können. Die restlichen fünf Millionen Euro benötigen Betriebs- und Besitzgesellschaft als Kapitalzuschuss für das kommende Jahr.
Zusätzliche staatliche Unterstützung sei „nur bedingt möglich“, wie Mittag sagt. „Unsere Struktur mit öffentlichen Gesellschaftern schließt uns da von vielen Programmen aus“. Die Überbrückungshilfen jedoch könne auch die Messe beantragen. „Wir schöpfen aus, was wir können“, sagt Mittag. Die Beträge seien aber im Verhältnis zu dem entstanden Corona-Schaden gering. „Aus den Überbrückungshilfen I und II im Jahr 2020 bekommen wir insgesamt maximal 350 000 Euro.“
Von der Politik im Stich gelassen fühlt sich Messechef Wellmann am Ende auch nicht wegen geringer finanzieller Hilfen, sondern eher wegen des erneuten Messeverbots. „Wenn man gewisse Handelsformen erlaubt, beispielsweise ein Möbelhaus öffnet, uns aber schließt, dann ist das nicht in Ordnung, weil wir sind ja nichts anderes als eine Handelsplattform“, sagt Wellmann. Die Messe sei in der Lage auf ihrem Gelände Besucherströme zu kontrollieren, Gänge zu verbreitern, und nachzuvollziehen, wer sich auf dem Gelände befindet. „Wir würden dementsprechend erwarten, dass man uns anders einordnet.“Jetzt gehe es darum, wieder in die Verhandlungen mit der baden-württembergischen Regierung einzutreten, um diesem Standpunkt Nachdruck zu verleihen, „dabei waren wir in dieser Sache im Sommer schon viel weiter“, sagt er.
Eine Lage, bei der man resignieren könnte. Umso überraschender ist es, dass Wellmann und sein Team trotzdem Pläne schmieden – und zwar mit viel Selbstbewusstsein. Zwar würde in den kommenden Jahren weiterer Finanzbedarf bestehen – die Messe rechnet mit drei Millionen Euro jährlich – aber „ab 2023 wollen wir uns wenn es nicht nochmal zu massiven Einschnitten kommt im operativen Geschäft wieder selbst tragen“, sagt Wellmann.
Auch geht der Messechef davon aus, dass bei sinkenden Infektionszahlen die Kuchenmesse My Cake im kommenden Februar durchaus stattfinden kann. „Da bekommen wir gute Signale von den Unternehmern, die kommen wollen“, sagt Wellmann. Etwa bis März kalkuliere die Messe dann noch mit weiteren Einschränkungen und Einbußen, aber danach soll es aufwärts gehen und die Messe wieder Wirtschaftsmotor werden. „Laut einer Studie des Ifo-Instituts aus dem Jahr 2015 haben wir jährlich 145 Millionen Euro an Kaufkrafteffekten für die Stadt und die Region geschaffen. Defensiv gerechnet, dürften wir auch in naher Zukunft wieder die erkleckliche Summe von 100 Millionen Euro an Kaufkraft in Stadt und Region spülen. Allein dies dürfte es wert sein, dass die Stadt jetzt einspringt und das Messegeschäft am Leben erhält“, sagt er. Aber natürlich sei es für die Stadt keine leichte Situation. Schließlich musste sie erst am 16. November dem Flughafen in Friedrichshafen wegen der Corona-Krise eine Finanzspritze von 30 Millionen Euro gewähren. „Aber wir wollen uns nicht auseinander dividieren lassen. Es gibt Europas Leitmessen in Friedrichshafen nicht mehr, sollte es den Bodensee Airport nicht mehr geben.“Der Flughafen gewährleiste die Erreichbarkeit der Messe vor allem für internationale Gäste. Also gäbe es idealerweise sowohl für die Messe und ebenso den Flughafen eine Lösung.
Auch die im Sommer geübte Kritik der Grünenfraktion des Friedrichshafener Gemeinderats, dass die Messe nach der Krise nicht mehr zu ihrer ursprünglichen Form zurückfinden werde, will Wellmann nicht gelten lassen. Natürlich müsse Messe ständig neu gedacht werden, aber digitale Formate könnten die Präsenzmesse mit persönlichen Kontakten einfach nicht ersetzen.
Also macht die Messe weiter, plant die nächsten Veranstaltungen und lässt derweil die Friedrichshafener Volleyballer in den Hallen spielen. Neben der bereits eingerichteten Fieberambulanz, kann sich Wellmann auch ein Impfzentrum auf dem Gelände vorstellen – alles, was hilft und Miete bringt. Schließlich geht es für die Messe um alles oder nichts.