Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schlechtes Gewissen bleibt zu Hause
Die ersten deutschen Urlauber sind wieder unterwegs Richtung Mallorca – Nicht alle heißen das gut
Nach Wochenenden ist bei der Interpretation der Zahlen zu beachten, dass meist weniger Personen einen Arzt aufgesucht haben. Dadurch wurden weniger Proben genommen. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Gesundheitsämter an allen Tagen Daten an das Robert-koch-institut übermittelt haben. In der Tabelle werden die zu Redaktionsschluss neuesten verfügbaren Zahlen angegeben. Dadurch kann es zu Abweichungen zu nationalen und lokalen Zahlen kommen. Die 7-Tage-inzidenz bildet die Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ab. Quellen: Robert-koch-institut von Sonntag, 9.00 Uhr; Landesgesundheitsamt Badenwürttemberg von Sonntag, 16 Uhr; Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit von Sonntag, 8 Uhr.
(dpa) - Noch vor Ostern zurück auf die Balearen, die ersten Tui-maschinen heben ab: Nach monatelangen Reisebeschränkungen sind am Sonntag etliche Urlauber Richtung Mallorca aufgebrochen. Aber nicht jeder findet die Öffnungen zum jetzigen Zeitpunkt gut. Bundesfinanzminister und Spdkanzlerkandidat Olaf Scholz hat angesichts des Corona-infektionsgeschehens sogar vor einer Reisewelle zu Ostern gewarnt.
Mit viel Vorfreude auf Sonne und Strand, aber wenig schlechtem Gewissen sind am Sonntag die ersten Urlauber aus Deutschland nach Mallorca gestartet. Nach monatelanger Corona-zwangspause bietet Tui wieder Flüge auf die beliebte Ferieninsel an. „Wir wären auch gerne mit dem Wohnwagen in Deutschland irgendwohin gefahren – auf den Campingplatz, ein paar Tage raus, aber das geht ja nicht“, erzählten Kevin Burgess und seine Partnerin Gabi am Flughafen Hannover kurz vor Abflug. Leben in der Pandemie gehe ihm nach mehr als einem Jahr auf die Seele, so der in Hildesheim wohnende Burgess. „Ich hab Homeoffice, ich verlasse das Haus kaum, und irgendwann reicht es mir auch. Ich glaube, es geht vielen Deutschen auch so, dass sie keine Lust mehr haben.“
Die Flucht aus dem belastenden Corona-alltag auf die Insel wird aber derzeit heftig diskutiert. Nach Auslaufen der Reisewarnung für die Balearen vor einer Woche haben Airlines wie Eurowings oder nun Tuifly wieder Verbindungen aufgenommen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presseagentur lehnten 65 Prozent die beschlossene Aufhebung der Quarantäne und Testpflicht für Rückkehrer von der spanischen Ferieninsel ab. Nur 22 Prozent halten diesen Schritt für richtig.
„Wenn die Inzidenzwerte hier in Deutschland höher sind, kann ich das politisch verstehen“, sagte Urlauberin Cornelia Wilke, die sich wie viele ihrer Mitreisenden auf Ablenkung und einen Tapetenwechsel freut. Man könne nicht dauerhaft im Lockdown bleiben und die Menschen leiden lassen, „da macht man ja auch die Wirtschaft mit kaputt“. Zu Hause sei das Risiko, sich anzustecken, wahrscheinlich größer, erklärte Natascha Schiller-blindo. „Die Inzidenz ist ja sehr niedrig, die Sicherheitsmaßnahmen sind groß. Und wir haben die Tests gemacht.“
Urlauber Marcus aus Berlin hat weniger Bedenken: „Wir waren im November auf Lanzarote und haben gesehen, dass es klappt. Wir gehen auch davon aus, dass es genauso leer sein wird und sehen keine großen Probleme.“Seinen Nachnamen will der 35-Jährige nicht öffentlich machen. „Wir sind halt eine Neidgesellschaft. Da habe ich jetzt auch kein Interesse, mich zu rechtfertigen, das ist meine Entscheidung.“
Die Nachfrage für Mallorca ist laut Tuifly sehr stark, allerdings noch lange nicht auf dem Niveau vom Ostergeschäft 2019. Die Hotels auf der Insel wurden seit Tagen vorbereitet und das zuvor geplante Angebot ausgeweitet. So hätten nun zehn Prozent der rund 1000 Hotels auf der Insel geöffnet, sagte ein Sprecher. Am Sonntagvormittag hoben zwei Tuifly-maschinen am Firmensitz in Hannover-langenhagen ab. Gut 160 der knapp 190 Plätze waren der Airline zufolge im ersten Flieger belegt, der zweite war nahezu ausgebucht. Auch von Düsseldorf und Frankfurt bot Tuifly je zwei Verbindungen an, von Stuttgart einen Flug. Zum 26. März soll München als Abflughafen hinzukommen.
Marlen Wendt aus Hamburg steigt in Hannover mit gemischten Gefühlen ins Flugzeug: „Erst war die Freude da und nachdem wir dann gebucht hatten natürlich auch Sorge und Angst: Wie denken Freunde und Nachbarn darüber?“Aber es sei nun mal kein Risikogebiet mehr. „Wir fahren da ja auch nicht hin, um Party zu machen, sondern Familienurlaub in den Bergen“, erklärte die 42-Jährige aus Hamburg. „Da stellen wir glaube ich für Land und Leute auch nicht so eine Gefahr dar.“Wenn sie im Flugzeug sitze, werde die Freude auch zurückkommen, ist sich Wendt sicher. Ihre zweieinhalbjährige Tochter freue sich ohnehin aufs große Meer und die Muscheln am Strand.
Die Bundesregierung hatte sich selbst dazu verpflichtet, die Reisewarnung für ein Land oder eine Region aufzuheben, sobald die Zahl der Neuinfektionen unter 50 pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche sinkt. Sie rät aber trotzdem weiterhin generell von touristischen Reisen im In- oder ins Ausland ab. Stephan Weil, Ministerpräsident im Tuistammland Niedersachsen, forderte die Bundesregierung auf, dies rückgängig zu machen. Die Aufhebung sei „ein schwerer Fehler“, sagte der Spd-politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Noch mag das Infektionsgeschehen auf Mallorca unkritisch sein, aber wenn über Ostern Menschen aus ganz Europa auf der Insel zusammenkommen, haben wir sofort wieder einen neuen Hotspot.“Gleichzeitig unterstützte er aber den Vorschlag der Küstenländer Mecklenburg-vorpommern, Schleswig-holstein und Niedersachsen, die auf dem Coronagipfel am heutigen Montag für die Möglichkeit des Osterurlaubs ihrer eigenen Bewohner werben. Nur innerhalb des jeweils eigenen Bundeslandes solle Urlaub in Einrichtungen mit Selbstversorgung und eigenen sanitären Anlagen wie in einer Ferienwohnung, einem Ferienhaus oder einem Wohnwagen/wohnmobil zulässig sein, erklärten die drei Bundesländer am Sonntag. Für die angrenzenden Stadtstaaten Hamburg und Bremen seien gesonderte Regeln nötig. Als Voraussetzung müsse ein negativer Schnelltest kurz vor der Anreise vorgelegt werden. Weitere Bedingungen wie Hygienekonzepte und Kapazitätsbeschränkungen seien auf Landesebene
zu treffen. Ihre Initiative begründeten die drei Bundesländer auch mit der Erlaubnis für Urlaubsreisen nach Mallorca über Ostern – vor diesem Hintergrund stoße bei vielen Bürgern auf Unverständnis, dass Kurzurlaube in Deutschland nicht möglich seien. Weil erklärte, der Vorschlag eröffne „in einem eng begrenzten Bereich eine Alternative für einen sicheren Urlaub in der Heimat.“
Während Spanien öffnet, machen andere Länder dicht: Wegen der dramatischen Entwicklung der Coronapandemie in Brasilien sind die weltberühmten Strände der Millionenmetropole Rio de Janeiro für Badegäste gesperrt worden.
Das Robert-koch-institut hat Polen am Wochenende als Coronahochinzidenzgebiet eingestuft. Deshalb gelten seit Sonntag strenge Regeln für die Einreise nach Deutschland. Reisende aus Polen müssen an der Grenze einen negativen Coronatest vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Ausnahmen von den strengen Regeln gelten für Berufspendler und für Menschen, die in Deutschland Bildungsangebote wahrnehmen.