Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Verkehrswende in Gefahr
ZF trotz guter Zahlen besorgt – Autozulieferer sieht Politik bei Ladesäulen und grünem Strom in der Pflicht
- Für Wolf-henning Scheider, den Chef des Automobilzulieferers ZF, der seine Worte zumeist sehr diplomatisch setzt und genau abwägt, was er sagt, sind es deutliche Worte gewesen. Worte, mit denen der 59-jährige Manager, die Politiker in Brüssel und Berlin aufforderte, die auf den Weg gebrachte Klimapolitik in ihren Konsequenzen zu Ende zu denken. Und dann danach zu handeln.
Im Kern geht es Scheider um das „Fit for 55“-Programm, das die Europäische Union im Juli vorgestellt hat und mit dem die Gemeinschaft den Ausstoß von Kohlendioxid um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren will. „Der Plan ist sehr ambitioniert, er ist in sich richtig, er ist erforderlich – und er sieht quasi ein Verbot von Verbrennungsmotoren von 2035 an vor“, sagte Scheider bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen seines Unternehmens am Donnerstag. „Das steigert zwar die Nachfrage nach rein elektrischen Antrieben, doch es wird sehr schwer sein, die Balance zwischen Klimaschutz, Beschäftigung und den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen herzustellen.“
Und bei diesem Balanceakt sieht Scheider die Politik vor allem in einem Bereich gefordert – der Infrastruktur. „Es braucht daher einen klaren Plan zum Aufbau – von der Stromerzeugung über die Stromnetze bis hin zur Ladeinfrastruktur“, sagte der Zf-chef. Um alle Elektroautos, die Europa benötigt, um die „Fit for 55“-Vorgaben zu erfüllen, 2030 aufzuladen, müssten bis dahin jede Woche europaweit zwischen 13 000 und 14 000 neue Ladesäulen in Betrieb genommen werden, rechnete Scheider vor. „Das wird nicht funktionieren, ohne dass da starke Unterstützung von den Regierungen kommt.“Im Moment entstehen im Bereich der EU nur 2000 Ladesäulen pro Woche.
Doch nicht nur die Frage danach, wie und an welchen Orten die Antriebsenergie in die neuen Autos kommt, sei eine offene Baustelle. Auch das Problem, woher der im Hinblick auf die Klimaziele grüne Strom überhaupt kommt, sei ungelöst.
„Wenn es beim Aufbau von Windkraft und beim Ausbau der Stromtrassen keine deutliche Beschleunigung gibt, dann sehe ich nicht, wie die für die Klimawende notwendige Menge an erneuerbaren Energien erreicht werden soll“, erklärte Scheider. „Wir hoffen, dass die nötige Entbürokratisierung für den Ausbau der Windkraft endlich kommt.“
Im Interview mit dem „Handelsblatt“hatte Scheider zudem „Ehrlichkeit der Politik gegenüber der Bevölkerung“gefordert. Klar sei, dass das „Fit for 55“-Programm erhebliche Auswirkungen auf die Anzahl der
Beschäftigten haben wird. Hintergrund ist, dass die Wertschöpfung bei Elektromotoren und allen zugehörigen Komponenten im Vergleich zu Systemen mit Verbrennungsmotoren wesentlich geringer sei. Sprich, dass die Elektroautos aus weniger Einzelteilen bestehen, für die die Unternehmen weniger Mitarbeiter brauchen. „In der Automobilindustrie werden Stellen verloren gehen – je schneller der Verbrennerausstieg kommt, desto heftiger.“
Forderungen nach staatlicher Unterstützung für Unternehmen, die aufgrund der „Fit for 55“-Vorgaben in
Schwierigkeiten kommen, seien zum jetzigen Zeitpunkt zu früh. „Aber wir werden uns genau ansehen, wie sich das Programm auf die Beschäftigung auswirkt“sagte Scheider. „Die Zahl der Mitarbeiter wird sich reduzieren – und da können Gespräche mit der Politik sinnvoll werden, um Industriezweige zu identifizieren, die gestützt werden können, damit die Beschäftigten eine Perspektive haben.“
ZF hat vor dem Hintergrund dieser Entwicklung im vergangenen Jahr mit Betriebsrat und Gewerkschaft den sogenannten Tarifvertrag Transformation geschlossen, ein Spar- und Zukunftskonzept, das einerseits die unmittelbaren Umsatz- und Absatzeinbrüche im Zuge der Corona-pandemie kompensieren und den Konzern andererseits auf die elektromobile Zukunft vorbereiten sollte. Kern der Vereinbarung ist das Versprechen von ZF, die Arbeitsplätze der 50 000 in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter bis Ende 2022 zu sichern, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten und alle Standorte in Deutschland bis zu diesem Datum zu erhalten. Dafür darf ZF im Gegenzug die personellen Kapazitäten durch eine Reduzierung der Arbeitszeit bis zu 20 Prozent, durch Altersteilzeit und Abfindungen anpassen. In diesem Rahmen laufen zudem seit Juni 2020 an allen Zf-standorten in Deutschland Gespräche über die künftigen Zielbilder. „Wir haben an den meisten Standorten Perspektiven erarbeitet, für einige wenige haben wir allerdings noch keine Perspektiven gefunden“, sagte Scheider am Donnerstag. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass am Ende dieses Prozesses auch Standorte ganz geschlossen werden.“
Wenn es zu Schließungen von Zfstandorten in Deutschland kommt, werden das vor allem Standorte sein, die Teile für Verbrennungsmotoren herstellen. Denn klar ist auch, dass die Geschäfte mit Produkten für die neue Welt, mit Elektromotoren, Fahrerassistenzsystemen aber auch automobilen Softwarelösungen mehr und mehr ins Laufen kommen. Das zeigen die Zahlen, die Scheider und sein Finanzchef Konstantin Sauer neben den warnenden Worten am Donnerstag ebenfalls vorstellten. „Wir haben von der wirtschaftlichen Erholung unserer Branche in vielen Märkten profitiert und erfreuliche Abschlüsse gemacht zum Beispiel in der E-mobilität und bei Fahrerassistenzsystemen“, sagte Scheider.
Die weltweit rund 150 000 Mitarbeiter des Friedrichshafener Traditionsunternehmen steigerten den Umsatz von ZF im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, der ganz im Zeichen der beginnenden Corona-pandemie stand, um 43 Prozent auf 19,3 Milliarden Euro. Der bereinigte operative Gewinn belief sich in den ersten sechs Monaten auf 1,009 Milliarden Euro – nach einem Verlust von 177 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2020. „Wir haben das Momentum aus dem Ende des vergangenen Jahres aufgegriffen“, sagte der Zfchef mit Blick auf das zweite Halbjahr 2020. Die bereinigte Umsatzrendite beträgt damit 5,2 Prozent. Finanzchef Konstantin Sauer führte die guten Ergebnisse neben den anziehenden Automärkten und Vorteilen aus der Übernahme des belgischamerikanischen Bremsenherstellers Wabco auch auf die im Frühjahr 2020 auf den Weg gebrachten Sparprogramme zurück. „Die strukturellen Anpassungen und die Kostensenkungen haben einen wesentlichen Beitrag geleistet“, sagte Sauer.
Das Unternehmen hält angesichts der Entwicklung im ersten Halbjahr an seiner Umsatzprognose von 37 bis 39 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2021 fest und geht mittlerweile davon aus, im oberen Bereich der Schätzung zu landen. Die Umsatzrendite erwartet Scheider im Bereich zwischen 4,5 und 5,5 Prozent. „Wir spüren eine starke Nachfrage nach unseren Produkten“, sagte Scheider. „Das erste Halbjahr war sehr positiv, aber natürlich wird uns der Mangel bei Halbleitern und Rohstoffen weiter beschäftigen und von unserem Beschaffungswesen große Anstrengungen verlangen.“
Anstrengungen, die im Vergleich zu den kommenden Herausforderungen trotzdem bewältigbar sind. Denn die wirklichen Prüfungen warten in den Vorgaben, die nicht von den Weltmärkten, sondern von den politischen Programmen aus Berlin und Brüssel abhängen.