Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Als in Neu-ulm ein Teil von Amerika lag
Vor 30 Jahren ist die Us-armee aus der Stadt abgezogen – Ein Amerikaner erinnert sich
- Am 26. Juli 1991 zog das Us-militär aus Neu-ulm ab. Wie viele Emotionen mit der vierzigjährigen Stationierung von bis zu 9000 amerikanischen Soldaten und ihren Angehörigen verbunden sind und waren, zeigte zum Auftakt einer Erinnerungs-aktionswoche 30 Jahre nach dem Abzug der Truppen eine Podiumsdiskussion im Wiley Club. Da saßen sich unter anderem zwei gegenüber, die fast den gleichen Familiennamen tragen: Jerry Aman auf der Bühne, Hans-joachim Amann im Publikum. Sie standen in der Anfangszeit des Fraternisierungsverbots auf zwei verschiedenen Seiten und haben doch jede Menge positive Erinnerungen an jene Besatzungszeit. Das Wort Integration, betonen beide, habe man damals noch gar nicht gekannt. Gelebt aber habe man sie. „Und es war toll!“
Jerry Aman, ziviler Angestellter des Us-militärs mit deutschen Vorfahren, trat 1972 eine Stelle in Neuulm an, von Nürnberg her kommend. Er war für die Pershing-überwachung zuständig. Anfangs fühlte er sich in Neu-ulm derart auf dem Lande, dass er mit seiner Frau sogar einmal nach Nürnberg zum Essen fuhr. „In Neu-ulm war abends tote Hose“, erzählt er. Lange würde er hier nicht bleiben, war seine Vorstellung doch der inzwischen 78-Jährige ging selbst 1991 nicht mit zurück in die USA er hatte sich in die Region verliebt und in sein Deutsch, dem man auch den Us-amerikaner noch deutlich anmerkt, hat sich ein breites Schwäbisch gemischt.
Aman hat sich in vielen Vereinen engagiert, er ist Vorsitzender der Neu-ulmer Außenstelle des Veteranenverbandes American Legion und der Donau Americans and Friends. Mit dem Wiley Club selbst verbindet Jerry Aman wenig Erinnerungen. „Der war für die Mannschaft“, sagt er mit Blick auf die lange, schwarz glänzende Metalltheke. „Sie war tatsächlich die längste Bar Deutschlands“, schmunzelt er. Wahrscheinlich sei sie es noch heute. Er selbst, erzählt Jerry Aman, trank sein Bier lieber im Donau Casino, dem späteren Barfüßer. Eigentlich hatten die amerikanischen Streitkräfte auch infolge des Fraternisierungsverbotes alles auf dem eigenen Gelände, was logistisch nötig war: Lebensmittelgeschäfte, Kleiderladen, eine Kirche. Es sollte keinesfalls notwendig sein, sich mit der einheimischen Bevölkerung einzulassen.
Aber da war diese Neugier auf diese Menschen, und da war die Neugier der Menschen auf die Amerikaner. „Es war ein einziges großes Abenteuer“, erzählt Zeitzeugin Sarah aus dem Publikum, die in der Fertigung
von Pershing-raketen tätig gewesen war. Auch wenn Pfarrer es nicht gern sahen, wenn sich Mädchen auf die Amerikaner einließen: Sie hatten Jeans und Turnschuhe an, sie hatten Pommes, Eis und paniertes Chicken, sie hatten Jazz und Rock’n’roll Cola und Süßigkeiten, Rasierwasser und große Autos, wird von Zeitzeugen in einem Film berichtet, den das Theater Luftschloss drehte. Umgekehrt, so erzählen Jerry Aman und Sarah aus dem Publikum im Wiley Club, gab es auch für sie aufregend Neues: Sauerkraut, Bier, Schupfnudeln, der Weihnachtsmarkt ... Da war so viel Interessantes, Faszinierendes. Und, ach ja, das Bier überhaupt: Wenn es Probleme zu lösen gab, dann ging man die beim Bier an. Auf dem Volksfest, im Bierzelt, das man miteinander besuchte. „Und plötzlich waren wir alle Freunde.“
Auf eine Idee von Jerry Aman ging ein Programm zurück, das in der Region lange Zeit praktiziert wurde und das dauerhafte Freundschaften schließen ließ: Einheimische Familien luden amerikanische Soldaten zu sich zum Heiligen Abend ein. „Viele Amerikaner hatten zuerst Hemmungen“, erzählt Aman weil sie wussten, dass Weihnachten in Deutschland ein sehr emotionales Fest ist. Dann gab es ein erstes Kennenlernen interessierter amerikanischer Soldaten und deutscher Familien im Barfüßer. „Und es war wie beim Highschool Dance“, schmunzelt er.
Eine andere heitere Episode steuerte Hans-joachim Amann bei: Die Amerikaner gaben den deutschen Kindern Pepsodent-zahncreme, um sie zur Zahnpflege zu ermuntern. Doch die schmeckte nach Pfefferminze. Also strich er sich die Zahncreme aufs Brot, weil sie so lecker war. Sein Leben sei geprägt von dem, was er als Jugendlicher durch die Amerikaner in der Stadt kennenlernte, erzählt Amann. „Die Amerikaner waren für uns die Vorbilder!“
„Jetzt schwätz halt a bissle mit dem“, heißt das Büchlein, das der langjährige Organisationsleiter des Ulmer Schwörmontags vor drei Jahren veröffentlicht hat.