Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kulturlandschaft, Co2-speicher, Wirtschaftsfaktor
Der Wald ist mehr als eine Ansammlung von Bäumen – Doch wie mit ihm umgegangen werden soll, ist umstritten
- Die Deutschen haben eine besondere Beziehung zum Wald, sagt man. Doch wie schlecht es den Wäldern in Deutschland geht, nehmen die meisten nicht wahr. Viele Bäume leiden unter Stürmen, Dürren und vor allem unter der massiven Ausbreitung des Borkenkäfers. Wie soll es mit dem Wald und seiner Nutzung weitergehen? Diese Frage ist auch Thema eines Waldgipfels, den der ebenso prominente wie umstrittene Förster Peter Wohlleben im rheinland-pfälzischen Wershofen ausrichtet. Doch nicht alle Akteure, die beim Wald etwas zu sagen haben, werden dabei sein. Im Folgenden die wichtigsten Fragen und Antworten zum „Nationalen Waldgipfel 2021“und zu den Strategien in Bund und Ländern, den Wald zu retten.
Wie geht es dem Wald – und warum beschäftigen sich Politiker, Forstleute und Umweltschützer so intensiv mit ihm?
Die Waldschäden in Deutschland haben in den vergangenen Jahren massiv zugenommen – vor allem in Hessen, Sachsen, Sachsen-anhalt, Thüringen, Nordrhein-westfalen und Niedersachsen sind Millionen Bäume schwer geschädigt oder flächig abgestorben. Laut Bundeslandwirtschaftsministerium beträgt die geschädigte Waldfläche, die wieder zu bewalden ist, rund 284 000 Hektar. Den forstwirtschaftlichen Schaden beziffert eine Sprecherin des Ministeriums nach einer ersten Berechnung von Ende 2020 auf zirka zwölf bis 13 Milliarden Euro. Diese Summe macht klar: Der Wald ist auch ein großer Wirtschaftsfaktor in Deutschland, von seiner Nutzung hingen Ende 2018 rund 735 000 Arbeitsplätze in der Forst- und Holzwirtschaft ab. Auf der anderen Seite sind Bäume natürliche Kohlenstoffspeicher – ohne sie wären die ehrgeizigeren Klimaziele in Deutschland kaum zu erreichen. Nach Zahlen aus dem Waldbericht der Bundesregierung 2021 sind derzeit 2,6 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in den Wäldern gebunden. Diese Zahlen verdeutlichen, warum so viele Gruppen ein Interesse an einem gesunden Wald in Deutschland haben. Allerdings gehen die Vorstellungen darüber, wie dieses Ziel erreicht wird, weit auseinander.
Wer sitzt bei Wohllebens Waldgipfel mit am Tisch – und wer nicht?
Zu der zweitägigen Tagung in Wershofen sind unter anderem Greenpeace-geschäftsführer Martin Kaiser, die Umweltaktivistin Luisa Neubauer und Forscher verschiedener Institute eingeladen. Grünen-chef Robert Habeck hält einen Vortrag, Umweltministerin Svenja Schulze spricht ein Grußwort. Ein Vertreter des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das für die Wälder in Deutschland politisch zuständig ist, wird allerdings nicht dabei sein. Tobias Wohlleben, bei Wohllebens Waldakademie für die Presse zuständig, begründet dies damit, dass man die Diskussionsatmosphäre in Anbetracht der verhärteten Fronten im
Streit um den Wald möglichst offen gestalten wollte. Im Bundeslandwirtschaftsministerium kann man dieses Argument nicht nachvollziehen. Ministerin Julia Klöckner habe in den vergangenen drei Jahren 1,5 Milliarden Euro Hilfe zur Bewältigung der Waldschäden sowie zur Anpassung der Wälder an den Klimawandel auf den Weg gebracht. „Umso unverständlicher also, dass Herr Wohlleben bewusst darauf verzichtet, diejenigen, die sich aktiv um die Schäden, die Wiederbewaldung und die in Not geratenen Forstbetriebe gekümmert haben, einzuladen“, sagt die Ministeriumssprecherin.
Wieso sieht man auch in Badenwürttemberg diese Veranstaltung kritisch?
Der Organisator des Waldgipfels Peter Wohlleben wirbt für einen möglichst naturnahen Wald und plädiert dafür, weder abgestorbene Bäume aus dem Wald zu entfernen noch neue Bäume nachzupflanzen. Diese Strategie widerspricht der Vorgehensweise der zuständigen Ministerien in Bund und Land. „Wenn wir den Wald und seine vielfältigen Funktionen für die Gesellschaft erhalten wollen, müssen wir ihn aktiv an den Klimawandel anpassen“, sagte der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) der „Schwäbischen Zeitung“. Konkret bedeutet das, dass auch im Südwesten, der zu fast 40 Prozent bewaldet ist, der Wald nicht einfach sich selbst überlassen wird, sondern an den sich abzeichnenden schnellen Klimawandel angepasst werden soll. „Nur die aktive Pflege der jungen Wälder sichert beispielsweise den Erhalt wichtiger klimatoleranter Mischbaumarten in der Naturverjüngung“, teilt ein Ministeriumssprecher
in Stuttgart mit. Wohllebens Vorschlag eines weitgehend naturnahen Waldes sei deshalb zu eindimensional und nicht durchdacht. „Nichts tun ist keine Lösung für 90 Prozent der Wälder“, sagt Minister Hauk dazu.
Welcher Baum ist das größte Sorgenkind im Wald?
Das ist die Fichte – und zwar in jeder Hinsicht. Der sogenannte Brotbaum der vergangenen Jahrzehnte ist zu einem großen Problem für Waldbesitzer und Politiker geworden. Die Dominanz der Fichten in deutschen Wäldern hat dazu geführt, dass sich Schädlinge wie der Borkenkäfer ungehindert ausbreiten konnten. Der Befall durch den Borkenkäfer ist in den vergangenen fünf Jahren laut Statistischem Bundesamt zur Hauptursache der insgesamt hohen Schadholzmenge geworden. Fast 72 Prozent
ließen sich im Jahr 2020 auf den Borkenkäfer zurückführen, 2015 lag der Anteil den Angaben zufolge noch bei 26 Prozent. Dazu kommt, dass Fichten nicht wirklich gut in der Lage sind, Stürme und Dürren auszuhalten – auch das haben die vergangenen Jahre bewiesen. Deshalb hat der Anteil der Fichten in den deutschen Wäldern stetig abgenommen, liegt aber immer noch laut aktuellem Waldbericht bei 25 Prozent.
Gibt es einen Hoffnungsbaum, der den deutschen Wald retten kann? Etwa die Buche?
Buchen tragen sicherlich zu einer gesunden Mischung im Wald bei. Aber auch ihnen setzt der rasche Klimawandel durchaus zu. „Standorte, die heute noch für die Buche geeignet sind, können es in 50 Jahren vielleicht nicht mehr uneingeschränkt sein“, sagt die Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums in Berlin. Um den Wald möglichst Klimawandel-fit zu machen, empfiehlt sie eine „Mischung standortgerechter Baumarten“, bei der durchaus auch Nadelbäume wie Douglasien vertreten sein könnten. Auch im Südwesten empfiehlt das Ministerium den Waldbesitzern, eine möglich breite Palette einheimischer Baumarten anzupflanzen, ergänzt um solche, die bislang eher im Süden Europas beheimatet sind. Der Hintergedanke dabei ist klar: Da Bäume relativ langsam wachsen und sich nicht so schnell an den Klimawandel anpassen können, sollte bereits jetzt an Arten gedacht werden, die mit höheren Temperaturen und weniger Wasser zurechtkommen.
Haben die vielen Niederschläge in diesem Jahr die Situation im Wald entschärft?
Durchaus. Gerade jüngere Bäume profitieren von dem vielen Wasser im Waldboden, zugleich konnten sich Bäume wie die Eichen auf natürlichem Wege verjüngen und ausbreiten. Die aktuelle Wasserversorgung der Waldbäume sei landesweit sehr gut, teilt der Ministeriumssprecher in Stuttgart mit. Dennoch müssen sich die Bäume noch von dem Wassermangel erholen, den sie in den vergangenen drei sehr trockenen Jahren erlitten haben. Ihr Wurzelwerk wurde dadurch nachhaltig geschädigt.