Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Eine Politik der Rache“
- Entführungen, Schauprozesse, Mord – die Diktatur in Belarus wirkt maßlos grausam und hängt gleichzeitig völlig von Russland ab. Manfred Sapper (Foto: pr), Chefredakteur der Zeitschrift „Osteuropa“sieht nicht zuletzt die EU in der Pflicht. André Bochow hat mit ihm gesprochen.
Herr Sapper, in aller Munde war die Flucht der Leichtathletin Kristina Timanowskaja, die allein deswegen aus Japan entführt werden sollte, weil sie Sportfunktionäre kritisiert hatte. Das macht den Eindruck, das Lukaschenkoregime ist außer Rand und Band und schreckt vor gar nichts mehr zurück.
Lukaschenko verfolgt eine Politik der Rache. Wer das Regime kritisiert oder einen Befehl hinterfragt, gilt als Feind. Und ein Feind muss bestraft werden. Die Strafen reichen von Einschüchterung über öffentliche Demütigung, Gefängnis – bis zum Mord. Ziel ist es, Angst zu verbreiten.
Im Fall von Witali Schischow, ein Oppositioneller, der nach dem Joggen in Kiew erhängt aufgefunden wurde, gehen seine Weggefährten von Mord aus. Manche vermuten ein Werk des russischen Geheimdienstes. Ist das wahrscheinlich?
Eher nicht. Das können der belarussische KGB allein. Das haben wir aus erster Hand. Ehemalige Mitglieder von Lukaschenkos Todesschwadronen sind ausgestiegen und haben in der Schweiz ausgepackt. Wir wissen, dass Lukaschenko Oppositionelle umbringen ließ, zuletzt traf es den Journalisten Pawel Scheremet – um nur einen Namen zu nennen. Oder denken Sie an die Flugzeugentführung vom Mai, als der Blogger und Journalist Roman Protassewitsch aus der Maschine geholt und später öffentlich und demütigend vorgeführt wurde.
Was erwartet Putin von Belarus für seine Unterstützung?
Unter anderem die Übertragung der großen Firmen an russische Konzerne und eine noch stärkere militärische Bindung an Moskau. Im Grunde setzt Lukaschenko die Souveränität seines Landes aufs Spiel, um an der Macht zu bleiben.
Gerade hat Minsk 2000 Flüchtlinge aus Afghanistan und dem Irak nach Litauen abgeschoben. Versucht Lukaschenko ernsthaft die EU zu erpressen?
Ja, auch das versteht Lukaschenka unter Rache. Die EU darf sich weder erpressen noch spalten lassen. Wir müssen Litauen schnell unterstützen. Das heißt nicht, einen Zaun zu bauen. Denn damit wäre auch den verfolgten Belarussen der Fluchtweg verstellt.