Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Aus dem Ruderboot ins Elterntaxi
Nach zwei Jahrzehnten in der Weltklasse verabschiedet sich Kanute Ronald Rauhe mit Olympia-gold, vielen Tränen und als Fahnenträger
(dpa) - Den Empfang in der Heimat wird Deutschlands erfolgreichster Kanute schwänzen. Für Ronald Rauhe geht es am Montag vom Frankfurter Flughafen sofort nach Hause zur Familie. Nachdem er die Einschulung seines Ältesten wegen der Gold-fahrt im Kajak-vierer verpasst hat, will er den Sohnemann am Dienstag wenigstens zur Schule fahren. „Das ist so abgesprochen. Und ich werde mein Versprechen halten“, sagte Deutschlands Fahnenträger, der sich tränenreich von der Olympiabühne verabschiedet und die Karriere beendet hat.
Obwohl ausgemacht war, dass die beiden Söhne wegen der anstehenden Einschulung nicht geweckt werden sollten, saß die kanuverrückte Familie – Ehefrau Fanny hat 2008 Olympiagold im Vierer gewonnen – am Samstag in der deutschen Nacht vor dem Fernseher. Die letzte große Kajakfahrt des Papas zusammen mit Max Rendschmidt (29), Tom Liebscher (28) und Max Lemke (24) wollte sie auf keinen Fall verpassen. „Ich hab ein
Foto gekriegt, wo sie um drei Uhr nachts wach waren und mein Rennen geguckt haben. Das macht mich einfach stolz. Die Familie hat einen ganz, ganz großen Anteil daran“, sagte der 39 Jahre alte Rauhe mit stockender Stimme und schluchzte.
Stolz hängte er seiner Crew die Goldmedaillen um den Hals. „Ich hätte mir nichts anderes erträumen, erwünschen können. Das macht es mir leicht, meine Karriere zu beenden.“
Obendrauf gab es noch ein Abschiedsgeschenk vom Team D für ihn. „Die Fahne aus dem Stadion zu tragen, ist die Krönung meiner Karriere.“
Emotional ging es für Rauhe Schlag auf Schlag. „Er wird nicht mehr aus dem Weinen herauskommen. Manche sagen, er ist der Papa von dem Boot“, meinte Bundestrainer Arndt Hanisch. Diesen Abschied begoss das Team reichlich. „Er ist einfach ein cooler Mensch, ein cooler Typ. Wir werden ihn vermissen.“Schlagmann Rendschmidt meinte: „Zum Abschluss nochmal Gold – mehr konnten wir Ronny nicht geben.“
Für den Deutschen Kanu-verband war es ein einigermaßen versöhnliches Olympia-finale. Der Kajak-vierer triumphierte, sorgte für die erst dritte deutsche Medaille im Kanurennsport bei den Tokio-spielen – sechs bis sieben waren die Zielvorgabe gewesen. Die Frauen schafften es erstmals seit langer Zeit nicht auf das Podest. „Das Gold war schon wichtig, weil wir bei Weitem nicht das erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben. Es ist ein guter Abschluss, aber es wird an der Gesamtbilanz nichts ändern“, sagte Kanu-verbandspräsident Thomas Konietzko und meinte kleinlaut: „Es war fast ein Desaster.“
Mit Blick auf Paris 2024 kündigte er eine gründliche Analyse an. „Die Jungschen sind gefordert“, meinte Bundestrainer Hanisch, der vor einem Generationswechsel steht. In Rio hatte es noch viermal Gold und sieben Podestplätze gegeben – es war die stärkste olympische Ausbeute seit Athen 2004. Die Slalom-kanuten dagegen hatten in Japan mit einmal Gold und dreimal Bronze ihre Zielstellung doppelt übertroffen und erstmals besser abgeschnitten als die Rennkanuten.
Selbst der dreimalige Olympiasieger Sebastian Brendel verpasste auf dem Sea Forest Waterway das A-finale im Canadier-einer. „Es war definitiv einer der schwersten Tage meiner Karriere als Athlet“, bilanzierte Brendel und verdrückte einige Tränen. „Trotzdem wollte ich zeigen, dass ich nicht aufgebe und bis zum Ende kämpfe. Denn genau das ist es, worauf es im Leben ankommt und was ich gerne meinen Kindern mit auf den Weg geben möchte.“
Immerhin war auf den Vierer Verlass. Auch nach einem Totalschaden beim eigens angefertigten Olympiaboot beim Verladen in Luxemburg war das Quartett nicht zu schlagen. Gleich nach der Ziellinie feierte die Crew um Rauhe den Sieg im Ersatzboot über die Spanier mit knappem Vorsprung. Als es geschafft war, stieg Rauhe als Erster aus dem Boot und umarmte seine Teamkollegen innig. Sie müssen künftig ohne den besten deutschen Kanuten der Geschichte auskommen.