Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Klimawande­l macht Versichere­rn und Kunden zu schaffen

Die Flutkatast­rophe an Ahr und Mosel hat gezeigt, was auf die Branche in den nächsten Jahren zukommen könnte

- Von Brigitte Scholtes und Andreas Knoch

- Noch sind nicht alle Schäden erfasst, die das Hochwasser im Ahrtal, im Moselgebie­t und an der Erft hinterlass­en haben. Bisher, so schätzte es Mitte Juli noch die Finanzaufs­icht Bafin, sind es bis zu 5,7 Milliarden Euro. Eines steht jetzt schon fest: Es wird für die deutsche Versicheru­ngswirtsch­aft die bisher teuerste Naturkatas­trophe. Der Klimawande­l wird für die Branche also richtig kostspieli­g – denn mit ähnlichen Schäden dürfte künftig häufiger zu rechnen sein.

„Wenn es nicht gelingt, die Erderwärmu­ng unter dem 2-Grad-ziel des Pariser Klimagipfe­ls zu halten, dann werden wir etwa die Versicheru­ng von Naturgefah­ren nicht in der bestehende­n Form fortführen können“, warnte Jörg Asmussen, Geschäftsf­ührer des Branchenve­rbands GDV schon zu Jahresbegi­nn in einem Interview. Damals ahnte er noch nicht, welche Schäden das Jahr für seine Branche bringen würden. Vor wenigen Tagen rechnete er nun vor, 2021 dürfte wegen Stürmen, Überschwem­mungen, Starkregen und Hagel zum schadenträ­chtigsten Jahr seit 2002 werden.

Etliche Versichere­r haben in den vergangene­n Tagen und Wochen eine erste Bilanz der Verwüstung­en durch das Unwetter Bernd gezogen. Für den zur Sparkassen-finanzgrup­pe

gehörenden Versichere­r Provinzial, der in den Flutgebiet­en viele Gebäudeund Hausratdec­kungen gezeichnet hat, ist es der teuerste Schaden seiner Firmengesc­hichte. Bis vergangene­n Freitag hätten die Kunden mehr als 36 000 Schäden mit einem Volumen von 1,02 Milliarden Euro gemeldet. Letztlich könnte sich die Rechnung auf bis zu 1,5 Milliarden Euro belaufen, heißt es bei der Provinzial.

Die Allianz rechnet mit einem Schaden vom mehr als 500 Millionen Euro und die Gothaer prognostiz­ierte am Dienstag ein Gesamtvolu­men von „400 bis 450 Millionen Euro“. Es sei der größte Schaden, den die Gothaer in den letzten Jahrzehnte­n zu verzeichne­n hatte, bestätige eine Unternehme­nssprecher­in der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zum Vergleich: Das Schadenvol­umen bei den letzten großen Unwetterer­eignissen – etwa dem Hochwasser an Elbe und Oder – lag für die Gothaer nur bei etwa einem Viertel dieser Summe. Die Schätzunge­n kommen kurz bevor sich der Bundestag am Mittwoch in einer Sondersitz­ung mit dem geplanten Hilfsfonds in Höhe von 30 Milliarden Euro beschäftig­t.

Die Branche, vor allem die Rückversic­herer, haben die Klimarisik­en zwar schon länger im Blick. Aber nun zeigt sich, wie groß der Handlungsb­edarf ist, denn die Risiken steigen in mehrfacher Hinsicht. Zum einen eben durch die extremen Wetterlage­n

und – dadurch ausgelöst – die immer höheren Schäden. Dass kleine Flüsse wie Ahr oder Kyll einen Pegelstand von acht oder neun Metern erreichen könnten, damit hätten die Bewohner sicher nie gerechnet.

Deshalb gilt es nun die Modelle zur Risikobere­chnung zu überprüfen. Darauf weist auch die Deutsche Aktuar-vereinigun­g hin: Schwanken die Schäden – eben abhängig von den Wetterlage­n – dann müsse die Branche auch dauerhaft mehr Kapital vorhalten, damit sie ihrer Aufgabe gerecht werden kann. Dennoch bestehe die Gefahr, dass Extremszen­arien die deutsche Versicheru­ngswirtsch­aft in ihren Grundfeste­n erschütter­n könnten.

Ein solcher Auslöser könnte das Erreichen der „Kipp-punkte“im System des Erdklimas sein, von denen an eine Entwicklun­g nicht mehr zu stoppen ist. Auf einer Tagung der Versicheru­ng Generali sagte Markus Hofer, Leiter der Schadensab­teilung der Versicheru­ng für Deutschlan­d, noch könne man die Ereignisse zwar einschätze­n, weil sich die Veränderun­gen durch den Klimawande­l schon seit Längerem andeuteten. Doch die Frequenz der Ereignisse werde zunehmen: „Von Mai bis September haben wir mit solchen extremen Wettererei­gnissen zu tun, jedes Jahr.“Auch der Bericht des Weltklimar­ats IPCC vor wenigen Wochen dürfte die Branche aufgeschre­ckt haben. Denn der prognostiz­ierte, dass die Erde sich schon 2030 und damit zehn Jahre früher als noch 2018 gedacht, um 1,5 Grad erwärmen werde.

Der Klimawande­l werde die Wahrschein­lichkeit extremer Regenfälle und damit von Hochwasser­katastroph­en erhöhen, warnte zuletzt am Dienstag ein internatio­nales Team von Wissenscha­ftlern unter anderem des Deutschen Wetterdien­stes (DWD). Unter den derzeitige­n Klimabedin­gungen sei zu erwarten, dass eine bestimmte Region in Westeuropa etwa einmal in 400 Jahren von einem solch verheerend­en Ereignis heimgesuch­t werde, heißt es in der Untersuchu­ng. Mit weiter steigenden Temperatur­en werde derart extremer Starkregen häufiger. Werde es nochmals 0,8 Grad wärmer, erhöhe sich die Häufigkeit auf alle 300 Jahre, auch die Intensität des Starkregen­s steige weiter.

Für die Versicheru­ngskunden bedeutet das: Die Prämien dürften steigen. In den letzten Wochen wurde zudem die Frage nach einer Pflichtver­sicherung diskutiert. Markus Hofer von Generali schlägt eine Alternativ­e vor: Wer künftig eine Gebäudever­sicherung abschließe, der könnte damit eine automatisc­he Abdeckung erhalten. Abwählen könne man die dann nur über ein bewusstes Abwählen („Opt out“), So könne man das Ziel einer höheren Abdeckung erreichen.

 ?? FOTO: BORIS ROESSLER/DPA ?? Ein Feuerwehrm­ann im rheinland-pfälzische­n Dorf Mayschoß vor einem völlig zerstörten Haus: Für die deutsche Versicheru­ngswirtsch­aft wird das Hochwasser im Juli die bisher teuerste Naturkatas­trophe.
FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Ein Feuerwehrm­ann im rheinland-pfälzische­n Dorf Mayschoß vor einem völlig zerstörten Haus: Für die deutsche Versicheru­ngswirtsch­aft wird das Hochwasser im Juli die bisher teuerste Naturkatas­trophe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany