Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Unter dem Durchschnitt
In den ostdeutschen Bundesländern sind die Impfquoten niedrig – Studien liefern unterschiedliche Erklärungen
(dpa) - Jetzt schnell impfen – oder es wird ein schlimmer Coronaherbst: Mit diesem Appell meldete sich erst der Virologe Christian Drosten, dann stimmte der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz mit ein. Die Corona-impfquoten reichen bundesweit nicht für ein Ende der Pandemie – besonders niedrig aber sind sie in Ostdeutschland. Das bundesweite Schlusslicht Sachsen liegt fast 20 Prozentpunkte hinter Spitzenreiter Bremen. Warum ist das so?
Wie sind die Impfquoten im Osten?
In Sachsen waren Zahlen des Robert Koch-instituts bis einschließlich Montag 52,6 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft – in Bremen 71,5 Prozent. Auch Brandenburg lag mit 55,6 Prozent unter dem Bundesschnitt von 61,4 Prozent, ebenso Thüringen mit 56,5 und Sachsen-anhalt mit 58,4 Prozent. Nur Mecklenburgvorpommern schaffte 60 Prozent und damit fast den Durchschnitt.
Welche Rolle spielen Afd-anhänger bei der niedrigen Impfrate?
Nach der Studie „Covid-19 in Sachsen“der Technischen Universität Dresden vom Juni finden sich in dem Bundesland überdurchschnittlich viele Impfskeptiker. Ganze „zwölf Prozent geben sogar an, sich auf keinen Fall impfen zu lassen“, im Vergleich zu knapp fünf Prozent bundesweit. Und es seien „jene Sächsinnen und Sachsen, die sich selbst rechts der Mitte verorten oder der AFD zuneigen, weit häufiger der Auffassung,
sich selbst eher nicht oder auf gar keinen Fall impfen zu lassen“. Studienautor Hans Vorländer differenziert sogar regional innerhalb des Bundeslands. „Es ist offensichtlich, wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut: In den Regionen Sachsens mit höheren Afd-anteilen ist auch die Impfskepsis verbreiteter“, sagte Vorländer.
Liegt der Fall nicht ganz anders?
Andere Experten äußern sich zurückhaltend zu den Ursachen der niedrigen Impfquoten. Das Robertkoch-institut erklärte auf Anfrage nur: „Hier können wir nicht weiterhelfen. Wir können auch nicht über die Entwicklung spekulieren.“Aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen sind die Ursachen „empirisch nicht belegt.“Sprecher Matthias Streit mutmaßte, es spielten sicherlich mehrere Punkte eine Rolle, etwa die Impfbereitschaft in einzelnen Regionen und das Pendeln. Auch der Hamburger Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg sagt: „Einen klaren Grund, warum das im Osten abweicht, kann ich Ihnen nicht sagen.“Die Datenlage sei schwach, die Zahl der im Osten Befragten im regelmäßigen Survey seines Hamburg Center for Health Economics zu gering. Einen Zusammenhang sieht Schreyögg aber mit Zweifeln an der Qualität der Impfstoffe: „Vor allem im Osten sagen in unserem Survey nur 54 Prozent, dass sie Vertrauen in die Impfstoffsicherheit haben.“Im Westen und Norden Deutschlands sind es laut Umfrage 64 Prozent. „Auch strukturelle Aspekte könnten eine Rolle spielen, also das Impfangebot etwa bei Ärzten oder in Impfzentren“, sagte der
Wissenschaftler. Doch fehlten auch dazu Daten. Vertrauen und Impfquote sind übrigens auch in Bayern vergleichsweise niedrig.
Wie ernst ist die Lage überhaupt?
Das sächsische Sozialministerium verweist auf die derzeit niedrigen Fallzahlen im Osten als mögliche Erklärung für das geringe Interesse an Impfungen. In Sachsen wurden laut RKI zuletzt je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen gerade mal 32,2 Corona-infektionen entdeckt, in Mecklenburg-vorpommern 36,4, in Brandenburg 37,5, in Thüringen 38,3. Sachsen-anhalt kann sich über eine Traumquote von 25,3 freuen - während Nordrhein-westfalen und Rheinland-pfalz eine Sieben-tageinzidenz von mehr als 100 haben. Impfprimus Bremen liegt mit 117,6 eben auch bei dieser Kennziffer vorn.
Welche Folgen hat die niedrige Impfrate?
Da ist Schreyögg eindeutig: „Wenn die Impfquote so niedrig bleibt im Osten, aber auch in einigen Landkreisen in Bayern, dann wird sich das sich selbstverständlich auswirken auf die Inzidenzen.“Denn man sehe nun „primär eine Inzidenz der Ungeimpften“. Derzeit weist das RKI für die östlichen Bundesländer Fallzahlen unterhalb des Bundesdurchschnitts aus – aus Sicht des sächsischen Sozialministeriums übrigens eine mögliche Erklärung für das geringere Interesse an Impfungen. Der vergangene Herbst und Winter zeigte aber vor allem in Sachsen und Thüringen, dass sich die Lage rasch verschlechtern kann.