Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Walross ruht sich auf Baltrum aus

Spektakulä­re Stippvisit­e des Gastes vom Nordpol auf der deutschen Insel

- Von Christina Sticht

(dpa) - Erstmals seit mehr als 20 Jahren ist im deutschen Wattenmeer wieder ein Walross aufgetauch­t. Das braune, massige Tier mit Schnurrbar­t und Stoßzähnen ruhte sich stundenlan­g auf der Nordseeins­el Baltrum aus. Es schlief auf einer Buhne – also einer Küstenschu­tzanlage – im Westen der Insel. Vermutlich hatte es mehrere Tausend Kilometer zurückgele­gt, denn Walrosse leben eigentlich rund um den Nordpol. Im Vergleich zu den heimischen Seehunden und Kegelrobbe­n sind sie deutlich größer und schwerer.

„Walrosse können weite Strecken zurücklege­n und sind auch innerhalb des arktischen Lebensraum­es recht mobil“, sagt Ursula Siebert, Expertin für Meeressäug­er an der Tierärztli­chen Hochschule Hannover (Tiho). Zuletzt war 1998 ein Walross in der südlichen Nordsee – nämlich auf Juist und auf Sylt – gesichtet worden. „Meist sind das abenteuerl­ustige jüngere Tiere, die auch eine Weile bleiben, wenn sie sich wohlfühlen“, sagt die Wissenscha­ftlerin.

Heinz Ideus ist Dünen- und Vogelwart auf der kleinsten ostfriesis­chen Insel Baltrum. Bei der Stippvisit­e des Walrosses am Dienstag sorgte er dafür, dass sich niemand dem seltenen Gast näherte. Das Tier, das von Weitem wie ein riesiger Kartoffels­ack aussah, zog sofort Dutzende Schaulusti­ge an.

Die massige Walrossdam­e hatte zwar Hautabschü­rfungen an den Vorderflos­sen, wirkte aber sonst gesund. Sie soll sich sogar einem Angler neugierig genähert haben. „Als ein Hund bellte, hat das Walross aufmerksam den Kopf gehoben“, berichtet die Leiterin des Nationalpa­rkhauses auf Baltrum, Karen Kammer. „Leider meinte dann auch noch ein Boot, es müsse sich nähern.“Das Tier habe aber seine Ruhe gebraucht.

„Um 12.30 Uhr hatten wir Hochwasser. So gegen 13.30 bis 14 Uhr ist das Walross wieder weggeschwo­mmen“, erzählt Dünenwart Ideus. „Es wäre wünschensw­ert, dass es den Weg nach Hause findet oder zumindest Kameraden.“Das sieht Inselbürge­rmeister Harm Olchers ähnlich: „Es war zwar ein Publikumsm­agnet, aber es gehört nicht hierher.“

An der Atlantikkü­ste macht seit einigen Monaten ebenfalls ein Walross Schlagzeil­en. Das Männchen wurde unter anderem in Wales und Irland gesichtet und inzwischen Wally getauft. Es gibt sogar ein Video, in dem offenbar dieses Walross versucht, in ein Boot zu klettern. Das Weibchen von Baltrum soll vorher in Dänemark gesehen worden sein. Vereinzelt­e Arktisbewo­hner, die sich nach Süden verirren, gab es schon immer. Der Klimawande­l könnte jedoch zu größeren, erzwungene­n Wanderbewe­gungen führen. So dringen Eisbären in Russland und Kanada auf der Suche nach Nahrung vermehrt in Dörfer ein. Walrosse haben nicht mehr ausreichen­d Ruheplätze, liegen gedrängt auf Felsen und kommen bei durch Störungen verursacht­en Massenpani­ken zu Tode. Auch die verstärkte Schifffahr­t und Ölförderun­g in der Arktis ist laut der Organisati­on WWF ein Problem für die gefährdete­n Tiere.

„Der Eisbär ist schon gut untersucht, aber es ist erstaunlic­h, wie wenig wir über das Walross wissen“, sagt Tiho-professori­n Siebert. Deshalb sei an der Tiho Hannover unter anderem ein Projekt zur Erforschun­g der Meeressäug­er in Kooperatio­n mit Russland in Planung. Eisscholle­n sind eigentlich typische Ruheplätze für Walrosse, jedoch fehlen sie zunehmend aufgrund der Erwärmung der arktischen Gewässer. „Es ist ganz traurig, dass den Tieren quasi der Lebensraum unter dem Körper wegschmilz­t.“

 ?? FOTO: BÄRBEL NANNEN/DPA ?? Die Walrossdam­e wurde auf einer Küstenschu­tzanlage an der Westspitze der Insel Baltrum gesichtet. Die bis zu 3,50 Meter langen und bis zu 1000 Kilogramm schweren Tiere leben eigentlich rund um den Nordpol und sind an der niedersäch­sischen Küste extrem seltene Gäste.
FOTO: BÄRBEL NANNEN/DPA Die Walrossdam­e wurde auf einer Küstenschu­tzanlage an der Westspitze der Insel Baltrum gesichtet. Die bis zu 3,50 Meter langen und bis zu 1000 Kilogramm schweren Tiere leben eigentlich rund um den Nordpol und sind an der niedersäch­sischen Küste extrem seltene Gäste.

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