Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wenn Ulmer sich gegenseitig besuchen
Aktion: „Ulm-open“will fremde Menschen ins Gespräch miteinander bringen – Ob das klappt?
- OB Gunter Czisch kennt offenbar „seine Ulmer“. Denn das Stadtoberhaupt ahnt, dass für „so manch hier sozialisierten Bioschwaben“das neue Format eine große Überwindung sein wird. Die Idee ist folgende: Am Samstag, 11. September, besuchen sich Ulmer gegenseitig. Das ist auch am Motto zu erahnen – „Ulm Open, eine Stadt besucht sich“. Die Adressen werden dann im Internet auf einer interaktiven Karte veröffentlicht. Czisch: „Das braucht Mut.“Trotzdem ist er ein Fan davon.
Vom Himmel gefallen ist dieses Konzept nicht. Wie Juliane Stiegele von der Leitung des in Augsburg ansässigen Kreativ- und Kunstprojekts
„Utopia Toolbox“erzählt, sei die Idee von Ulmern und Ulmerinnen in Ulm geboren worden. Und zwar, als im Utopia-container auf dem Münsterplatz („Ein temporäres Zukunftsministerium
für Träume und Utopien“) Ideen für ein besseres Miteinander gesammelt wurden. Und nachdem die Corona-krise eher von Kontaktbeschränkungen als Kontaktvervielfältigung
geprägt ist, werden die Teilnehmer und Teilnehmerinnen weniger aufgefordert ihre eigenen vier Wände zu öffnen, sondern viel mehr einen Tisch und/oder ein paar Stühle vor das Haus, in den Hof, in den Garten oder vor die Garage zu stellen.
Es bleibe ganz der Fantasie der Gastgeber und Gastgeberinnen überlassen, was sie ihren Gästen bieten: einfach ein Gespräch, einen Plausch mit einer Tasse Kaffee, vielleicht sogar selbst gebackenen Kuchen, ein belegtes Brötchen. Das Ulm-open-symbol, das man im Stadthaus abholen oder selbst ausdrucken kann, zeigt an, dass man sich an der Aktion beteiligt und man sich dazugesellen darf.
Bisher haben sich nach Angaben der Ulmer Kulturabteilung 18 Haushalte
bereit erklärt, mitzumachen. Noch bis einschließlich Freitag, 10. September, kann man sich per E-mail an office@ulmopen.de als Gastgeber anmelden.
„Wir sollten den Mut haben, neue Dinge auszuprobieren“, sagt Czisch. Gerade die Corona-zeit habe das Thema Einsamkeit wieder verstärkt ins Bewusstsein gerufen. Doch der Mensch sei nun mal nicht für „Social Distancing“geboren. Bei dem Projekt gehe es um mehr, als einen förmlichen Rahmen für den gemütlichen Plausch mit den lange nicht gesehenen Leuten vom Ende der Straße zu bieten. Es tue der Gesellschaft gut, wenn Menschen ihre eigene Echokammer, das eigene Milieu verlassen. „Wir können ja viel erzählen“, sagt
Czisch über seine eigene Kaste der Entscheidungsträger. Doch die Mund-zu-mund-propaganda sei manchmal viel wirkungsvoller, um festgefahrene Strukturen aufzulösen. Egal, ob es um immer offener zutage tretende Zweifel an der Demokratie, oder Verschwörungstheorien zum Thema Impfen geht.
Nach dem Willen von Czisch und Stiegele soll das Format keine Eintagsfliege werden. Vielmehr rechnet Stiegele in den kommenden Jahren mit einem „exponentiellen Wachstum“der Teilnehmerzahlen. Ganz einfach, weil der Bedarf an „echten Begegnungen“in Zeiten der Digitalisierung noch größer werde. Mal ohne Smartphone und Computer ganz real von Mensch zu Mensch.