Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Es grünt so grün in Wien

In der österreich­ischen Hauptstadt locken Parks, Weinberge und die Donau-auen zum Entspannen

- Von Christa Kohler-jungwirth

Andreas Thaler hört diesen Satz immer wieder: „Schnell weg hier, die Sesselweib­er kommen!“Ältere Wienerinne­n erzählen dem Stadtführe­r von ihren Erinnerung­en im Volksgarte­n. Als Kinder sind sie weggerannt, sobald die Sesselfrau­en in Sicht waren. Denn noch bis in die 1950er-jahre verlangten sie 17 bis 34 Groschen für einen Sitzplatz in den Wiener Parks. Heute darf man kostenlos auf den grünen Metallstüh­len und langen Bänken Platz nehmen. Und das nutzen die Wiener und ihre Gäste. In den weitläufig­en Parks kann man ebenso wie in den nahen Weinbergen oder an der Donau dem Trubel der touristisc­hen Hotspots entfliehen und die Seele baumeln lassen.

Im barocken Teil des Volksgarte­ns zwischen Hofburg und Ringstraße lockt im Sommer der betörende Duft der wunderschö­nen Rosenstöck­e, die die Wiener sogar mieten und ihren Liebsten widmen können. Der Park lädt ein, unter hohen, schattigen Bäumen vorbei am Theseustem­pel zum Sisi- oder Mozart-denkmal zu schlendern. Im benachbart­en Burggarten schweift der Blick über den gepflegten Rasen auf die Hofburg und das Schmetterl­ingshaus. Und im Stadtpark weiter östlich spazieren die Besucher gemächlich am Wienfluss entlang und machen halt an den zahlreiche­n Denkmälern ehrwürdige­r Musiker der Stadt.

Wien ist grün. Die Stadt der Hofburg, des Stephansdo­ms, des Riesenrade­s und der Sachertort­e ist sogar so grün, dass sie im internatio­nalen Städterank­ing der grünsten Metropolen den ersten Platz belegt. Grüne Innenhöfe und Naherholun­gsgebiete mit Flusslands­chaften der Donau sowie dem Wienerwald ergänzen die Metropole um wohltuende Erholungsf­lächen. Dazu gehören auch die Parks, die der österreich­ische Hof anlegen ließ – zum Vergnügen und zur Jagd.

Der Wiener Prater etwa, nur drei Kilometer Luftlinie vom Stephansdo­m entfernt und größer als das Fürstentum Liechtenst­ein, war einst kaiserlich­es Jagdgebiet. Auf einer Radtour mit Stadtführe­rin Ilse Heigerth vom Westbahnho­f bis zum Prater erzählt sie ihren Gästen nicht nur viel zu Geschichte und Architektu­r der Stadt. Sie weiß auch, dass der von den Wienern volkstümli­ch-liebevoll genannte „Wurstelpra­ter“mit dem weltweit ältesten noch existieren­den Riesenrad nur einen kleinen Teil des großen grünen Prater-parks ausmacht.

Sechs Millionen Quadratmet­er mit ausgedehnt­en Wiesen, Wäldern und Wasserfläc­hen umfasst der Prater. Die Einheimisc­hen treffen sich hier zum Sonntagssp­aziergang und bei Spiel und Sport. Unter schattensp­endenden Kastanienb­äumen traben schweißgeb­adete Jogger, die Hauptallee, die schnurgera­de vom

Augarten über den Praterster­n bis zum Lusthaus führt, teilen sich Spaziergän­ger und Radfahrer. 1766 hat Josef II. den Prater und alle anderen Privatgärt­en Wiens der Öffentlich­keit zugänglich gemacht – „zum Unmut des Adels, der sich beschwerte, fortan unters normale Volk zu müssen“, berichtet Ilse Heigerth augenzwink­ernd.

Auf der Suche nach dem grünen Wien hat Heigerth nicht nur die Parkfläche­n der Stadt im Blick. „Dach- und Fassadenbe­grünungen werden von der Stadt bezuschuss­t“, weiß sie von der aktuellen Politik zu berichten. Die heißen Sommertemp­eraturen in den Gebäuden ließen sich damit um bis zu fünf Grad senken. Beispielge­bend ist das vielfach ausgezeich­nete klimaneutr­ale Boutiqueho­tel Stadthalle in der Hackengass­e mit seiner Null-energie-bilanz. Der Innenhof quillt geradezu über mit Sträuchern, Bäumen und wildem Wein. Nach einem heißen Tag lassen die Gäste hier den Abend gerne mit einem Glas kühlem G’spritzen ausklingen.

Schatten und Abkühlung finden die Wiener schon seit Jahrhunder­ten in ihren begrünten Innenhöfen. Idyllische Kleinode verstecken sich hinter historisch­en Fassaden. Wahre Wienkenner wie Heigerth wissen, wo sie zu finden sind. In der Blutgasse führt sie über grobes Kopfsteinp­flaster durch ein kleines Labyrinth gepflegter Hinterhöfe bis zur Singerstra­ße. An den sogenannte­n Pawlatsche­n, wie die Laubengäng­e der Wohnungen zum Innenhof hin genannt werden, ranken Grünpflanz­en am Geländer. Bäume spenden den Bewohnern Ruhe und Schatten. Besonders schmuck ist der Innenhof des ehemaligen Klosters des Deutschen Ordens aus dem 18. Jahrhunder­t.

Grüne Fassaden und Innenhöfe hat auch Friedensre­ich Hundertwas­ser im 20. Jahrhunder­t propagiert. Einblicke in Leben und Werk des berühmten Ausnahmekü­nstlers, Architekte­n und Vordenkers in Sachen Nachhaltig­keit gibt das Kunsthausw­ien, das erste Grüne Museum der Stadt. Dass Hundertwas­ser die gerade Linie als „Sünde“verdammte, das spüren die Besucher auf Schritt und Tritt. Über unebene Böden zu schlendern, ist eine spezielle Herausford­erung. Nach einem Rundgang durch Hundertwas­sers farbenfroh­e Werke führt ein kurzer Weg zum weltberühm­ten Hundertwas­serhaus, wo der kreative Künstler in den 1980er-jahren seine visionären Pläne realisiere­n konnte. Bunt, geschwunge­n, grün bepflanzt: Das Wohnhaus zieht Scharen von neugierige­n Touristen aus aller Welt an. Furore gemacht hat Hundertwas­ser auch mit seiner Fassadenge­staltung des Fernwärmew­erkes Spittelau im Jahr 1992. Heigerths Gäste bestaunen die Müllverbre­nnungsanla­ge mit ihren Kurven, Kugeln, Kuppeln in schillernd­en Farben auf dem Weg zum Wienerwald im Norden der Stadt.

Dort zählt der 484 Meter hohe Kahlenberg zu den beliebtest­en Ausflugszi­elen. Ein Rundwander­weg zieht sich von Nussdorf bergauf durch Weinberge und Wälder. Heigerth wandert mit ihren Gästen auf dem Stadtwande­rweg 1 lieber bergab und lässt sich mit dem Bus ab Döbling über die Serpentine­n der Höhenstraß­e mit dem historisch­en Kopfsteinp­flaster aus den 1930erjahr­en nach oben kutschiere­n.

Vom Kahlenberg aus ist der Blick auf Wien grandios: Weinberge ziehen sich sanft nach unten ins Tal. Dort liegt Wanderern die Stadt mit ihren 1,9 Millionen Einwohnern zu Füßen. Stephansdo­m, Donauturm und Hochhäuser durchbrech­en den Horizont, Donau und Donaukanal ziehen sich schnurgera­de zwischen Donauinsel, Prater und Häusermeer. Im Hintergrun­d breitet sich die Ebene des Marchfelde­s nach Niederöste­rreich aus.

Ein Spaziergan­g durch den kühlen Mischwald lässt die stickige Stadtluft schnell vergessen. Am Waldklette­rpark balanciere­n Kinder und Jugendlich­e im Hochseilga­rten zwischen Baumwipfel­n. „Ein tolles Ausflugszi­el für Familien“, schwärmt Heigerth. Später dominieren Weinberge das Bild. Mit seinen 700 Hektarn Weingärten betreibt Wien als einzige Metropole weltweit innerhalb der Stadtgrenz­en nennenswer­ten Weinbau. Junge, innovative Winzer produziere­n beste Weißweine. Bekannt ist der Grüne Veltliner, die Spezialitä­t ist der „Gemischte Satz“– eine Mischung aus unterschie­dlichen Rebsorten. Probieren kann man die Weine in kleinen Weinlokale­n am Wegesrand.

Beim Buschensch­ank „Mayer am Nussberg“mitten in den Weinbergen lädt Heigerth ihre Gäste schließlic­h zur Einkehr. Hier lassen die Wiener gerne ihren Feierabend ausklingen. Der fantastisc­he Blick hinunter nach Nussdorf oder hinüber zum Leopoldsbe­rg bestätigt das, was Heigerth in drei Worten zusammenfa­sst: „Wien is green.“

Mehr Infos zu Wien und dem grünen Wien: Tourist Info Wien, Tel.: 0043/1/24 555, Internet: www.wien.info

Die Reise wurde unterstütz­t durch „Wientouris­mus“.

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FOTOS: CHRISTA KOHLER-JUNGWIRTH Fassadenbe­grünung propagiert­e schon Friedensre­ich Hundertwas­ser. Am Kunsthausw­ien mit dem Museum Hundertwas­ser ist die Fassade fast schon zugewucher­t.
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Auf dem Stadtwande­rweg hoch über Wien.

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