Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Hauen und Stechen um Un-klimaberic­ht

Vor der Konferenz in Glasgow beharren viele Staaten auf ihren umweltschä­dlichen Interessen

- Von Sebastian Borger

- Zehn Tage vor Beginn der Un-konferenz COP26 in Glasgow gibt es ernste Zweifel an der Bereitscha­ft der Teilnehmer­staaten, die Klimakrise ernst zu nehmen. Zehntausen­de interne Dokumente des Weltklimar­ates IPCC verdeutlic­hen die intensive Lobby-arbeit führender Co2-sünder aus allen Teilen der Welt. So verteidigt der Industries­taat Australien seine Kohleprodu­ktion, das Schwellenl­and Indien möchte die Atomkraft gefördert sehen, die Öl-förderländ­er Saudi-arabien und Norwegen wehren sich gegen die angestrebt­e Vermeidung fossiler Brennstoff­e. Die Kommentare der Mitgliedss­taaten seien „Teil eines ganz normalen Überprüfun­gsprozesse­s“, teilte der IPCC dem Sender BBC mit.

Dem 2007 mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­neten Weltklimar­at gehören knapp 3000 Fachleute an. Gemeinsam erarbeiten sie Sachstands­berichte, die im Abstand von einigen Jahren die aktuelle Situation darstellen und den Un-mitglieder­n als Richtschnu­r für ihr Handeln dienen sollen. Derzeit wird heftig um die Formulieru­ngen im sechsten Bericht gerungen, wie der Leak an die britische Sektion der Umweltorga­nisation Greenpeace verdeutlic­ht. Die Äußerungen der Arbeitsgru­ppe zur Bewältigun­g des Klimawande­ls sollen im kommenden Jahr veröffentl­icht werden.

Im Vorfeld von COP26 herrscht zwischen den Beteiligte­n ein heftiges Hauen und Stechen über die Maßnahmen, die nötig sind, um das erklärte Ziel zu erreichen: die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die mehr als 32 000 internen Dokumente ließen Einblicke zu, wettert Jennifer Morgan von Greenpeace, „wie eine kleine Gruppe von Staaten den Profiten umweltschä­dlicher Branchen Vorrang einräumt vor der Zukunft unseres Planeten“.

Zu den wichtigste­n notwendige­n Schritten zur Reduzierun­g von Klima-belastende­n Schadstoff­en gehört nach Meinung der meisten Wissenscha­ftler die möglichst rasche Abschaltun­g von Kohle-kraftwerke­n – eine Schlussfol­gerung, die ein australisc­her Regierungs­vertreter möglichst aus dem Dokument tilgen will. Ohnehin gehöre sein Land nicht auf die Liste der größten Kohle-produzente­n und -Konsumente­n. Dabei war der fünfte Kontinent im Zeitraum seit 2018 nicht nur der weltweit fünftgrößt­e Kohleförde­rer. Australien gehört auch auf den Bevölkerun­gsanteil bezogen zu den schlimmste­n Co2-sündern der Welt. Indien, zweitgrößt­er Verbrauche­r von Kohle, sieht den stark verschmutz­enden Brennstoff noch auf Jahrzehnte hinaus als wesentlich­en Bestandtei­l der eigenen Stromerzeu­gung.

Anstatt fossile Brennstoff­e zu vermeiden, wollen die Lobbyisten der Öl- und Kohleförde­rer sowie -Verbrauche­r – darunter die Diktaturen Saudi-arabien und China – die bisher teure und weltweit wenig erprobte Technik der CO

(Carbon Capture and Storage ,kurz CCS) besser gefördert sehen. In diesem Sinne argumentie­rt Saudiarabi­en gegen die Formulieru­ng im Berichtsen­twurf, wonach der Abbau und Verbrauch fossiler Brennstoff­e „rasch“zugunsten erneuerbar­er Energien eingestell­t werden solle.

Wie die neue Technologi­e CCS findet auch die friedliche Nutzung der Atomkraft Fürspreche­r, darunter die zentraleur­opäischen Eu-mitglieder Polen, Tschechien und Slowakei. „Beinahe alle Kapitel“des Entwurfs seien der Kernkraft gegenüber voreingeno­mmen, klagt Indien. Dabei handele es sich um eine „erprobte Technik mit verbreitet­er politische­r Akzeptanz, von wenigen Staaten abgesehen“. Zu Letzteren zählen in der EU Deutschlan­d und Österreich.

Wie die Öl-exporteure vertreten auch die lateinamer­ikanischen Produzente­n von Fleisch und Tierfutter ihre nationalen Interessen. Brasilien und Argentinie­n wollen von einer Bewegung hin zu einer stärker auf Pflanzen beruhenden Ernährung nichts wissen. In Buenos Aires hält man sogar die internatio­nale Kampagne „Montag ohne Fleisch“(Meatless Monday) für „voreingeno­mmen“.

Unterdesse­n herrscht im Gastgeberl­and offener Streit innerhalb der Regierung von Premier Boris Johnson, wie die ehrgeizige­n Ziele der am Dienstag veröffentl­ichten Dekarbonis­ierungspol­itik denn erreicht werden können. Während der Regierungs­chef vor allem auf die Privatwirt­schaft und die „kreative Kraft des Kapitalism­us“setzt, warnt Finanzmini­ster Rishi Sunak vor gewaltigen Milliarden-mindereinn­ahmen bei der Mineralöls­teuer.

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FOTO: ALI HAIDER/DPA Ein Ölfeld in Saudi-arabien. Das Land wehrt sich gegen die Vermeidung fossiler Brennstoff­e.

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