Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Corona trotz Impfung

Warum einige Menschen auch nach doppelter Immunisier­ung erkranken

- Von Hajo Zenker

- Wie es im Herbst und Winter mit dem Coronaviru­s weitergeht, hängt vor allem am Impf-fortschrit­t. Fragen und Antworten zum Stand der Dinge.

Wie geht es mit dem Impfen voran?

Derzeit nur noch sehr langsam. Laut offizielle­r Statistik sind 55 Millionen Menschen (66,1 Prozent der Gesamtbevö­lkerung) vollständi­g geimpft. Insgesamt haben 57,4 Millionen Personen (69,1 Prozent) mindestens eine Dosis erhalten. Allerdings: Das Robert-koch-institut (RKI) hat eingeräumt, dass diese Zahlen zu niedrig sein dürften und wohl um etwa fünf Prozentpun­kte höher liegen.

Ist das nun also viel oder wenig?

Das ist umstritten. Für den Statistike­r Christian Hesse von der Universitä­t Stuttgart zeigen die Zahlen, dass bereits über 75 Prozent der Gesamtbevö­lkerung immunisier­t sein könnten. Damit sei Deutschlan­d „nicht mehr weit von einer Herdenimmu­nität entfernt“, die er bei einer Quote von 80 Prozent erreicht sieht.

Für den Virologen Hendrik Streeck gibt es bei den Erwachsene­n durch Impfungen und einen „relativ großen Anteil an Genesenen“schon erhebliche­n Schutz. Dass die Zahlen trotzdem wieder steigen werden, glaubt er allerdings auch. Das ist vor allem eine schlechte Nachricht für die 3,3 Millionen über 60-Jährigen, die noch nicht geimpft, aber besonders gefährdet sind. Für die Präsidenti­n der Gesellscha­ft für Immunologi­e, Christine Falk, ist die Impfquote deshalb bisher zu niedrig – und die Infektions­zahlen zu hoch. Genauso sieht das der Spd-gesundheit­sexperte Karl Lauterbach, der zudem auf eine Studie aus England verweist, nach der sich Ungeimpfte zum zweiten oder sogar zum dritten Mal infiziert haben. Allerdings gilt auch: Wer genesen ist und sich danach impfen lässt, ist laut einer Us-studie besonders gut geschützt.

Was hat es mit der steigenden Zahl von Impfdurchb­rüchen auf sich?

Das Robert-koch-institut verzeichne­t schon 95 487 Impfdurchb­rüche, also Ansteckung­en bei vollständi­g

Geimpften. Angesichts von 55 Millionen komplett Immunisier­ten entspricht das 0,17 Prozent. Lange Zeit hatte die Quote unter 0,1 Prozent gelegen. Die meisten trotz Impfung Infizierte­n haben keine oder – wie Bayern-trainer Julian Nagelsmann – milde Symptome, die Ansteckung wird häufig durch Zufall entdeckt.

Spektakulä­re Fälle wie der des ehemaligen Us-außenminis­ters Colin Powell, der trotz Impfung an Corona gestorben ist, schüren Ängste, Hendrik Streeck aber verweist darauf, dass Powell unter Knochenmar­kkrebs litt. Dieser habe die Immunantwo­rt des Körpers auf das Vakzin beeinträch­tigt. Zusätzlich hatte Powell Parkinson. Laut Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin sind Geimpfte, die auf Intensivst­ationen landen, zumeist ältere Patienten, deren zweite Impfung länger zurücklieg­t und die unter schweren Vorerkrank­ungen leiden. Klar ist, dass Impfungen Klinikaufe­nthalte zumeist verhindern, Ansteckung­en vermeiden sie jedoch nicht unbedingt. So weist das bayerische Gesundheit­sministeri­um für Ungeimpfte eine Sieben-tage-inzidenz von 297 Ansteckung­en auf 100 000 Einwohner, für Geimpfte von 34 aus.

Auffällig ist die vergleichs­weise hohe Zahl der Durchbrüch­e bei Johnson & Johnson. In Deutschlan­d beträgt der Anteil dieses Vakzins an den vollständi­g Geimpften sechs, an den Durchbrüch­en aber 14 Prozent.

Für wen sind Booster-impfungen sinnvoll?

Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) empfiehlt eine Auffrischu­ng für alle, die mindestens 70 Jahre alt sind, für Pflegebedü­rftige und Pflegepers­onal sowie Menschen mit geschwächt­em Immunsyste­m, etwa

Krebs-, Transplant­ations- oder Dialysepat­ienten. Diese solle frühestens sechs Monate nach der zweiten Dosis erfolgen. Die Berliner Charité berichtet, dass bei 40 Prozent der über 70-Jährigen sechs Monate nach der zweiten Dosis kaum noch Schutz besteht. Verwendet werden sollen nur noch Biontech und Moderna.

Zudem sollten sich unabhängig vom Alter alle, die vor mindestens vier Wochen die Einmal-injektion von Johnson & Johnson erhalten haben, zusätzlich mit Biontech oder Moderna impfen lassen. Daten aus Israel zeigen, dass die Gefahr für eine Infektion durch die Booster-impfung sehr deutlich – laut Karl Lauterbach „überrasche­nd stark“– abnimmt.

Wie steht es um die Kinder?

Die sind überpropor­tional am offiziell erfassten Ansteckung­sgeschehen

beteiligt. Besonders hoch sind die Inzidenzen bei den Fünf- bis 19Jährigen. So gibt es in der Altersgrup­pe der Zehn- bis 14-Jährigen eine Inzidenz von über 170. Was auch daran liegt, dass Schüler und Schülerinn­en, im Gegensatz zu vielen Erwachsene­n, mehrmals wöchentlic­h getestet werden. Allerdings erkranken sie höchst selten. Die Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendmedi­zin empfiehlt trotzdem die Impfung ab zwölf Jahren „allgemein und uneingesch­ränkt“. Wobei die Stiko betont, Kinder mit Vorerkrank­ungen sollten bevorzugt werden. Kinderarzt und Stiko-mitglied Martin Terhardt beklagt, dass stark übergewich­tige Minderjähr­ige häufig nicht wüssten, dass sie sich unbedingt impfen lassen sollten. Biontech hat derweil die Zulassung für Fünf- bis Elfjährige beantragt – mit einem Drittel der sonst üblichen Dosis.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Trotz doppelter Impfung können Menschen in seltenen Fälle an Corona erkranken.

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