Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Das Propaganda-netzwerk
Der Gründer will Facebook umbenennen, um die Neuausrichtung zu illustrieren – Kritiker haben anderen Verdacht
- Roger Mcnamee investierte früh in den Internetkonzern Facebook, der heute global mehr als 3,5 Milliarden Menschen als Nutzer erreicht. Heute gehört Mcnamee zu den lautstärksten Kritikern des Netzwerks, das wegen seiner von Whistleblowern – also internen Hinweisgebern – als skrupellos beschriebenen Geschäftspraktiken am Pranger steht. „Angesichts eines Tsunamis an Beweisen über unverantwortliches Verhalten und mögliche kriminelle Vergehen, versucht Facebook verzweifelt das Thema zu wechseln“, sagt Mcnamee dem Onlineportal „Recode“.
Dazu gehört die Spekulation über einen neuen Namen des Konzerns, den Zuckerberg im Umfeld der jährlichen „Connect“-konferenz am 28. Oktober enthüllt hat. Offiziell schweigt Facebook zu den zuerst von dem Us-amerikanischen Technikportal „The Verge“veröffentlichten Plänen. Demnach soll die Umbenennung den veränderten Fokus des Unternehmens auf das sogenannte „Metaversum“widerspiegeln.
Anfang der Woche hatte der ehemalige Vizepremierminister Großbritanniens und heutige Facebookmanager Nick Clegg angekündigt, über die kommenden fünf Jahren 10 000 Fachkräfte in der Europäischen Union anzuheuern, um die Vision Zuckerbergs Realität werden zu lassen. „Diese Investition ist ein Vertrauensbeweis in die Stärke der europäischen Tech-industrie und das Potenzial europäischer Tech-talente“, schrieb Clegg.
Tatsächlich stammt die Idee des „Metaversums“, in der physikalische Realität mit erweiterter (AR) und virtueller Realität (VR) in einer Cyberwelt
verschmelzen, nicht von Zuckerberg. Die Urheberschaft geht auf den Science-fiction-autor Neal Stephenson zurück, der 1992 in seinem Roman „Snow Crash“beschrieb, wie sich Menschen in Los Angeles nach einer Weltwirtschaftskrise und dem Zusammenbruch der staatlichen Institutionen in eine solche Welt flüchten.
Jenseits des dystopischen Kontexts von „Snow Cash“stellt sich Zuckerberg die Zukunft seines Konzerns als Stifter des „Metaversum“in etwa so vor. In einem „verkörperten Internet“, erklärte der Facebook-chef vor Mitarbeitern Ende Juni, interagieren Menschen nicht mehr nur in einer 2D-welt über das Internet, sondern sie werden durch Hilfsmittel wie Vrbrillen und Avatare zu digitalen Persönlichkeiten in einer neuen 3-D-realität. Facebook investiert massiv in Technologien, die eine Plattform für das „Metaversum“schaffen sollen. Statt das Internet anzuschauen, werden die Nutzer in der schönen neuen Zuckerberg-welt darin leben.
Einen kleinen Vorgeschmack liefern Spieleentwickler wie Epic Games, dessen Chef Tim Sweeney eine eigene „Metaversum“-strategie verfolgt. Kürzlich engagierte Epic die Sängerin Ariana Grande, die für die Spieler von „Fortnite“ein Konzert in der Cyberwelt gab. Sweeney setzt darauf, dass Nutzer die von Apple, Google und Facebook geschaffenen Biotope im „Metaversum“verlassen können und das Internet damit nicht mehr nur den kommerziellen Interessen der Megakonzerne folgt.
Zuckerberg beteuert auch, dass ihm an einer „dezentralen Plattform“gelegen sei. Doch der Verdacht steht im Raum, dass er durch die Hintertür neuer Hilfsmittel für den Zugang ins „Metaversum“Kontrolle zu erlangen versucht. Ein Paradebeispiel ist das vor sieben Jahren von Facebook zugekaufte Unternehmen Oculus, das einen europäischen Sitz in Zürich hat und in tragbare VR- und Ar-geräte wie Brillen und Headsets investiert.
Ob mit der erwarteten Umbenennung des Konzerns eine Neustrukturierung Facebooks einhergeht, blieb unklar. Nur so viel von Zuckerberg selbst: „Ich erwarte, dass die Leute dazu übergehen werden, uns nicht mehr in erster Linie als ein Social-mediaunternehmen
zu sehen, sondern als ein Metaversumsunternehmen.“
Kritiker wie Roger Mcnamee raten Politik und Öffentlichkeit, „sich auf den Tatort zu konzentrieren statt auf die Ablenkungsmanöver“. Anlass für Letzteres hätte der Milliardär genügend, der durch die Aussagen der Whistleblowerin Frances Haugen vor dem Us-kongress massiv in die Defensive geraten war. Wirklich überrascht hatte dabei niemand, dass die 37-jährige Ex-managerin Facebook
vorhielt, Geschäftsinteressen über das Wohl der Nutzer zu stellen.
Die Nachrichten eines einzigen Tages illustrieren, wie stark Zuckerberg unter Druck steht. Und wie real die Chancen für zwei Vorstöße im Us-kongress sind, die darauf abzielen, den Konzern etwa durch den Verkauf von Whatsapp und Instagram zu zerlegen. So kam am Mittwoch heraus, dass Facebook dem experimentellen „Aufsichtsgremium“des Konzerns wesentliche Informationen über sein „Xcheck“-programm vorenthalten hatte.
Dabei handelt es sich um Ausnahmen für das Verhalten von VIPS auf der Plattform des Konzerns, die offenbar nicht nur für Donald Trump, sondern fast 5,8 Millionen Nutzer galten, die Facebook ungestraft dafür missbrauchen durften, Falschinformationen, Agitation und Propaganda zu verbreiten.
Am selben Tag erhob der Generalstaatsanwalt des Districts of Columbia, Karl Racine, Anklage gegen Zuckerberg persönlich, für dessen Rolle in dem Datenschutzskandal um das Datenunternehmen Cambridge Analytica. Facebook hatte über eine Umfrage Einstellungen von Nutzern abgefragt, die ohne deren Wissen an das für Trump tätige Analyse-unternehmen gelangten. Inklusive Informationen über Facebook-freunde der Teilnehmer. Das schuf die Grundlage für maßgeschneiderte Wahlkampfbotschaften, die oft mit Falschinformationen operierten. Laut Racine hätten die fortlaufenden Ermittlungen gezeigt, dass Zuckerberg an den Entscheidungen rund um Cambridge Analytica entscheidenden Anteil gehabt hätte. Ein Facebook-sprecher wies die Vorwürfe gegen das Unternehmen und seinen Gründer als unbegründet zurück.