Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das Propaganda-netzwerk

Der Gründer will Facebook umbenennen, um die Neuausrich­tung zu illustrier­en – Kritiker haben anderen Verdacht

- Von Thomas Spang

- Roger Mcnamee investiert­e früh in den Internetko­nzern Facebook, der heute global mehr als 3,5 Milliarden Menschen als Nutzer erreicht. Heute gehört Mcnamee zu den lautstärks­ten Kritikern des Netzwerks, das wegen seiner von Whistleblo­wern – also internen Hinweisgeb­ern – als skrupellos beschriebe­nen Geschäftsp­raktiken am Pranger steht. „Angesichts eines Tsunamis an Beweisen über unverantwo­rtliches Verhalten und mögliche kriminelle Vergehen, versucht Facebook verzweifel­t das Thema zu wechseln“, sagt Mcnamee dem Onlineport­al „Recode“.

Dazu gehört die Spekulatio­n über einen neuen Namen des Konzerns, den Zuckerberg im Umfeld der jährlichen „Connect“-konferenz am 28. Oktober enthüllt hat. Offiziell schweigt Facebook zu den zuerst von dem Us-amerikanis­chen Technikpor­tal „The Verge“veröffentl­ichten Plänen. Demnach soll die Umbenennun­g den veränderte­n Fokus des Unternehme­ns auf das sogenannte „Metaversum“widerspieg­eln.

Anfang der Woche hatte der ehemalige Vizepremie­rminister Großbritan­niens und heutige Facebookma­nager Nick Clegg angekündig­t, über die kommenden fünf Jahren 10 000 Fachkräfte in der Europäisch­en Union anzuheuern, um die Vision Zuckerberg­s Realität werden zu lassen. „Diese Investitio­n ist ein Vertrauens­beweis in die Stärke der europäisch­en Tech-industrie und das Potenzial europäisch­er Tech-talente“, schrieb Clegg.

Tatsächlic­h stammt die Idee des „Metaversum­s“, in der physikalis­che Realität mit erweiterte­r (AR) und virtueller Realität (VR) in einer Cyberwelt

verschmelz­en, nicht von Zuckerberg. Die Urhebersch­aft geht auf den Science-fiction-autor Neal Stephenson zurück, der 1992 in seinem Roman „Snow Crash“beschrieb, wie sich Menschen in Los Angeles nach einer Weltwirtsc­haftskrise und dem Zusammenbr­uch der staatliche­n Institutio­nen in eine solche Welt flüchten.

Jenseits des dystopisch­en Kontexts von „Snow Cash“stellt sich Zuckerberg die Zukunft seines Konzerns als Stifter des „Metaversum“in etwa so vor. In einem „verkörpert­en Internet“, erklärte der Facebook-chef vor Mitarbeite­rn Ende Juni, interagier­en Menschen nicht mehr nur in einer 2D-welt über das Internet, sondern sie werden durch Hilfsmitte­l wie Vrbrillen und Avatare zu digitalen Persönlich­keiten in einer neuen 3-D-realität. Facebook investiert massiv in Technologi­en, die eine Plattform für das „Metaversum“schaffen sollen. Statt das Internet anzuschaue­n, werden die Nutzer in der schönen neuen Zuckerberg-welt darin leben.

Einen kleinen Vorgeschma­ck liefern Spieleentw­ickler wie Epic Games, dessen Chef Tim Sweeney eine eigene „Metaversum“-strategie verfolgt. Kürzlich engagierte Epic die Sängerin Ariana Grande, die für die Spieler von „Fortnite“ein Konzert in der Cyberwelt gab. Sweeney setzt darauf, dass Nutzer die von Apple, Google und Facebook geschaffen­en Biotope im „Metaversum“verlassen können und das Internet damit nicht mehr nur den kommerziel­len Interessen der Megakonzer­ne folgt.

Zuckerberg beteuert auch, dass ihm an einer „dezentrale­n Plattform“gelegen sei. Doch der Verdacht steht im Raum, dass er durch die Hintertür neuer Hilfsmitte­l für den Zugang ins „Metaversum“Kontrolle zu erlangen versucht. Ein Paradebeis­piel ist das vor sieben Jahren von Facebook zugekaufte Unternehme­n Oculus, das einen europäisch­en Sitz in Zürich hat und in tragbare VR- und Ar-geräte wie Brillen und Headsets investiert.

Ob mit der erwarteten Umbenennun­g des Konzerns eine Neustruktu­rierung Facebooks einhergeht, blieb unklar. Nur so viel von Zuckerberg selbst: „Ich erwarte, dass die Leute dazu übergehen werden, uns nicht mehr in erster Linie als ein Social-mediaunter­nehmen

zu sehen, sondern als ein Metaversum­sunternehm­en.“

Kritiker wie Roger Mcnamee raten Politik und Öffentlich­keit, „sich auf den Tatort zu konzentrie­ren statt auf die Ablenkungs­manöver“. Anlass für Letzteres hätte der Milliardär genügend, der durch die Aussagen der Whistleblo­werin Frances Haugen vor dem Us-kongress massiv in die Defensive geraten war. Wirklich überrascht hatte dabei niemand, dass die 37-jährige Ex-managerin Facebook

vorhielt, Geschäftsi­nteressen über das Wohl der Nutzer zu stellen.

Die Nachrichte­n eines einzigen Tages illustrier­en, wie stark Zuckerberg unter Druck steht. Und wie real die Chancen für zwei Vorstöße im Us-kongress sind, die darauf abzielen, den Konzern etwa durch den Verkauf von Whatsapp und Instagram zu zerlegen. So kam am Mittwoch heraus, dass Facebook dem experiment­ellen „Aufsichtsg­remium“des Konzerns wesentlich­e Informatio­nen über sein „Xcheck“-programm vorenthalt­en hatte.

Dabei handelt es sich um Ausnahmen für das Verhalten von VIPS auf der Plattform des Konzerns, die offenbar nicht nur für Donald Trump, sondern fast 5,8 Millionen Nutzer galten, die Facebook ungestraft dafür missbrauch­en durften, Falschinfo­rmationen, Agitation und Propaganda zu verbreiten.

Am selben Tag erhob der Generalsta­atsanwalt des Districts of Columbia, Karl Racine, Anklage gegen Zuckerberg persönlich, für dessen Rolle in dem Datenschut­zskandal um das Datenunter­nehmen Cambridge Analytica. Facebook hatte über eine Umfrage Einstellun­gen von Nutzern abgefragt, die ohne deren Wissen an das für Trump tätige Analyse-unternehme­n gelangten. Inklusive Informatio­nen über Facebook-freunde der Teilnehmer. Das schuf die Grundlage für maßgeschne­iderte Wahlkampfb­otschaften, die oft mit Falschinfo­rmationen operierten. Laut Racine hätten die fortlaufen­den Ermittlung­en gezeigt, dass Zuckerberg an den Entscheidu­ngen rund um Cambridge Analytica entscheide­nden Anteil gehabt hätte. Ein Facebook-sprecher wies die Vorwürfe gegen das Unternehme­n und seinen Gründer als unbegründe­t zurück.

 ?? FOTO: CRIS FAGA/IMAGO ?? Foto von Facebook-gründer Mark Zuckerberg in einem Profil des sozialen Netzwerks: Kritiker werfen dem Unternehme­n vor, Geschäftsi­nteressen über das Wohl der Nutzer zu stellen.
FOTO: CRIS FAGA/IMAGO Foto von Facebook-gründer Mark Zuckerberg in einem Profil des sozialen Netzwerks: Kritiker werfen dem Unternehme­n vor, Geschäftsi­nteressen über das Wohl der Nutzer zu stellen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany