Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit Vorurteilen im Berufsleben umgehen
Experten raten zu Aufklärung und manchmal auch zum Gegenangriff
Die Lagerlogistiker, die nicht bis fünf zählen können, die Landwirte, die ihre Tiere quälen, Beamte, die den ganzen Tag nur Stempel aufs Papier drücken: Für diejenigen, die in diesen Branchen tätig sind, können solche Vorurteile nicht nur nervig, sondern auch belastend sein. Wie findet man einen Weg, damit umzugehen?
Dazu muss man erst verstehen, woher vorurteilsbehaftetes Denken überhaupt kommt. „Wir haben Vorurteile, weil wir gerne alles kategorisieren und damit vereinfachen“, sagt Mentalcoachin Melanie Kohl. „Deshalb stecken wir Menschen in Schubladen, das beginnt schon in der Kindheit und wird von den Eltern übernommen.“
Mit Vorurteilen umzugehen sei manchmal deshalb so schwierig, weil sie zumindest in Teilen auf beobachtbaren Tatsachen beruhen, so der Psychotherapeut Enno Maaß. Allerdings müsse das jeder und jede für sich selbst differenzieren. „Schließlich treffen selbst die beobachtbaren Dinge nicht auf alle zu.“
Wer selbst häufig in Schubladen gesteckt wird, sollte unterscheiden, mit welcher Absicht das Gegenüber gerade spricht und was die Motive sind, rät Maaß. Je nach Situation empfiehlt er drei Reaktionen: Lustig drauf eingehen, erklären oder klare Grenzen setzen.
Wenn beim Small Talk auf einer Party das Gegenüber mit einem lockeren Spruch lustig sein will, dann könne man das entsprechend kontern, so der Experte. Vielleicht will aber nur jemand den eigenen Frust loswerden? „Das kann man dann eventuell erfragen“, sagt Maaß.
„Je mehr ich mich öffne und zeige, wer ich bin, desto mehr werden Vorurteile abgebaut“, sagt auch Trainerin Melanie Kohl. Beim Klischee des faulen Beamten etwa könne man beispielsweise aufzeigen, dass in Verwaltungen eine gewisse Struktur
„Tatsächlich wird man
oft eben nur dann respektiert, wenn man sehr deutlich seine eigenen Grenzen
aufzeigt.“
notwendig und für eine Behörde genau richtig sei, so Maaß. „Hier geht es um Ordnung, dort soll eben nicht hektisch und kopflos durcheinandergearbeitet werden.“
Kohl empfiehlt zu hinterfragen, warum der- oder diejenige auf die Klischee-idee kommt, ohne jedoch dabei in einen Rechtfertigungsmodus zu gelangen. So wird sich das Gegenüber des eigenen Schubladendenkens bewusst und kann es selbst kritisch beleuchten.
Enno Maaß, Psychotherapeut
Erklären und aufklären kann Maaß zufolge dann Sinn machen, wenn es dem Gegenüber nicht um einen Angriff geht, sondern tatsächlich um Information. Oder wenn man feststellt, dass das Vorurteil auf Desinformation beruht.
Maaß rät jedoch, auch zum Gegenangriff überzugehen, wenn das angemessen erscheint. Hierin sieht der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung ein probates Mittel der Grenzsetzung. „Tatsächlich wird man oft eben nur dann respektiert, wenn man sehr deutlich seine eigenen Grenzen aufzeigt.“
Laut Maaß denken viele, die sozial angepasst leben, dass sie überall respektiert werden, wenn sie bloß immer nett, freundlich und zurückhaltend sind. „Aber es gibt Menschen, die gehen immer so weit, bis sie Grenzen spüren und je früher die aufzeigt werden, desto eher wird man respektiert und als vollwertige Person wahrgenommen.“
Kohl hat die Erfahrung gemacht, dass Menschen unterschiedlich mit Vorurteilen umgehen. Je nachdem, wie gut der eigene Selbstwert ist. Wer selbst glaubt, nicht gut genug zu sein, stelle sich häufig infrage. Wer dagegen einen hohen Selbstwert hat, kann die Kritik an sich abprallen lassen und nimmt es ist nicht persönlich. Kohl rät deshalb dazu, eigene Glaubenssätze aufzuspüren und aufzulösen. Dazu kann man etwa eine Liste mit rund 50 Punkten anlegen und aufschreiben, warum man einen guten Job macht. „Wenn ich dahingehend mein Bewusstsein verändere, schmerzt mich ein Angriff nicht mehr so sehr“, sagt Kohl. 50 Punkte sollten es ihrer Empfehlung nach sein, weil dann selbst Dinge aus dem Unterbewusstsein aufgezählt werden und nicht nur die, die einem sofort einfallen.
Zur Belastung werden Vorurteile laut Maaß dann, wenn es in Mobbing ausartet. „Wenn es zu massivem Leid führt, kann man sich auf jeden Fall Hilfe holen, um dann mit einer vielleicht feindlichen Umgebung umgehen zu können.“Oft reichen dem Psychotherapeuten zufolge aber Kolleginnen oder Kollegen, mit denen man sich darüber austauschen kann.
„Wichtig ist, dass man wirklich ein eigenes sehr differenziertes Bild von seinem Beruf hat“, findet Maaß, sonst bestehe die Gefahr, dass die eigene Motivation für die Arbeit irgendwann verloren gehe. Bei Kritik am eigenen Berufsstand sollte man sich grundsätzlich immer wieder bewusst machen, dass es sich um Klischee-denken handelt. Die Kritik bedeute nicht, dass man als Mensch abgelehnt werde, so die Experten. (dpa)