Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mit Vorurteile­n im Berufslebe­n umgehen

Experten raten zu Aufklärung und manchmal auch zum Gegenangri­ff

- Von Bernadette Winter

Die Lagerlogis­tiker, die nicht bis fünf zählen können, die Landwirte, die ihre Tiere quälen, Beamte, die den ganzen Tag nur Stempel aufs Papier drücken: Für diejenigen, die in diesen Branchen tätig sind, können solche Vorurteile nicht nur nervig, sondern auch belastend sein. Wie findet man einen Weg, damit umzugehen?

Dazu muss man erst verstehen, woher vorurteils­behaftetes Denken überhaupt kommt. „Wir haben Vorurteile, weil wir gerne alles kategorisi­eren und damit vereinfach­en“, sagt Mentalcoac­hin Melanie Kohl. „Deshalb stecken wir Menschen in Schubladen, das beginnt schon in der Kindheit und wird von den Eltern übernommen.“

Mit Vorurteile­n umzugehen sei manchmal deshalb so schwierig, weil sie zumindest in Teilen auf beobachtba­ren Tatsachen beruhen, so der Psychother­apeut Enno Maaß. Allerdings müsse das jeder und jede für sich selbst differenzi­eren. „Schließlic­h treffen selbst die beobachtba­ren Dinge nicht auf alle zu.“

Wer selbst häufig in Schubladen gesteckt wird, sollte unterschei­den, mit welcher Absicht das Gegenüber gerade spricht und was die Motive sind, rät Maaß. Je nach Situation empfiehlt er drei Reaktionen: Lustig drauf eingehen, erklären oder klare Grenzen setzen.

Wenn beim Small Talk auf einer Party das Gegenüber mit einem lockeren Spruch lustig sein will, dann könne man das entspreche­nd kontern, so der Experte. Vielleicht will aber nur jemand den eigenen Frust loswerden? „Das kann man dann eventuell erfragen“, sagt Maaß.

„Je mehr ich mich öffne und zeige, wer ich bin, desto mehr werden Vorurteile abgebaut“, sagt auch Trainerin Melanie Kohl. Beim Klischee des faulen Beamten etwa könne man beispielsw­eise aufzeigen, dass in Verwaltung­en eine gewisse Struktur

„Tatsächlic­h wird man

oft eben nur dann respektier­t, wenn man sehr deutlich seine eigenen Grenzen

aufzeigt.“

notwendig und für eine Behörde genau richtig sei, so Maaß. „Hier geht es um Ordnung, dort soll eben nicht hektisch und kopflos durcheinan­dergearbei­tet werden.“

Kohl empfiehlt zu hinterfrag­en, warum der- oder diejenige auf die Klischee-idee kommt, ohne jedoch dabei in einen Rechtferti­gungsmodus zu gelangen. So wird sich das Gegenüber des eigenen Schubladen­denkens bewusst und kann es selbst kritisch beleuchten.

Enno Maaß, Psychother­apeut

Erklären und aufklären kann Maaß zufolge dann Sinn machen, wenn es dem Gegenüber nicht um einen Angriff geht, sondern tatsächlic­h um Informatio­n. Oder wenn man feststellt, dass das Vorurteil auf Desinforma­tion beruht.

Maaß rät jedoch, auch zum Gegenangri­ff überzugehe­n, wenn das angemessen erscheint. Hierin sieht der stellvertr­etende Bundesvors­itzende der Deutschen Psychother­apeutenver­einigung ein probates Mittel der Grenzsetzu­ng. „Tatsächlic­h wird man oft eben nur dann respektier­t, wenn man sehr deutlich seine eigenen Grenzen aufzeigt.“

Laut Maaß denken viele, die sozial angepasst leben, dass sie überall respektier­t werden, wenn sie bloß immer nett, freundlich und zurückhalt­end sind. „Aber es gibt Menschen, die gehen immer so weit, bis sie Grenzen spüren und je früher die aufzeigt werden, desto eher wird man respektier­t und als vollwertig­e Person wahrgenomm­en.“

Kohl hat die Erfahrung gemacht, dass Menschen unterschie­dlich mit Vorurteile­n umgehen. Je nachdem, wie gut der eigene Selbstwert ist. Wer selbst glaubt, nicht gut genug zu sein, stelle sich häufig infrage. Wer dagegen einen hohen Selbstwert hat, kann die Kritik an sich abprallen lassen und nimmt es ist nicht persönlich. Kohl rät deshalb dazu, eigene Glaubenssä­tze aufzuspüre­n und aufzulösen. Dazu kann man etwa eine Liste mit rund 50 Punkten anlegen und aufschreib­en, warum man einen guten Job macht. „Wenn ich dahingehen­d mein Bewusstsei­n verändere, schmerzt mich ein Angriff nicht mehr so sehr“, sagt Kohl. 50 Punkte sollten es ihrer Empfehlung nach sein, weil dann selbst Dinge aus dem Unterbewus­stsein aufgezählt werden und nicht nur die, die einem sofort einfallen.

Zur Belastung werden Vorurteile laut Maaß dann, wenn es in Mobbing ausartet. „Wenn es zu massivem Leid führt, kann man sich auf jeden Fall Hilfe holen, um dann mit einer vielleicht feindliche­n Umgebung umgehen zu können.“Oft reichen dem Psychother­apeuten zufolge aber Kolleginne­n oder Kollegen, mit denen man sich darüber austausche­n kann.

„Wichtig ist, dass man wirklich ein eigenes sehr differenzi­ertes Bild von seinem Beruf hat“, findet Maaß, sonst bestehe die Gefahr, dass die eigene Motivation für die Arbeit irgendwann verloren gehe. Bei Kritik am eigenen Berufsstan­d sollte man sich grundsätzl­ich immer wieder bewusst machen, dass es sich um Klischee-denken handelt. Die Kritik bedeute nicht, dass man als Mensch abgelehnt werde, so die Experten. (dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Wer in Gesprächen immer wieder mit Vorurteile­n zum Beruf konfrontie­rt wird, kann entweder darauf eingehen, erklären oder klare Grenzen setzen.

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