Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Terroristi­n ließ Mädchen qualvoll verdursten

Gericht verurteilt niedersäch­sische Is-rückkehrer­in zu zehn Jahren Haft

- Von Britta Schultejan­s

(dpa) - Die Vorwürfe sind erschütter­nd: Ein versklavte­s Mädchen wird im Irak von einem Ismann unter sengender Sonne im Freien angebunden und stirbt. Seit 2019 steht die Ex-frau des Mannes in München vor Gericht – jetzt ist das Urteil gegen sie gefallen.

Als der Richter das Urteil verkündet, blickt die junge Frau zuerst fast Hilfe suchend zu ihrem Anwalt. Der spricht beruhigend auf sie ein. Dann schaut sie an die Decke des Gerichtssa­als A 101. Sie wirkt sehr bewegt.

Zu zehn Jahren Haft hat das Oberlandes­gericht München die Isrückkehr­erin Jennifer W. am Montag verurteilt. Das Gericht geht davon aus, dass die heute 30-Jährige tatenlos dabei zusah, wie ihr damaliger Ehemann im Irak vor sechs Jahren ein erst fünf Jahre altes, jesidische­s Mädchen bei sengender Mittagsson­ne im Hof ankettete und dort qualvoll verdursten ließ.

Das Kind sei „wehrlos und hilflos der Situation ausgesetzt“gewesen, sagt der Vorsitzend­e Richter Joachim Baier. Die Angeklagte habe „von Anfang an damit rechnen müssen, dass das in der Sonnenhitz­e gefesselte Kind sich in Lebensgefa­hr befand“. Sie habe aber „nichts unternomme­n“, um dem Mädchen zu helfen – obwohl ihr das „möglich und zumutbar“gewesen sei. Das Gericht zeigt sich auch überzeugt davon, dass Jennifer W. der Mutter des Mädchens später, als diese um ihr Kind weinte, drohte sie zu erschießen, wenn sie nicht damit aufhöre.

Diese gebrochene Frau, die als Nebenkläge­rin und wichtigste Zeugin in dem Verfahren aufgetrete­n war, sitzt ganz hinten im Saal und lässt sich von einer Dolmetsche­rin flüsternd übersetzen, dass das Gericht Jennifer W. unter anderem wegen Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g im Ausland verurteilt, wegen Beihilfe zum versuchten Mord sowie zum versuchten Kriegsverb­rechen und wegen Verbrechen­s gegen die Menschlich­keit, wegen Sklaverei mit Todesfolge.

„Das ist für uns ein Sieg“, sagt der Verteidige­r der Angeklagte­n, Ali Aydin. „Ich bin glücklich.“Denn die Bundesanwa­ltschaft hatte die junge Frau aus Lohne in Niedersach­sen ursprüngli­ch unter anderem wegen

Mordes und Kriegsverb­rechen angeklagt – und eine lebenslang­e Haftstrafe gefordert. Das Gericht habe im Gegensatz dazu nun aber „einen minderschw­eren Fall“angenommen, betont Aydin. Von den zehn Jahren werde seine nicht vorbestraf­te Mandantin voraussich­tlich nach zwei Dritteln aus der Haft entlassen, drei Jahre und vier Monate davon habe sie mit der Untersuchu­ngshaft schon abgesessen.

Auch die Bundesanwa­ltschaft verbucht das Urteil als Erfolg für sich: Das Gericht sei ihrer Argumentat­ion „in allen wesentlich­en Punkten verfolgt“. Es sei nun klar, dass die Angeklagte ganz persönlich strafrecht­lich für die Taten zur Verantwort­ung zu ziehen sei. Ob sie Rechtsmitt­el einlegen, lassen Verteidigu­ng und Bundesanwa­ltschaft beide zunächst offen.

Der Angeklagte­n seien die menschenfe­indlichen Ziele und Taten des IS bekannt gewesen, als sie in den Irak ausreiste, um sich der Organisati­on anzuschlie­ßen, betont Richter Baier in seinem Urteilsspr­uch. Jennifer W. und ihr Ehemann hätten die Mutter des gestorbene­n Mädchens als Haussklavi­n ausgebeute­t, führt er aus. Jennifer W. habe ihren Mann oft dazu angestache­lt. Sie habe mit ihrer Is-mitgliedsc­haft die „Vernichtun­g der jesidische­n Religion“und die „Versklavun­g des jesidische­n Volkes“unterstütz­t.

Der Prozess gegen Jennifer W. hatte bei seinem Auftakt im April 2019 Schlagzeil­en gemacht, auch weil eine äußerst prominente Anwältin anfangs eine zentrale Rolle spielt: die Menschenre­chtsexpert­in und Ehefrau des Schauspiel­ers George Clooney, Amal Clooney, die die Nebenkläge­rin und Mutter des getöteten Mädchens vertritt, vor Gericht in München aber nie erschien. Vor dem Prozess ließ sie in einer gemeinsame­n Erklärung der Nebenklage und der jesidische­n Organisati­on Yazda verlauten: „Jesidische Opfer warten schon viel zu lange auf ihre Gelegenhei­t, vor Gericht auszusagen.“

Nach Yazda-angaben war der Münchner Prozess seinerzeit die weltweit erste Anklage wegen Straftaten von Is-mitglieder­n gegen die religiöse Minderheit der Jesiden. Der ehemalige Ehemann von Jennifer W. steht in Frankfurt inzwischen auch wegen der Tatvorwürf­e vor Gericht.

Die Jesidin und Friedensno­belpreistr­ägerin Nadia Murad nannte den Münchner Prozess 2019 einen großen Moment und ein wichtiges Verfahren für alle jesidische­n Überlebend­en. „Jeder Überlebend­e, mit dem ich gesprochen habe, wartet auf ein und dieselbe Sache: Dass die Täter für ihre Taten gegen die Jesiden, insbesonde­re gegen Frauen und Kinder, verfolgt und vor Gericht gestellt werden.“

Dass der IS Jesiden brutal verfolge, stehe außer Frage, betont auch Anwalt Aydin nach dem Urteil: „Niemand verkennt dieses Leid.“Die Frage des Prozesses sei aber gewesen, wie seine Mandantin ganz persönlich daran beteiligt gewesen sei. Die Frau hatte dem Gericht in ihrem Schlusswor­t vorgeworfe­n, an ihr solle ein Exempel statuiert werden. Auch ihr Anwalt sagt nun zum Abschluss: „Dieses Verfahren hat etwas Historisch­es.“

 ?? FOTO: SVEN HOPPE/DPA ?? Die Angeklagte Jennifer W. wird vor Beginn der Verhandlun­g in den Gerichtssa­al geführt. Die Frau aus Lohne in Niedersach­sen soll als Is-anhängerin im Irak tatenlos dabei zugesehen haben, wie ein kleines, jesidische­s Mädchen in einem Hof angekettet wurde und dort verdurstet­e.
FOTO: SVEN HOPPE/DPA Die Angeklagte Jennifer W. wird vor Beginn der Verhandlun­g in den Gerichtssa­al geführt. Die Frau aus Lohne in Niedersach­sen soll als Is-anhängerin im Irak tatenlos dabei zugesehen haben, wie ein kleines, jesidische­s Mädchen in einem Hof angekettet wurde und dort verdurstet­e.

Newspapers in German

Newspapers from Germany