Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kretschmann verspricht Kampf gegen Bürokratie
Task Force soll Ausbau der Windkraft beschleunigen – Bürgermeister im Land skeptisch
- Wegen überbordender Bürokratie gerät Deutschland laut Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ins Hintertreffen. „Wir dürfen uns nicht weiter daran gewöhnen, sondern müssen es uns abgewöhnen, dass alles unter einem bürokratischen Wust erstickt“, sagte der Regierungschef vor rund 600 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern am Montag in Stuttgart. „Ich verspreche ihnen, das werden wir angehen.“Als ersten Schritt nannte er den schnelleren Ausbau der Windkraft, um den sich ab Dienstag eine neue Task Force kümmern soll. Die Rathausspitzen teilen Kretschmanns Analyse – an Veränderung aber glauben sie kaum.
Alle zwei Jahre lädt der Gemeindetag, der die kleinen und mittleren Kommunen im Land vertritt, zur Kommunalpolitischen Kundgebung. Spätestens seit 2015 dürfte Kretschmann diesen Treffen mit gemischten Gefühlen entgegenblicken. Damals erntete er während seiner Rede Pfiffe, Gelächter und Buh-rufe. Der Hauptgrund: Die damals grünrote Regierungskoalition hatte zuvor die Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene gestärkt. Sie machte den Weg frei für Bürgerentscheide zur Bauleitplanung vor Ort. Der damalige Verbandspräsident Roger Kehle (CDU) sprach von unnötigen Vorgaben und von einem Misstrauen gegenüber den Entscheidern vor Ort.
Die Stimmung am Montag in der Stuttgarter Schleyer-halle war deutlich freundlicher. Die Bürgerentscheide waren aber erneut Thema. Kehles Nachfolger Steffen Jäger (CDU) nannte sie als Grund dafür, dass wichtige Entwicklungen ausgebremst würden. „Das ist keine undifferenzierte Ablehnung einer konstruktiven Einbindung der Bürgerinnen und Bürger“, so Jäger. Aber: „Wir werden es nicht schaffen, den Klimawandel zu gestalten, wenn wir es nicht schaffen das Allgemeinwohl gegen Individualinteressen durchzusetzen.“Das gelte für den Bau von Windrädern ebenso wie für Mobilfunkmasten und für neue Wohnhäuser auf innerörtlichen Baulücken – Stichwort: Nachverdichtung.
Nicht die Bürgerbeteiligung verhindere wichtige Bauvorhaben, entgegnete Kretschmann. „Es sind in der Regel Klagen, die Bürger anstrengen, die zu Verzögerungen führen.“Und: Die Bürokratie bremse. Bis ein Windrad stehe, dauere es in der Regel sechs bis sieben Jahre. „Wir brauchen mindestens eine Halbierung der Planungsund Umsetzungszeiten. Das geht nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung“, so Kretschmann. Gerade der Ausbau regenerativer Energiequellen müsse deutlich schneller werden. „Wir brauchen Strom, Strom und nochmal Strom.“
Das Land hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral zu werden. Dafür sollen zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft und Photovoltaik reserviert sein. Im Staatswald sollen bis zu 1000 Windräder entstehen. „Das wird unser Land nicht ruinieren und auch den Naturschutz nicht wesentlich beeinträchtigen“, sagte Kretschmann. Forstminister Peter Hauk (CDU) hat jüngst die ersten fünf Standorte für 90 mögliche Windräder benannt. Größtes Potenzial sieht er im Altdorfer Wald im Kreis Ravensburg.
Eine Task Force, die die Landesregierung am Dienstag gründen will, soll den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben. „Wie können wir es vermeiden, dass ein Bürgermeister vor Ort zerrieben wird?“, nannte Kretschmann als eine der Fragen, um die sich die Task Force kümmern soll. In der Gemeinde sollten nur örtlich spezifische Fragen diskutiert werden – nicht die allgemeinen, etwa zum Infraschall durch Windräder. „Wir brauchen klare Zuständigkeiten, verlässliche Verfahren, eine gute Ordnung der Dinge, denn es kann nicht sein, dass ein Bürgermeister wegen jedem Windrad durchs Feuer muss.“Das sei der erste Schritt zum Bürokratieabbau, den Kretschmann ins Zentrum seiner dritten Amstzeit stellt. „Das Thema ist natürlich überhaupt nicht sexy“, sei aber zwingend nötig, so Kretschmann. „Das werden wir am Beispiel Windkraft durchexerzieren und dann auf anderes Verwaltungshandeln übertragen.“
Kretschmanns Analyse stimme zwar, sagte Mario Glaser (parteilos), Bürgermeister aus Schemmerhofen im Kreis Biberach. Um eine echte Beschleunigung zu erreichen, seien aber grundlegende Gesetzesänderungen nötig. „Ich glaube nicht, dass die Landesregierung dazu die Kraft hat“, so Glaser. „Das würde große Einschnitte bei Bürgerrechten und bei Natur- und Artenschutz bedeuten.“Glasers Amtskollege Elmar Braun (Grüne) aus dem benachbarten Maselheim zweifelt ebenfalls. „Die Task Force macht das Prozedere noch länger, wenn da nur die Amtschefs der Ministerien zusammensitzen.“Die hätten längst gemeinsam eine Beschleunigung angehen können.