Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kluge Köpfe als entscheidende Ressource
Schlüsselindustrien im Südwesten sind laut einer Studie vor allem auf Software- und Datenexpertise angewiesen
- Die Welt wird digitaler. Der Klimawandel und das damit verbundene Ziel der Dekarbonisierung zwingen Unternehmen, ihre Produkte und ihre Produktion anzupassen. Hinzu kommt, dass die Gesellschaft älter wird, was die Suche nach Fachkräften erschwert. Die drei D – Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie – sind für den Erfolg der Wirtschaft in Baden-württemberg in Zukunft entscheidend.
Aber was bedeutet die Entwicklung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Welche Fähigkeiten muss ein Facharbeiter bei einem Autozulieferer wie SHW in Aalen, Bad Schussenried und Neuhausen zukünftig mitbringen? Wie ändert sich die Arbeitsweise eines Medizintechnikers bei Storz in Tuttlingen? Was bedeuten Homeoffice und digitales Arbeiten für Führungskräfte bei dem Biberacher Maschinenbauer Handtmann? Und vor allem: Welche Fertigkeiten brauchen die Menschen in den kommenden Jahren, um einen Job zu finden oder zu behalten?
Klar ist: Ohne Kenntnisse über softwaregestützte Steuerungen von Geschäftsprozessen, die Verarbeitung von Daten und Künstliche Intelligenz werden Unternehmen und ihre Mitarbeiter wohl nicht auskommen. Zudem sind überfachliche Fähigkeiten wie Flexibilität, agiles Arbeiten und Führungskompetenzen gefragt, wie eine Studie ergab, die die Gewerkschaft IG Metall und der Arbeitgeberverband Südwestmetall in Auftrag gegeben haben. Dafür haben die Universitäten Regensburg und Ulm mehr als eine Million Stellenanzeigen aus den vier Schlüsselindustrien Badenwürttembergs – Automobilindustrie, Maschinenbau, Metallindustrie sowie Medizintechnik – analysiert und 245 Unternehmen dazu befragt, welche Kompetenzen ihre Mitarbeiter in Zukunft mitbringen müssen.
„Der Schlüssel, um den Wandel erfolgreich zu gestalten“, ist die Qualifizierung von Mitarbeitern, sagte die baden-württembergischen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-kraut (CDU) bei der Vorstellung der sogenannten Future-skills-studie
am Montag in Stuttgart. Der Untersuchung zufolge werden allein bei den etwa 710 000 Beschäftigten in den Schlüsselindustrien bis 2026 mehr als eine Million zusätzliche Fähigkeiten benötigt, um künftigen Anforderungen und Aufgaben erfolgreich zu begegnen. Pro Arbeitnehmer bedeutet das, dass sie ungefähr 1,5 Fähigkeiten mehr in ihrem Beruf tagtäglich benötigen.
Die Ergebnisse stützen und ergänzen bisher bekannte Meinungen vieler Experten zu benötigten Kompetenzen von Arbeitnehmern in der Zukunft. Neu war der datenbasierte
Ansatz der Studienleitung. „Die Methodik der Studie erlaubt uns einen sehr detaillierten Blick auf insgesamt 33 Future-skills-cluster“, sagte die Wirtschaftsinformatikerin Julia Klier, die die Studie geleitet hatte. Von diesen seien zwölf für den wirtschaftlichen Erfolg der untersuchten Schlüsselindustrien entscheidend.
In den Future-skills-clustern sind benötigte Zukunftskompetenzen zusammengefasst. Der Oberbegriff der softwaregestützten Steuerung von Geschäftsprozessen beinhaltet Anwendungsbeispiele wie digitale Materialplanung und -beschaffung, digitale Ökosysteme oder Dokumentenmanagement. Es sind Aufgaben, die Arbeitnehmer bis 2026 bewältigen können sollten. „Ein Drittel der Beschäftigten sehen bei sich und ihren Unternehmen Nachholbedarf im Hinblick auf digitale Kompetenzen“, sagte Klier.
„Auf Baden-württemberg wartet eine der größten Weiterbildungsoffensiven seiner Geschichte“, sagte Baden-württembergs Ig-metallchef Roman Zitzelsberger. „Wir wollen möglichst viele Menschen im Strukturwandel erfolgreich mitnehmen“, ergänzte Peer-michael Dick,
Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen dafür aktiv werden. Zitzelsberger und Dick räumten ein, dass von beiden Seiten bisher aus verschiedenen Gründen zu wenig getan wurde. „Manchmal ist es aufgrund der laufenden Produktion nicht möglich, Angestellte abzustellen. Manchmal ist es auch so, dass Arbeitnehmer eine Weiterbildung ohne Grund ablehnen“, nannte Dick exemplarisch Probleme.
Auch Hoffmeister-kraut verwies darauf, dass sich vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen noch zu wenige Menschen weiterbilden. „Die Herausforderung besteht darin, diese Menschen zu erreichen. Die Konkretisierung der Kompetenzen durch die Studie wird diese Aufgabe leichter machen“, sagte die Wirtschaftsministerin, die anhand der Studienergebnisse neue Weiterbildungsprojekte auf den Weg bringen will. Wie hoch die dafür nötigen Investitionen seien, ließ sie zunächst offen. „Die Transformation gelingt nur, wenn nicht nur in Technik, sondern auch in Köpfe investiert wird“, mahnte Hoffmeister-kraut, deren Ministerium die 180 000 Euro teure Studie zur Hälfte förderte.
Berufliche Weiterbildungen können aber nicht nur den Wirtschaftsstandort Baden-württemberg sichern, sondern auch den eigenen Job. Laut einer aktuellen Umfrage des Beratungsunternehmens EY fürchtet jeder achte Arbeitnehmer aufgrund der Digitalisierung um den Arbeitsplatz. Besonders hoch ist der Anteil in der Autoindustrie mit 19 Prozent sowie im Maschinen- und Anlagenbau mit 17 Prozent der Befragten.
Für Führungskräfte kann es sich mit Blick auf vermehrtes Homeoffice der Beschäftigten jedenfalls lohnen, sich in digitaler Interaktion und Teamfähigkeit weiterzubilden, für Medizintechniker bieten sich Zukunftskompetenzen wie bildgebende Verfahren oder Digitalisierung medizinischer Geräte an und alternative Antriebstechnologien beschäftigen derzeit die Maschinenbauer. Finden Mitarbeiter die richtige Weiterbildung, müssen sie auch nicht mehr um ihren Job fürchten.