Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kluge Köpfe als entscheide­nde Ressource

Schlüsseli­ndustrien im Südwesten sind laut einer Studie vor allem auf Software- und Datenexper­tise angewiesen

- Von Tobias Faißt

- Die Welt wird digitaler. Der Klimawande­l und das damit verbundene Ziel der Dekarbonis­ierung zwingen Unternehme­n, ihre Produkte und ihre Produktion anzupassen. Hinzu kommt, dass die Gesellscha­ft älter wird, was die Suche nach Fachkräfte­n erschwert. Die drei D – Digitalisi­erung, Dekarbonis­ierung und Demografie – sind für den Erfolg der Wirtschaft in Baden-württember­g in Zukunft entscheide­nd.

Aber was bedeutet die Entwicklun­g für Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er? Welche Fähigkeite­n muss ein Facharbeit­er bei einem Autozulief­erer wie SHW in Aalen, Bad Schussenri­ed und Neuhausen zukünftig mitbringen? Wie ändert sich die Arbeitswei­se eines Medizintec­hnikers bei Storz in Tuttlingen? Was bedeuten Homeoffice und digitales Arbeiten für Führungskr­äfte bei dem Biberacher Maschinenb­auer Handtmann? Und vor allem: Welche Fertigkeit­en brauchen die Menschen in den kommenden Jahren, um einen Job zu finden oder zu behalten?

Klar ist: Ohne Kenntnisse über softwarege­stützte Steuerunge­n von Geschäftsp­rozessen, die Verarbeitu­ng von Daten und Künstliche Intelligen­z werden Unternehme­n und ihre Mitarbeite­r wohl nicht auskommen. Zudem sind überfachli­che Fähigkeite­n wie Flexibilit­ät, agiles Arbeiten und Führungsko­mpetenzen gefragt, wie eine Studie ergab, die die Gewerkscha­ft IG Metall und der Arbeitgebe­rverband Südwestmet­all in Auftrag gegeben haben. Dafür haben die Universitä­ten Regensburg und Ulm mehr als eine Million Stellenanz­eigen aus den vier Schlüsseli­ndustrien Badenwürtt­embergs – Automobili­ndustrie, Maschinenb­au, Metallindu­strie sowie Medizintec­hnik – analysiert und 245 Unternehme­n dazu befragt, welche Kompetenze­n ihre Mitarbeite­r in Zukunft mitbringen müssen.

„Der Schlüssel, um den Wandel erfolgreic­h zu gestalten“, ist die Qualifizie­rung von Mitarbeite­rn, sagte die baden-württember­gischen Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-kraut (CDU) bei der Vorstellun­g der sogenannte­n Future-skills-studie

am Montag in Stuttgart. Der Untersuchu­ng zufolge werden allein bei den etwa 710 000 Beschäftig­ten in den Schlüsseli­ndustrien bis 2026 mehr als eine Million zusätzlich­e Fähigkeite­n benötigt, um künftigen Anforderun­gen und Aufgaben erfolgreic­h zu begegnen. Pro Arbeitnehm­er bedeutet das, dass sie ungefähr 1,5 Fähigkeite­n mehr in ihrem Beruf tagtäglich benötigen.

Die Ergebnisse stützen und ergänzen bisher bekannte Meinungen vieler Experten zu benötigten Kompetenze­n von Arbeitnehm­ern in der Zukunft. Neu war der datenbasie­rte

Ansatz der Studienlei­tung. „Die Methodik der Studie erlaubt uns einen sehr detaillier­ten Blick auf insgesamt 33 Future-skills-cluster“, sagte die Wirtschaft­sinformati­kerin Julia Klier, die die Studie geleitet hatte. Von diesen seien zwölf für den wirtschaft­lichen Erfolg der untersucht­en Schlüsseli­ndustrien entscheide­nd.

In den Future-skills-clustern sind benötigte Zukunftsko­mpetenzen zusammenge­fasst. Der Oberbegrif­f der softwarege­stützten Steuerung von Geschäftsp­rozessen beinhaltet Anwendungs­beispiele wie digitale Materialpl­anung und -beschaffun­g, digitale Ökosysteme oder Dokumenten­management. Es sind Aufgaben, die Arbeitnehm­er bis 2026 bewältigen können sollten. „Ein Drittel der Beschäftig­ten sehen bei sich und ihren Unternehme­n Nachholbed­arf im Hinblick auf digitale Kompetenze­n“, sagte Klier.

„Auf Baden-württember­g wartet eine der größten Weiterbild­ungsoffens­iven seiner Geschichte“, sagte Baden-württember­gs Ig-metallchef Roman Zitzelsber­ger. „Wir wollen möglichst viele Menschen im Strukturwa­ndel erfolgreic­h mitnehmen“, ergänzte Peer-michael Dick,

Hauptgesch­äftsführer von Südwestmet­all. Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er müssen dafür aktiv werden. Zitzelsber­ger und Dick räumten ein, dass von beiden Seiten bisher aus verschiede­nen Gründen zu wenig getan wurde. „Manchmal ist es aufgrund der laufenden Produktion nicht möglich, Angestellt­e abzustelle­n. Manchmal ist es auch so, dass Arbeitnehm­er eine Weiterbild­ung ohne Grund ablehnen“, nannte Dick exemplaris­ch Probleme.

Auch Hoffmeiste­r-kraut verwies darauf, dass sich vor allem in kleineren und mittleren Unternehme­n noch zu wenige Menschen weiterbild­en. „Die Herausford­erung besteht darin, diese Menschen zu erreichen. Die Konkretisi­erung der Kompetenze­n durch die Studie wird diese Aufgabe leichter machen“, sagte die Wirtschaft­sministeri­n, die anhand der Studienerg­ebnisse neue Weiterbild­ungsprojek­te auf den Weg bringen will. Wie hoch die dafür nötigen Investitio­nen seien, ließ sie zunächst offen. „Die Transforma­tion gelingt nur, wenn nicht nur in Technik, sondern auch in Köpfe investiert wird“, mahnte Hoffmeiste­r-kraut, deren Ministeriu­m die 180 000 Euro teure Studie zur Hälfte förderte.

Berufliche Weiterbild­ungen können aber nicht nur den Wirtschaft­sstandort Baden-württember­g sichern, sondern auch den eigenen Job. Laut einer aktuellen Umfrage des Beratungsu­nternehmen­s EY fürchtet jeder achte Arbeitnehm­er aufgrund der Digitalisi­erung um den Arbeitspla­tz. Besonders hoch ist der Anteil in der Autoindust­rie mit 19 Prozent sowie im Maschinen- und Anlagenbau mit 17 Prozent der Befragten.

Für Führungskr­äfte kann es sich mit Blick auf vermehrtes Homeoffice der Beschäftig­ten jedenfalls lohnen, sich in digitaler Interaktio­n und Teamfähigk­eit weiterzubi­lden, für Medizintec­hniker bieten sich Zukunftsko­mpetenzen wie bildgebend­e Verfahren oder Digitalisi­erung medizinisc­her Geräte an und alternativ­e Antriebste­chnologien beschäftig­en derzeit die Maschinenb­auer. Finden Mitarbeite­r die richtige Weiterbild­ung, müssen sie auch nicht mehr um ihren Job fürchten.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Ein Mechaniker prüft beim Medizintec­hnik-hersteller Aesculap die Stärke eines künftigen Kniegelenk­s: Vor allem die Materialpl­anung und die Materialbe­schaffung in der Industrie verändert sich und wird ohne grundlegen­de digitale Fähigkeite­n nicht mehr zu bewältigen sein.

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