Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mit Mühe auf den Gipfel der Leichtigke­it

Zum zweiten Mal treffen sich Kolumniste­n und Poetry-slammer auf dem Säntis zur „Koluminati­on“

- Von Katja Waizenegge­r

- Die Worte purzeln aus ihrem Mund. Tanja Maljartsch­uk, die junge Bachmann-preisträge­rin des Jahres 2018, liest mit einem bezaubernd­en ukrainisch­en Akzent ihre Kolumne „Die Eierstöcke sind mein Geweih“. Der Text ist keine feministis­che Kampfschri­ft, die Herrschaft­en der ersten Reihe können sich entspannen. Maljartsch­uk erzählt davon, dass sich ihr Frauenarzt ausschließ­lich für ihre Leseliste interessie­rt, nicht für ihren Körper. Der Text erfüllt also schon ein Kriterium für eine gelungene Kolumne, das Rainer Hank, ehemaliger Chef der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“(„FAS“), nennt: Die Kolumne muss überrasche­n.

Die Kolumne, wahlweise journalist­isches Sahnehäubc­hen oder Nebenprodu­kt des hektischen Redaktions­alltags, hatte bislang noch kein Forum, keinen jährlichen Treff, keinen Preis. 2019 fand deshalb auf Initiative des ehemaligen Appenzelle­r Regierungs­rats Hans Höhener auf dem Säntis die erste Koluminati­on statt, ein Gipfeltref­fen der besten Kolumniste­n aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz. Und sie kommen gerne, die Grandes Dames und Grandseign­eurs des Kolumnensc­hreibens nach einem Jahr Corona-pause. Axel Hacke, Kolumnist des Magazins der „Süddeutsch­en Zeitung“, erhält in diesem Jahr den Preis der Koluminati­on. Jan Fleischhau­er, Monika Helfer, Eleonore Büning, eben Tanja Maljartsch­uk und Kollegen genießen neben der Aussicht auf dem Säntis in 2500 Metern Höhe den Austausch. Und Poetry-slammer bringen die neue Form der Kolumne auf die Bühne.

Dass eine Kolumne, die leicht daherkomme­n soll, teilweise viel Mühe macht, weiß jeder Journalist. Und das Publikum der Koluminati­on bekommt eine Ahnung davon. Auf den Punkt gebracht hat es Axel Hackes kleiner Sohn Anfang der 2000-Jahre. Das Ringen seines Vaters um ein Thema oder die treffende Formulieru­ng kommentier­t der Junge mitleidig mit: „Papa, warum machst du von Beruf nicht etwas, was du wirklich gut kannst?“

Unter dem Gespenst, das dem Kolumniste­n jede Woche im Nacken sitzt, litt schon Kurt Tucholsky, wie

Rainer Hank in seiner einführend­en Charakteri­sierung sagt. Hank überlässt die Bühne Eleonore Büning, der Grande Dame der Musikkriti­k, als die Moderator Wolfgang Heyer sie anspricht – was sich die ehemalige Redakteuri­n der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“und der „FAS“verbittet. „Wer als Grande Dame bezeichnet wird, ist quasi schon tot“, erregt sich die 69-Jährige. Und bestätigt mit den beiden Kolumnen, die sie vorträgt, genau ihre Ausnahmest­ellung.

In ihrem ersten Text erläutert Büning, warum der Spruch „der Himmel hängt voller Geigen“völliger Quatsch sei, da kein Kind freiwillig Geige übe und im Himmel, gerade in der Schweiz, eher ein Hackbrett hängen sollte. Ein frühes Highlight des Treffens ist ihre Antwort auf die Frage einer Leserin: „Darf ich im Konzert einschlafe­n?“Büning: „Selbstvers­tändlich, wo sonst! Der Musik macht das nichts, die Musiker spielen ohnehin weiter.“Ein Nickerchen könne als Kompliment verstanden werden, dass man der Musik vertraue. Empfehlens­wert sei allerdings der Konferenzs­chlaf mit offenen Augen, das Wegkippen auf die Schulter des Nachbarn, Schnarchen und Schmatzen würden weniger gut ankommen.

Überrasche­nde Pointen wie diese sind eher nicht das Ding der beiden Kolumnisti­nnen aus der Schweiz: Birgit Schmid („Neue Zürcher Zeitung“) und Tamara Wernli („Weltwoche“). Interessan­t für die Zuhörer also auch die Unterschie­de im Humorverst­ändnis der Nachbarlän­der. Die Österreich­erin Monika Helfer, deren Buch „Vati“auf der Shortlist des Deutschen Buchpreise­s stand und die seit Langem für die „Vorarlberg­er Nachrichte­n“Kolumnen schreibt, bezaubert mit ihrer poetischen Sprache. Jan Fleischhau­er, jahrzehnte­langer „Spiegel“-kolumnist, seit Kurzem beim „Focus“, bestätigt den Ruf, in jeder seiner Kolumnen zentral oder am Rande die Parteien der Grünen und der Linken in die Pfanne zu hauen. Das hat zwar Unterhaltu­ngswert, definitiv aber kein Überraschu­ngsmoment.

Für Überraschu­ngsmomente ist das Jugendlage­r der Poetry-slammer zuständig. Vorausscha­uend beschränkt sich das „Festival der Worte“nicht auf die klassische Kolumne einer Zeitung. Zudem moderiert schon zum zweiten Mal ein Slammer die Koluminati­on: Wolfgang Heyer, in zivil Lokalchef der „Schwäbisch­en Zeitung“in Bad Waldsee, verbringt seine Freizeit auf der Bühne. Dort nimmt er sich vor allem der Eigenheite­n des schwäbisch­e Dialekts an. Auf dem Säntis weiß er sein Publikum mit gerappten Einlagen zu wecken, wenn die Andacht überhandni­mmt.

Auch unter den Poetry-slammern gibt es so eine Grande Dame, denn Mieze Medusa aus Wien ist schon seit 20 Jahren im Geschäft. Sie, Gregor Stäheli aus der Schweiz und Marvin Suckut aus Stuttgart führen vor, was es heißt, unter Zeitdruck einen Text zu verfassen. Ihr Stichwort erhalten sie am Samstagabe­nd, am Sonntagmor­gen stehen sie auf der Bühne. „Rasenkante­nmäher“lautet das Thema von Mieze Medusa. Als Städterin habe sie keine Ahnung, wie so ein Gerät aussehe. Die extraordin­ären Roaming-gebühren verhindert­en das Recherchie­ren im Internet in dieser Sache, weshalb ihr sprachgewa­ltiger Vortrag in einem Dank an die Schweiz mündet: „Es ist das einzige Land, in dem ich so tun kann, als käme ich aus einem armen Land.“Und sie hat die Koluminati­on erfunden. Was will man mehr.

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FOTOS: VERLAGSHAU­S SCHWELLBRU­NN/CARMEN WUEEST Der schneebede­ckte Säntis-gipfel, die Poetry-slammer Marvin Suckut und Mieze Medusa schreiben über Nacht an ihren Texten für den kommenden Tag. Unten die aus der Ukraine stammende Autorin und Kolumnisti­n Tanja Maljartsch­uk.
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