Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Der stille Tod auf der Straße
Warum im Herbst so häufig Igel und Eichhörnchen überfahren werden
tückisch: Habe es geregnet, fänden Igel gerade auf der Straße einen reich gedeckten Tisch mit Schnecken und Würmern vor – und müssten ihren Appetit häufig mit dem Leben bezahlen. In der Regel bewegen sich Igel aber schon deshalb auf der Fahrbahn, weil ihre Reviere im dicht besiedelten Baden-württemberg von Straßen durchschnitten sind. „Wenn die Leute einen Igel im Garten haben, denken sie, der bleibt auch dort“, so Maurer. „Aber Igel haben große Reviere, sie laufen in der Nacht mehrere Kilometer weit.“Sobald es dämmert, ziehen sie los – auf der Suche nach Nahrung, einem Partner oder, wie derzeit, nach einem passenden Winterquartier.
Auch die tagaktiven Eichhörnchen sind derzeit mit ihren Vorbereitungen für die kalte Jahreszeit beschäftigt. Anders als Igel halten sie keinen Winterschlaf, sondern ziehen sich bei frostigen Temperaturen in ihre geschützten Kobel zurück, wo sie zur Ruhe kommen, den Stoffwechsel herunterfahren und sogar den Herzschlag reduzieren. Alle paar Tage unterbrechen sie jedoch ihre sogenannte Winterruhe und suchen ihre Vorratslager mit Baumsamen, Wal- und Haselnüssen auf. Davon gibt es jetzt im Herbst reichlich und das gilt es als „Lebensversicherung“für schlechte
Tage zu nutzen. So sind die flinken Tierchen gerade häufig entlang von Alleen, Parks, Friedhöfen oder auch Wohnsiedlungen mit großen Bäumen unterwegs – und geraten bei ihrer emsigen Futtersuche auch immer wieder unter die Räder.
„Davon sind hauptsächlich unerfahrene Jungtiere betroffen“, berichtet der Alleshauser Naturschützer Lange-eichholz. Ohnehin seien die kleinen Eichhörnchen vielen Gefahren ausgesetzt, 70 bis 80 Prozent der Jungen überlebten das erste Lebensjahr nicht. Um die hohe Sterblichkeit auszugleichen, bringen die Nager im Jahr zwei bis drei Würfe zur Welt. Dies hänge jedoch vom Nahrungsangebot ab, so Lange-eichholz, weshalb der Bestand an Eichhörnchen starken Schwankungen unterworfen ist. Und auch lokal kann es große Unterschiede geben, da auch die Witterung entscheidend ist, ergänzt Maurer. Vor allem Kälte schade dem Nachwuchs. Da in diesem Jahr in der Region vergleichsweise häufig Eichhörnchen gesichtet werden, scheint die Aufzucht der Jungtiere in eine günstige Wetterphase gefallen zu sein.
Wie hoch die Population der Eichhörnchen insgesamt ist, das werde allerdings nicht erfasst, so Lange-eichholz. Deshalb ist schwer abzuschätzen, ob sich der Straßenverkehr bestandsgefährdend auswirkt. Ähnlich sieht die Situation bei Igeln aus. Hier habe es immerhin eine Reihe von kleineren Untersuchungen gegeben. So wurde in Bayern versucht, anhand von überfahrenen Tieren Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie sich die Population in einem bestimmten Zeitraum entwickelt hat. Das Ergebnis ist alarmierend. „Der Bestand hat in den letzten Jahrzehnten um 80 Prozent abgenommen“, berichtet Langeeichholz. „Davon ist ein erheblicher Teil auf den Autoverkehr zurückzuführen.“Und auf der im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz erstellten Roten Liste bestandsgefährdeter Tiere taucht der Igel seit der letzten Aktualisierung 2020 in der Vorwarnstufe auf. „Darunter werden eigentlich weitverbreitete Arten erfasst, die aber erhebliche Bestandsrückgänge erkennen lassen“, erläutert Langeeichholz. Die Situation sei also durchaus ernstzunehmen: „Jedes Tier spielt eine Rolle unter ökologischen Gesichtspunkten, da kommt es auch auf die Zahl bestimmter Tiere an. In einem Gebiet braucht es einfach eine bestimmte Anzahl von Igeln etwa für die Regulierung der Schnecken.“
Allerdings lassen sich Unfallopfer nicht immer vermeiden. Beide Naturschützer
raten zwar dazu, im Straßenverkehr achtzugeben, umsichtig und mit angepasster Geschwindigkeit zu fahren. Doch anders als etwa Kröten nutzten Igel eben keine bestimmten Routen und könnten daher nicht über spezielle Zäune und Brücken geleitet werden, sagt Maurer. Deshalb gilt es, die Tiere anderweitig zu unterstützen, etwa dafür zu sorgen, dass Igel gut über den Winter kommen (siehe Kasten).
Auch Gartenbesitzer könnten viel für den Naturschutz beitragen, in dem sie Mut zur Wildnis bewiesen und Igel, Eichhörnchen & Co. einen naturnahen Lebensraum zur Verfügung stellten. Besonders problematisch sieht Lange-eichholz die beliebten Mähroboter, vor allem, wenn sie auch noch in der Dämmerung zum Einsatz und so den Igeln in die Quere kommen: „Sie rasieren den Igeln nicht nur die Nahrungsgrundlage weg, sondern sind auch noch in der Lage, sie zu verletzen.“Und der Sog, der von vielen Geräten ausgehe, erfasse sogar noch die kleinsten Insekten. Überhaupt wirke sich das häufige Mähen – nicht nur für Igel – „ziemlich katastrophal“aus, kritisiert der Naturschützer. „Normalerweise kommen Igel gut zurecht, wenn die Gärten nicht zu ,geschleckt’ aussehen.“