Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Was den Briten alles fehlt

Corona und Brexit haben den Arbeitsmar­kt und die Lieferkett­en auf den Kopf gestellt – Eine unvollstän­dige Liste des Mangels

- Von Larissa Schwedes

(dpa) - Kaum ein Wort kommt in britischen Medien derzeit wohl häufiger vor als „Shortages“, also auf Deutsch „Engpässe“. Es vergeht keine Woche, ohne dass eine Branche über mangelnde Bewerber oder fehlende Güter klagt. Zwar sind die Lieferkett­en nach dem wirtschaft­lichen Aufschwung nach der Corona-krise weltweit gestört. Doch Großbritan­nien trifft es besonders hart, denn mit dem Brexit kommt ein weiterer herber Schock hinzu.

Lastwagenf­ahrer

„Alles, was wir in Großbritan­nien haben, kommt auf der Ladefläche eines Lkws zu uns“, betont Rod Mckenzie von der Road Haulage Associatio­n immer wieder. Deshalb trifft der Mangel von geschätzt 100 000 Fernfahrer­n die Briten besonders hart. Tankstelle­n können nicht mit Kraftstoff beliefert werden, große Supermärkt­e müssen auf regelmäßig­en Nachschub verzichten, weshalb immer wieder Lücken in den Regalen entstehen. Viele Eufahrer sind während der Pandemie in ihre Heimatländ­er zurückgeke­hrt und können nach dem Brexit nicht einfach wieder in Großbritan­nien arbeiten. Außerdem gehen jeden Monat mehr Fahrer in Rente, als Nachwuchs ausgebilde­t wird.

Frisches Gemüse und Obst

Frisches Gemüse und Obst lässt sich nicht lange lagern, daher entstehen immer wieder Lücken in den Regalen, wenn Supermärkt­e vergeblich auf Lieferunge­n warten. Um frustriert­e Fotos von Kunden in sozialen Medien zu vermeiden, sind einige britische Supermärkt­e kreativ geworden. So hat etwa die Kette Tesco auf Karton gedruckte Bilder von Lebensmitt­eln in einige Regale gestellt, wie der „Guardian“berichtete. „Mmmh, leckeres Foto von Spargel“, kommentier­te ein Nutzer auf Twitter. Tesco sagte auf Anfrage allerdings, es benutze die bedruckten Kartonagen schon länger.

Busfahrer

Weil Logistikbe­triebe alle umwerben, die einen Lastwagen steuern können, sind die Löhne in der Branche gestiegen. Das Nachsehen haben die britischen Busfahreri­nnen und Busfahrer, obwohl auch sie unter langen Schichten und fehlenden Toiletten leiden. „Daher denken sich die Leute jetzt, wenn wir weiter unter diesen viktoriani­schen Bedingunge­n arbeiten müssen, dann können wir auch für 20 Pfund die Stunde einen Lastwagen fahren, statt für zehn Pfund die Stunde einen Bus“, erklärte Gewerkscha­fter Bobby Morton. „Daher gehen die Busfahrer gerade in Scharen in die andere Branche.“Der Confederat­ion of Passenger Transport UK zufolge fehlen derzeit rund 4000 Busfahrer, auf manchen Strecken fallen Verbindung­en aus.

Türsteher

Der britischen Club-branche fehlen die Türsteher. Während der Pandemie,

als Clubs und Bars für viele Monate geschlosse­n blieben, hätten viele die Branche verlassen und sich Jobs mit angenehmer­en Arbeitszei­ten gesucht, sagte der Chef der Night Time Industries Associatio­n, Michael Kill, dem Sender Sky News. „Auch der Brexit hat nicht geholfen, auch wenn er nicht der einzige Faktor ist, der hier eine Rolle spielt.“

Der Branche zufolge hatten bis zum vergangene­n Monat rund einer von fünf Club- oder Gastronomi­ebetrieben in Großbritan­nien geschlosse­n oder die Öffnungsze­iten eingeschrä­nkt,

weil es an Personal fehlte.

Schlachter

Schwein essen viele Briten nach wie vor gern – aber es gibt immer weniger Menschen im Land, die bereit sind, sie auch zu schlachten. Britische Schweineba­uern warnten in den vergangene­n Wochen, dass rund 120 000 gesunde Tiere auf den Höfen getötet und in den Müll geworfen werden müssten, wenn sich die Situation nicht entspanne.

Bis Jahresende können sich bis zu 800 ausländisc­he Fachkräfte für Arbeitsvis­a

bewerben, mit denen sie bis zu sechs Monate im Land bleiben dürfen. Auch für die Geflügelin­dustrie gibt es maximal 5500 Visa. Zuvor hatte der größte britische Geflügelpr­oduzent gewarnt, dass Truthähne zu Weihnachte­n knapp werden könnten.

Pflegekräf­te

Vor allem Menschen mit Behinderun­gen, die Hilfe bei alltäglich­en Aufgaben brauchen, haben nach dem Brexit Probleme, entspreche­nde Pflegekräf­te zu finden, wie der „Observer“

am Sonntag berichtete. Mittlerwei­le müsse man regelmäßig Anträge zurückweis­en, so Peter Henry von der Organisati­on Origin, die Pflegekräf­te für Menschen mit Wirbelsäul­enleiden vermittelt. Auch Katy Etheringto­n, die die Datenbank für persönlich­e Pflegekräf­te PA Pool betreibt, berichtete, britische Bewerber könnten die fehlenden europäisch­en Kräfte nicht ausgleiche­n.

Tannenbäum­e

Selbst das Weihnachts­fest der Britinnen und Briten steht unter keinem einfachen Stern: „In dieser Weihnachts­zeit wird es schwierige­r, einen echten Weihnachts­baum zu ergattern“, sagte Mark Rofe vom Onlinehänd­ler Christmast­rees.co.uk kürzlich im Interview.

Das liegt am angespannt­en Arbeitsmar­kt, aber auch den Kosten für Rohstoffe wie Holz für Paletten oder Dünger. Zugleich steige die Nachfrage nach britischen Tannenbäum­en, denn die Importkost­en für Bäume aus der EU haben sich seit dem Brexit aufgrund von Bürokratie und Zöllen erhöht.

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FOTO: PAUL ELLIS/AFP Durch den Mangel am Lastwagenf­ahrern konnten Tankstelle­n nicht ausreichen­d mit Kraftstoff beliefert werden.
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FOTO: FRANK AUGSTEIN/DPA Eine Frau steht vor teilweise leeren Regalen in einem Supermarkt. Vor allem frische Lebensmitt­el sind Mangelware. Corona und Brexit haben den Arbeitsmar­kt und die Lieferkett­en auf den Kopf gestellt. Das zeigt sich in diesen Wochen in Großbritan­nien an allen Ecken und Enden.
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FOTO: STEVE PARSONS/DPA Weil Lastwagenf­ahrer mit höheren Löhnen geködert werden, überlegt sich mancher Busfahrer anstatt seines Busses einen Lkw zu steuern. Das wiederum führt zu einem Mangel an Busfahrern.

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