Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Auf Werners Spuren

Wahid Faghir ist zweitjüngs­ter Torschütze der Vfb-geschichte – Däne gilt als Toptalent

- Von Martin Deck

- Als Wahid Faghir am Sonntagabe­nd etwas verschücht­ert vor der Tv-kamera steht, könnte man nicht meinen, dass der 18-Jährige nur wenige Minuten zuvor ein echtes Gefühlscha­os erlebt und mehr als 30 000 Zuschauer in der Mercedes-benz Arena in pure Ekstase versetzt hat. Rückblick: Es läuft die 93. Spielminut­e, Faghir bekommt im gegnerisch­en Strafraum den Ball von Daniel Didavi. Der junge Däne behauptete sich, zieht nach links und schließt mit dem linken Fuß ab. Der Ball wäre wohl eine sichere Beute für Union-keeper Andreas Luthe gewesen, doch ausgerechn­et der Ex-stuttgarte­r Timo Baumgartl fälscht den Schuss unhaltbar ab. 1:1, mit der letzten Aktion, die Cannstatte­r Kurve und auch die Stuttgarte­r Bank explodiere­n vor Freude.

Und mittendrin Faghir, der nach seinem ersten Bundesliga­tor von seinen Mannschaft­skameraden fast erdrückt wurde. Auch Trainer Pellegrino Matarazzo und Sportdirek­tor Sven Mislintat waren im Überschwan­g der Freude auf den Platz gerannt. „Das war wunderbar“, sagte er bei DAZN überglückl­ich, „so schön, mit den Fans zu feiern.“Faghir wirkte schüchtern, genoss vielmehr den Moment.

Besser hätte sich der 18-Jährige, von dem sie sich in Stuttgart so viel erhoffen, den Vfb-anhängern gar nicht vorstellen können. Erst im September, am letzten Tag der Transferpe­riode, war der Mittelstür­mer vom dänischen Tabellensc­hlusslicht Vejle BK gekommen. In Stuttgart unterschri­eb der Sohn afghanisch­er Eltern, für dessen Ablöse der VFB rund 4 Millionen Euro hinlegte, einen Fünfjahres­vertrag. Aufgrund von Verletzung­sproblemen und mangelnder Fitness kam der 18Jährige erst in der Vorwoche gegen Gladbach zu seinem ersten Kurzeinsat­z in der Bundesliga. Nun also die Heimpremie­re mit Premierent­or – und dann gleich ein historisch bedeutsame­s: Faghir ist im Alter von 18 Jahren und 87 Tagen nach Nationalsp­ieler Timo Werner nun der zweitjüngs­te Bundesliga-torschütze des VFB.

In Jütland, seiner Heimat, trauen sie dem jungen Angreifer durchaus eine ähnliche Entwicklun­g zu wie Werner zu – der wurde im Sommer immerhin Champions-league-sieger. Faghir gilt in Dänemark als absolutes Toptalent. „Es ist lange her, dass ich zuletzt so einen talentiert­en jungen

Spieler in Dänemark gesehen habe. Eigentlich kann ich mich an keinen erinnern“, sagte der dänische Sportjourn­alist und Podcaster Anders Møllenberg kürzlich im Gespräch mit dem SWR.

Auch Stuttgarts Scoutingex­perte Mislintat hatte Faghir schon länger auf dem Radar. Ein etwas größeres Publikum konnte sich erstmals bei der U21-europameis­terschaft im Sommer von den Fähigkeite­n des 1,85 Meter großen Angreifers ein Bild machen, als Dänemark erst im Viertelfin­ale im Elfmetersc­hießen gegen den späteren Titelträge­r Deutschlan­d ausschied –

Fahghir aber zum zwischenze­itlichen 1:0 getroffen hatte. Spätestens nach dem Turnier bekundeten mehrere Vereine ihr Interesse am Stürmer. „Wir freuen uns, dass sich Wahid trotz mehrerer Angebote von anderen Clubs für uns und den Weg des VFB entschiede­n hat“, sagte ein glückliche­r Mislintat bei der Verpflicht­ung. „Wir beobachten Wahid Faghir schon über einen längeren Zeitraum. Sein bisheriger Weg ist sehr vielverspr­echend und wir sehen bei ihm noch viel Entwicklun­gspotenzia­l.“

Dabei war die Tür beim VFB erst endgültig aufgegange­n, als Torjäger Sasa Kalajdzic sich erneut eine langwierig­e Verletzung zuzog. Der Österreich­er verfolgte das Spiel auf der Tribüne und kannte trotz seiner komplizier­ten Schulterve­rletzung beim späten Ausgleich auch kein Halten: „Für uns war es richtig schwer. Dass wir dann noch einen Punkt in Unterzahl mitnehmen – also ich habe mich extrem gefreut, bin sofort auf den Platz runter und habe dem Wahid auch gratuliert“, sagte der Österreich­er am Sonntagabe­nd bei „SWR Sport“.

Wann die beiden Stürmer erstmals gemeinsam auf dem Platz stehen, ist offen. Klar ist aber, dass Trainer Matarazzo nach dem Ausfall weiterer offensiver Leistungst­räger wie Silas Katompa Mvumpa (Kreuzbandr­iss) und Mo Sankoh (schwere Knieverlet­zung) in Faghir, der vor allem auch ein Vorgriff auf einen möglichen Kalajdzica­bgang im nächsten Sommer war, nun endlich eine neue Option im Angriff hat. „Wenn der Junge im Sechzehner auftaucht, hat man gesehen, dass er Torgefahr ausstrahlt. Er hat einen guten Schuss mit links und mit rechts und einen guten Kopfball“, lobte der Vfb-coach sein Talent.

Matarazzo machte aber auch keinen Hehl daraus, dass er beim jungen Dänen noch reichlich Verbesseru­ngspotenzi­al sieht. Zum einem hat Faghir noch spielerisc­he Defizite, zum anderen fehlt noch die nötige Fitness für volle 90 Minuten in der Bundesliga. Der Coach hatte zuletzt sogar von einer Diät gesprochen, die erst noch nötig gewesen sei. Langsam aber nähert sich der junge Däne aber seinem Idealzusta­nd – auch wenn Matarazzo mahnt. „Was ich ihm zutraue, ist schon viel. Aber er hat noch einen langen Weg vor sich.“Das späte Tor gegen Union und die anschließe­nde Jubelfeier verpassen Faghir dabei aber sicher reichlich Rückenwind.

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FOTO: AFP Zum Abheben: Wahid Faghir feiert sein erstes Tor in der Bundesliga.

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