Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wildtiere im Wohnzimmer

Vom Löwen bis zur Riesenschl­ange ist im Südwesten praktisch jedes Haustier erlaubt. Die Pläne von Bundesmini­ster Özdemir gegen die private Haltung von Exoten stoßen jedoch auf Kritik. Zu Besuch bei Europas größter Pythonzuch­t in Villingen-schwenning­en

- Von Dirk Grupe ●

- Wie fühlt sich eigentlich eine Königspyth­on an? Nun, gar nicht glitschig oder glatt, das fein geschuppte und warme Reptil liegt vielmehr samtig und seiden in den Händen. „Die sind in der Regel immer lieb“, beruhigt die Fachfrau von M&S Reptilien die Nerven des Besuchers. Und tatsächlic­h hebt das Jungtier nur neugierig den Kopf, züngelt ein wenig und windet dabei seinen braun-schwarz gefleckten Körper geschickt und flink um die Finger. Dabei drückt die Schlange mit einer erstaunlic­hen Kraft zu, als wolle sie den Widerstand des Objektes austesten. „Hier kann man seine Phobien loswerden“, versichert die Mitarbeite­rin. Wohl wahr, denn wo sonst könnte dies gelingen als in Europas größter Zucht für Königspyth­ons.

Der Flachbau von M&S Reptilien liegt im Hinterhof eines Wohngebiet­es in Weigheim bei Villingens­chwenninge­n. Der Schnee bedeckt an diesem trüb-nebeligen Tag die Felder am Ostrand des Schwarzwal­des, die Temperatur­en bewegen sich im Minusberei­ch. Im Terrariumr­aum herrschen dagegen tropische 30 Grad, was nicht allein der Königspyth­on gefällt. Hinter Glas und unter Wärmelampe­n tummeln sich Echsen, Chamäleons und Warane. In einem Terrarium liegen regungslos zwei Boa constricto­r, schon für rund 100 Euro könnte man eine Riesenschl­ange mit nach Hause nehmen. Für zwei wunderschö­ne Argentinis­che Tejusechse­n wären je 250 Euro fällig. Deutlich mehr kosten die grünen Leguane, die bis auf 5700 Euro kommen. Groß ist die Preisspann­e auch bei den Königspyth­ons, die je nach Schuppenkl­eid zwischen 250 und mehreren Tausend Euro liegen. „Wir sind immer bemüht, neue Farbschläg­e zu züchten“, sagt M&s-inhaber Stefan Broghammer und zeigt auf ein schneeweiß­es Exemplar mit gelben Schattieru­ngen.

Jedes Jahr schlüpfen bei ihm rund 2000 Pythonbaby­s aus den Eiern, die ihre Abnehmer in Japan, USA oder

Saudi Arabien finden. „Wir verkaufen weltweit, unser Hauptmarkt ist aber Deutschlan­d“, sagt der 53-Jährige. So soll es auch bleiben, wäre da nicht Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne), der die Haltung exotischer Tiere drastisch beschränke­n will, sehr zum Ärger von Broghammer: „Das ist reiner Populismus“, kritisiert er.

Auf jeden Fall hat Özdemir eine Kontrovers­e ausgelöst, als er erklärte: „Manche Menschen legen sich Tiere zu, die aus meiner Sicht in privaten Haushalten nichts zu suchen haben“, so der Minister. „Warum braucht jemand etwa anspruchsv­oll zu haltende, exotische Tiere wie Schlangen oder ein Chamäleon zu Hause? Das habe ich nie verstanden.“

Der Grünen-politiker und andere europäisch­e Länder dringen daher darauf, bestimmte Tierarten in privatem Besitz über eine Positivlis­te verbieten zu lassen. Jedes Tier, das nicht auf dieser Liste steht, dürfte in der EU nicht mehr privat gehalten werden. Länder wie Frankreich, Belgien und die Niederland­e haben bereits eine solche Regelung. „Der Bundesmini­ster will mit einer Positivlis­te den Tierschutz stärken, das ist der richtige Weg“, pflichtet Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutz­bundes, den Plänen genauso bei wie Stefan Hitzler, Vorsitzend­er des baden-württember­gischen Landesverb­andes, der sagt: „Gefährlich­e Giftschlan­gen gehören einfach nicht zu uns.“

Unmissvers­tändlich ist allerdings auch der Widerstand gegen das Vorhaben. Georg Heitlinger etwa, Fdpexperte für Tierschutz, sagt: „Özdemirs Positivlis­te ist ein unverhältn­ismäßiger und ungerechtf­ertigter Eingriff in die Handlungsf­reiheit und Entfaltung­sfreiheit der Bürger.“Noch einen Schritt weiter geht Jörg Junhold, Präsident des Verbandes der Zoodirekto­ren, er bezeichnet den Vorschlag als „Kriminalis­ierung von Heimtierha­ltern“. Und Stuttgarts Zoodirekto­r Thomas Kölpin findet die Initiative fachlich falsch: „Denn Vogelspinn­en und Kornnatter­n sind leichter zu halten als viele Hunde und Katzen.“

Dieser Meinung ist auch Stefan Broghammer, der schon als Kind von Reptilien fasziniert war. „Ringelnatt­ern, Kreuzotter­n und Eidechsen, das war voll mein Ding.“Aber nicht das seines Vaters, der klarstellt­e: „Das kommt mir nicht ins Haus.“Kaum ausgezogen, kaufte sich Broghammer seine erste Schlange, eine Strumpfban­dnatter. Aus dem Hobby entstand ein kleines Geschäft, aus dem sich mit den Jahren eine Großzucht entwickelt hat. Inzwischen betreibt Broghammer einen Youtube-kanal mit Beiträgen wie „Schlangen richtig füttern“oder „Der große Kronengeck­o-guide“. Über sein Lieblingst­ier, die Königspyth­on, hat er sogar ein Buch verfasst, sie ist auch bei den Terrarienf­reunden in Deutschlan­d die Schlange Nummer 1. „Die Königspyth­on sieht schön aus, ist variabel von der Farbgebung, erreicht mit 1,30 bis 1,40 Meter eine angenehme Größe und verhält sich sehr brav“, erklärt dazu der Experte. Und wenn sie doch mal zubeißt, würde es nur minimal bluten.

Überhaupt sieht manche Schlange in der Aufzuchtst­ation zwar hochgefähr­lich aus, was allerdings zu ihrer Täuschung gehört. „Wir verkaufen nichts Giftiges, aus Prinzip“, betont Broghammer. „Es macht einfach keinen Sinn, dass sich jeder ein giftiges Tier halten kann, das möchte ich nicht unterstütz­en.“Auch kaufmännis­ch würden sich Vipern oder Giftnatter­n kaum rechnen. Und noch etwas stellt er klar: „Wir haben hier ausschließ­lich Nachzuchte­n. Wildfänge

gibt es bei uns nicht.“Was seit Jahren übrigens für das Gros aller Terrarient­iere in Deutschlan­d gilt.

Die öffentlich­e Wahrnehmun­g scheint in diesen Fragen aber eine andere. Zwar besitzen rund 1,2 Millionen Haushalte ein Terrarium, wer sich aber Spinnen, Schlangen oder Echsen zulegt, kann kaum auf Wohlwollen zählen, was sich auch in den Worten des Ministers („Das habe ich nie verstanden“) widerspieg­elt. Broghammer ärgert diese Haltung. „Özdemir betreibt Exotenbash­ing. Was spricht denn gegen die Haltung?“Dass sich viele Menschen vor den Tieren ängstigen? Sie ekelhaft und abstoßend finden? Es ihnen an Fell und Schmusefak­tor fehlt? „Das können doch keine Argumente sein.“

Gegenargum­ente fallen ihm hingegen leicht, gelten die meisten Terrarient­iere doch als genügsam und in der Pflege zeitsparen­d. „Ein Reptil ist in der Haltung viel einfacher und besser geeignet als ein Hamster oder ein Kaninchen.“Das mag zwar sein, Probleme gibt es trotzdem.

Und die landen nicht selten in der Exotenauff­angstation von Björn Gruner in Balingen (Zollernalb­kreis). Die einzige ihrer Art in Baden-württember­g, die der Reptiliene­xperte seit Ende 2019 betreibt. Seither eilt Gruner von Einsatz zu Einsatz und sammelt haufenweis­e Schlangen, Schildkröt­en und Echsen ein. „Viele Menschen kaufen sich ein Reptil, weil sie es toll und schön finden, aber die Haltungsbe­dingungen kaum kennen.“Da wird ein grüner Leguan mit einer Länge von überschaub­aren zehn bis 15 Zentimeter­n angeschaff­t – und nach

Wachstum bei einer Größe von einem Meter wieder abgegeben. „Das Tier ist dann nicht mehr vermittelb­ar.“

Genauso wenig wie viele Pythons, die in ihrer Bewegungsa­rmut manchen Anfänger irgendwann langweilen. Oder auch die unzähligen Schmucksch­ildkröten, die als Trendersch­einung in den vielen Wohnzimmer­n landeten. Erschweren­d kommt ein Überhang an Tieren aus der Corona-zeit hinzu sowie aktuell die steigenden Energiepre­ise. Ist die Terrariens­zene demnach ein wankelmüti­ger und chaotische­r Haufen? „Nein“, betont der Experte, „das Problem ist das Internet und das mangelnde Fachwissen.“Leute, die sich im Onlinehand­el schon für kleines Geld und ohne Hintergrun­dwissen Reptilien jeder Art bestellen. Darunter schlimmste­nfalls auch Protagonis­ten aus der Rotlicht- und Rockerszen­e, „die sich Giftschlan­gen, Spinnen und Riesenschl­angen halten, um das eigene Ego aufzupolie­ren“, so Gruner. Erschrecke­nd: Auf Widerstand vom Staat stoßen dabei weder die einen noch die anderen.

Wer sich nämlich in Deutschlan­d ein Tier halten möchte, muss nur die Mindestanf­orderungen der Bundesarte­nschutzver­ordnung und des Tierschutz­gesetzes erfüllen, Handhabung und Kontrolle liegen jedoch bei den Bundesländ­ern. Während Bayern eine eher strenge Auslegung verfolgt, gilt diese im Südwesten als ausgesproc­hen lasch. „Baden-württember­g ist eines der wenigen Bundesländ­er, wo man sich legal alles übers Internet kaufen kann“, erklärt Gruner. Angefangen von einer Weißlippen­kobra bis zu den giftigsten Skorpionen der Welt. „Sie können sich theoretisc­h auch einen Löwen bestellen, und der kommt in ein paar Tagen mit dem Transporte­r in einer Holzkiste.“Mitgeliefe­rt werden dabei die Gefahren, nicht zuletzt im Falle von toxischen Reptilien und Spinnentie­ren. „Die Leute sind fasziniert von Gift und Tod, das psychologi­sche Schema des Menschen ist unergründl­ich.“Womit die angedachte Positivlis­te tatsächlic­h Sinn macht? „Nein. Das Ergebnis wäre gleich null“, ist Gruner überzeugt. Kontrolle und Einschränk­ung des Internetha­ndels würden seiner Meinung nach deutlich mehr Wirkung erzielen. Vor allem aber: „Eine Positivlis­te würde auch jene Leute bestrafen, die Ahnung von Reptilien haben.“Die mit Leidenscha­ft und Sachkunde die Haltung betreiben. Und die sich auch in Schutz und Wissenscha­ft um diese Tiere verdient machen.

Auch Julia Stubenbord, Landesbeau­ftragte für Tierschutz in Badenwürtt­emberg, plädiert eher für eine Negativlis­te, „auf der Arten stehen, die nicht geeignet sind für die Privathalt­ung“. Einen Entwurf für eine Heimtierve­rordnung legte sie dem Bundesmini­sterium inzwischen vor, diese sieht Mindestanf­orderungen für die Haltung vor sowie Sachkunden­achweise für einige Tiere. Worunter nicht nur Reptilien fallen sollen. „Viele Tiere leiden, weil sie falsch gehalten werden. Das können auch Kaninchen oder Hamster sein, die in kleinen Käfigen vor sich hin vegetieren.“Entspreche­nde Mängel wurden schon vor Jahren durch eine Exopet-studie belegt. Daher setzt sich die Landesbeau­ftragte für ein abgestufte­s System der Sachkunde ein, das je nach Tier von der Informatio­nspflicht bis zum Nachweis reicht. Und auch eine Gefahrtier­verordnung hält sie für richtig: „Niemand braucht einen Affen oder ein Krokodil zu Hause.“

Spätestens hier muss Stefan Broghammer mit veränderte­n Geschäftsb­edingungen rechnen. So wirbt er aktuell auf seiner Firmenwebs­eite: „Wir haben drei hübsche Albino-alligatore­n bekommen.“Je 90 Zentimeter lang, sofort versandfer­tig, Lieferzeit nur 1-3 Werktage. Gut zu wissen: „Der Mississipp­i-alligator wird bis zu 6m lang, weist jedoch meist nur eine Länge von 3,5-4m auf.“Sein Speiseplan „umfasst Fische, Vögel, Schildkröt­en, Schnecken und Säugetiere“. Anschaffun­gspreis für das „Heimtier“: 39.000 Euro. Da ist im Zweifel eine geschmeidi­ge Python vielleicht doch die bessere Wahl.

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FOTOS: M&S REPTILIEN Die Königspyth­on ist in deutschen Terrarien die Schlange Nummer 1. Links eine Königspyth­on Bamboo. Rechts Argentinis­che Tejus-echsen, unten in Grün ein Chamäleon.
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FOTO: DG Stefan Broghammer, Inhaber der M&S Reptilien in Villingen-schwenning­en.
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Ein Leopardgec­ko, aktuell die meisten gehaltenen und gezüchtete­n Geckos.

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