Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kritik an „Schieflage“beim Pflanzenschutz
Umweltwissenschaftler nennt bei Tagung in Bad Buchau Bioanbau „urbangeprägt“
- Die überregionale Tagung des Regierungspräsidiums Tübingen brachte in Bad Buchau Praktiker und Wissenschaft zusammen und ermöglichte einen Austausch über die aktuellen Erkenntnisse im Bereich des Pf lanzenschutzes und die geplante Einschränkung der synthetischen Pf lanzenschutzmittel durch die EU.
Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) eröffnete mit einem virtuellen Grußwort die halbtägige Vortragsreihe, die als Fortbildungsmaßnahme und Sachkundeergänzung genutzt werden konnte. Als Hauptredner stellte er den Göttinger Professor Andreas von Tiedemann vor, der als Agrar- und Umweltwissenschaftler seit vielen Jahren im Bereich von Pflanzenschutz und Pflanzenpathologie (Lehre der Schadwirkung auf Pf lanzen durch natürliche oder künstliche Faktoren von außen) forscht und lehrt.
Unter dem Titel „Pf lanzenschutz der Zukunft im Spannungsfeld gesellschaftlicher, politischer und globaler Herausforderungen“spannte er einen Bogen über die Ziele und Entwicklung von Pflanzenschutz für die Landwirtschaft in Vergangenheit und Zukunft.
Allgemein werde oftmals vergessen, dass die Landwirtschaft eine weiter ansteigende Weltbevölkerung von derzeit acht Milliarden Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen hat. Ernährungssicherung sei die eigentliche Hauptaufgabe der Landwirtschaft, habe auch Kommissionspräsidentin von der Leyen klar so benannt. Dies gelinge bei seit Jahrzehnten in der Summe weltweit kaum gestiegener Anbaufläche nur durch verbesserte Effizienz. Er verwies auf die Erfolge der Landwirte, deren Erträge geholfen hätten, die Hungerrate von 34 Prozent der Weltbevölkerung anno 1960 auf nunmehr nur noch zehn Prozent zu
senken – bei gleichzeitig deutlichem Anstieg der Bevölkerungszahl und höherer Lebenserwartung.
Pf lanzenschutzmittel hätten hier einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet, würden aber von Politik und Medien vielfach negativ gesehen und so auch ins Allgemeindenken projiziert – somit sei eine „Schief lage des Bildes von Pf lanzenschutzes“entstanden. Ohne chemisch-synthetischen Pf lanzenschutz aber, so der Professor, wäre beispielsweise mit Ertragseinbußen von 32 Prozent bei Reis oder 19 Prozent bei Weizen zu rechnen, was katastrophale Auswirkungen weltweit nach sich zöge. Den öffentlich als Alternative genannten Bioanbau sieht von Tiedemann als nicht praktikabel und nennt ihn „urbangeprägt“, denn diese Vorstellung bedeute, dass aufgrund des 30 bis 40 Prozent niedrigeren Ertrages 45 bis 60 Prozent Naturf läche weltweit umgenutzt werden müsste, was einen ungeahnten Verlust an Habitaten mit unabsehbaren Auswirkungen zur Folge hätte.
Zum Thema machte der Göttinger Professor auch die angedachte und vom Eu-parlament zuletzt abgelehnte Beschränkung des Pf lanzenschutzes mittels der Vorschrift SUR (übersetzt: „nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln“). Er sah die SUR sehr kritisch, da durch eine drastische Beschränkung deutliche Ernteeinbußen die Folge seien. Raps oder Rüben würden in Deutschland nicht mehr angebaut werden, prophezeite von Tiedemann. Drastisch formulierte er, dass mit der SUR die Politik „jenseits der Realität“gehandelt habe. Denn im Gegensatz zum letzten Jahrhundert gehe von modernen synthetischen Pf lanzenschutzmitteln in den wenigsten Fällen noch eine Gefährdung für die Umwelt oder den Menschen aus. Die Gleichsetzung mit Gift verneinte er deshalb nachdrücklich.
In der Zukunft werde aufgrund zunehmender Resistenzen bei Schädlingen oder neuen invasiven Arten oder Krankheiten nicht mehr, sondern effektiverer Pflanzenschutz benötigt, so von Tiedemann und erläuterte die Möglichkeiten der Biotechnologie oder der Robotik. Allerdings sei derzeit noch keine wirkliche Alternative zum chemischen Pf lanzenschutzmittel auf dem Markt, denn hier bremse nicht zuletzt auch der europäische Widerstand gegen die Gentechnik. Während in Nordamerika beispielsweise durch Einfügung bestimmter Gensätze beim Mais der Maiswurzelbohrer kaum Schaden mehr anrichten könne, ist eine solche Genoptimierung in Europa nicht genehmigungsfähig. Durch mangelnde Technologieoffenheit in Politik und Gesellschaft würde ein „Riesenpotenzial“verschenkt.
Unter großem Beifall richtete Andreas von Tiedemann abschließend die Forderung an die Politik nach „Beteiligung von mehr Sachverstand anstelle von Ideologie“beim Thema Pf lanzenschutz, denn wie die Praktiker werde oftmals auch die Wissenschaft im Vorfeld von Entscheidungen nicht wertfrei miteinbezogen. Mit diesen Worten leitete er zu den Fachvorträgen über, die sich mit Themen wie Applikationstechnikpotenzialen oder Ackerfuchsschwanzmanagement befassten.