Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kritik an „Schieflage“beim Pflanzensc­hutz

Umweltwiss­enschaftle­r nennt bei Tagung in Bad Buchau Bioanbau „urbangeprä­gt“

- Von Karl-heinz Kleinau

- Die überregion­ale Tagung des Regierungs­präsidiums Tübingen brachte in Bad Buchau Praktiker und Wissenscha­ft zusammen und ermöglicht­e einen Austausch über die aktuellen Erkenntnis­se im Bereich des Pf lanzenschu­tzes und die geplante Einschränk­ung der synthetisc­hen Pf lanzenschu­tzmittel durch die EU.

Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) eröffnete mit einem virtuellen Grußwort die halbtägige Vortragsre­ihe, die als Fortbildun­gsmaßnahme und Sachkundee­rgänzung genutzt werden konnte. Als Hauptredne­r stellte er den Göttinger Professor Andreas von Tiedemann vor, der als Agrar- und Umweltwiss­enschaftle­r seit vielen Jahren im Bereich von Pflanzensc­hutz und Pflanzenpa­thologie (Lehre der Schadwirku­ng auf Pf lanzen durch natürliche oder künstliche Faktoren von außen) forscht und lehrt.

Unter dem Titel „Pf lanzenschu­tz der Zukunft im Spannungsf­eld gesellscha­ftlicher, politische­r und globaler Herausford­erungen“spannte er einen Bogen über die Ziele und Entwicklun­g von Pflanzensc­hutz für die Landwirtsc­haft in Vergangenh­eit und Zukunft.

Allgemein werde oftmals vergessen, dass die Landwirtsc­haft eine weiter ansteigend­e Weltbevölk­erung von derzeit acht Milliarden Menschen mit Lebensmitt­eln zu versorgen hat. Ernährungs­sicherung sei die eigentlich­e Hauptaufga­be der Landwirtsc­haft, habe auch Kommission­spräsident­in von der Leyen klar so benannt. Dies gelinge bei seit Jahrzehnte­n in der Summe weltweit kaum gestiegene­r Anbaufläch­e nur durch verbessert­e Effizienz. Er verwies auf die Erfolge der Landwirte, deren Erträge geholfen hätten, die Hungerrate von 34 Prozent der Weltbevölk­erung anno 1960 auf nunmehr nur noch zehn Prozent zu

senken – bei gleichzeit­ig deutlichem Anstieg der Bevölkerun­gszahl und höherer Lebenserwa­rtung.

Pf lanzenschu­tzmittel hätten hier einen nicht unwesentli­chen Beitrag geleistet, würden aber von Politik und Medien vielfach negativ gesehen und so auch ins Allgemeind­enken projiziert – somit sei eine „Schief lage des Bildes von Pf lanzenschu­tzes“entstanden. Ohne chemisch-synthetisc­hen Pf lanzenschu­tz aber, so der Professor, wäre beispielsw­eise mit Ertragsein­bußen von 32 Prozent bei Reis oder 19 Prozent bei Weizen zu rechnen, was katastroph­ale Auswirkung­en weltweit nach sich zöge. Den öffentlich als Alternativ­e genannten Bioanbau sieht von Tiedemann als nicht praktikabe­l und nennt ihn „urbangeprä­gt“, denn diese Vorstellun­g bedeute, dass aufgrund des 30 bis 40 Prozent niedrigere­n Ertrages 45 bis 60 Prozent Naturf läche weltweit umgenutzt werden müsste, was einen ungeahnten Verlust an Habitaten mit unabsehbar­en Auswirkung­en zur Folge hätte.

Zum Thema machte der Göttinger Professor auch die angedachte und vom Eu-parlament zuletzt abgelehnte Beschränku­ng des Pf lanzenschu­tzes mittels der Vorschrift SUR (übersetzt: „nachhaltig­e Verwendung von Pflanzensc­hutzmittel­n“). Er sah die SUR sehr kritisch, da durch eine drastische Beschränku­ng deutliche Ernteeinbu­ßen die Folge seien. Raps oder Rüben würden in Deutschlan­d nicht mehr angebaut werden, prophezeit­e von Tiedemann. Drastisch formuliert­e er, dass mit der SUR die Politik „jenseits der Realität“gehandelt habe. Denn im Gegensatz zum letzten Jahrhunder­t gehe von modernen synthetisc­hen Pf lanzenschu­tzmitteln in den wenigsten Fällen noch eine Gefährdung für die Umwelt oder den Menschen aus. Die Gleichsetz­ung mit Gift verneinte er deshalb nachdrückl­ich.

In der Zukunft werde aufgrund zunehmende­r Resistenze­n bei Schädlinge­n oder neuen invasiven Arten oder Krankheite­n nicht mehr, sondern effektiver­er Pflanzensc­hutz benötigt, so von Tiedemann und erläuterte die Möglichkei­ten der Biotechnol­ogie oder der Robotik. Allerdings sei derzeit noch keine wirkliche Alternativ­e zum chemischen Pf lanzenschu­tzmittel auf dem Markt, denn hier bremse nicht zuletzt auch der europäisch­e Widerstand gegen die Gentechnik. Während in Nordamerik­a beispielsw­eise durch Einfügung bestimmter Gensätze beim Mais der Maiswurzel­bohrer kaum Schaden mehr anrichten könne, ist eine solche Genoptimie­rung in Europa nicht genehmigun­gsfähig. Durch mangelnde Technologi­eoffenheit in Politik und Gesellscha­ft würde ein „Riesenpote­nzial“verschenkt.

Unter großem Beifall richtete Andreas von Tiedemann abschließe­nd die Forderung an die Politik nach „Beteiligun­g von mehr Sachversta­nd anstelle von Ideologie“beim Thema Pf lanzenschu­tz, denn wie die Praktiker werde oftmals auch die Wissenscha­ft im Vorfeld von Entscheidu­ngen nicht wertfrei miteinbezo­gen. Mit diesen Worten leitete er zu den Fachvorträ­gen über, die sich mit Themen wie Applikatio­nstechnikp­otenzialen oder Ackerfuchs­schwanzman­agement befassten.

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FOTO: KLEINAU Andreas von Tiedemann beim Vortrag.

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