Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kunst ist wie Kommunalpo­litik

Kunst im Büro – Friedrichs­hafens Oberbürger­meister Andreas Brand mag es, wenn Unterschie­dliches aufeinande­r trifft

- Von Harald Ruppert

- Ein Bürgermeis­ter muss organisier­en, Entscheidu­ngen treffen, gut kommunizie­ren, empfangen und – repräsenti­eren. Auch in seinem Büro. Ob historisch­er Ölschinken, Marmorskul­ptur, Kurioses oder abstrakte Quadrate: In deutschen Bürgermeis­terzimmern findet sich jede Menge Kunst. In unserer Serie „Kunst im Büro“besuchen wir Stadtchefs im Südwesten und lassen sie erklären, was es mit den Werken in ihrer Amtsstube auf sich hat. Weiter geht es mit Oberbürger­meister Andreas Brand (59) in Friedrichs­hafen.

Die Stadt ist wohlhabend, Industrie und Hochtechno­logie prägen sie. Ihrem Oberhaupt liegt es trotzdem nicht, das Repräsenta­tive und Prächtige zur Schau zu tragen. Auch nicht, wenn es um die Kunst in seinem Amtszimmer im Rathaus geht. Brand hätte es sich damit leicht machen können, denn Friedrichs­hafen verfügt über eine reichhalti­ge Kunstsamml­ung. Warum hängt daraus also nicht einfach ein Gemälde von Otto Dix an der Wand? Brand antwortet mit einer Gegenfrage: „Wäre das nicht zu abgehoben? Zu entrückt?“

Immerhin, fügt er an, handle es sich hier um dienstlich­e Räume, „nicht um den Firmensitz eines hohenlohis­chen Schraubenh­ändlers“, sagt Brand in Anspielung auf den Unternehme­r, Kunstsamml­er und Mäzen Reinhold Würth in Künzelsau. Brand gibt gerne zu, in Kunstangel­egenheiten ein Laie zu sein. Aber das hindert ihn nicht, auf sein Bauchgefüh­l zu vertrauen. Und als er das Atelier von Waltraud Späth besuchte, sprachen ihn die Skulpturen

und Plastiken der Künstlerin aus Friedrichs­hafen sofort an.

Seit 2016 stehen zwei von Späths schwergewi­chtigen Arbeiten aus Holz und Stahl in seinem Büro. Platziert sind sie rechts und links des Konferenzt­ischs – dort, wo Brand politische Kompromiss­e aushandelt, Lösungen erarbeitet, Entscheidu­ngen trifft. „Das ist mein Lieblingsk­unstwerk“, sagt Brand und schaut nach rechts, zu Späths Plastik „Eins zu viel“. Es besteht aus einer runden Fassung aus Stahl, in die vier Holzpflöck­e eingeschla­gen wurden. Dadurch klaffen Risse in dem Stahlring, denn für vier Pf löcke ist der Ring zu eng.

Andreas Brand sieht darin eine Analogie zu seiner Arbeit am Konferenzt­isch. „Man sitzt da in einer Dreier-, Vierer- oder Fünferkons­tellation. Und einer davon sprengt mit einer Idee, einer Vorstellun­g den Rahmen.“Was macht man in dieser Situation: Den Rahmenspre­nger aus dem Spiel nehmen? Oder den zu engen Rahmen anpassen?

Hier kommt Waltraud Späths andere Arbeit ins Spiel: „Miteinande­r“. Sie besteht aus zwei Teilen – einer aus Stahl, der andere aus Holz. Diesmal bringt sie die so verschiede­nen Materialie­n zum Ausgleich. Die Teile lassen sich passgenau ineinander stecken und bilden so einen fast mannshohen Körper. „Dieses Kunstwerk steht ein Stück weit für die Arbeit in einer Verwaltung, für eine Stadt mit Menschen“, sagt Andreas Brand. Denn es geht in der Kommunalpo­litik ja um dasselbe: Wie lässt sich aus sehr verschiede­nen Positionen eine stabile Verbindung schaffen? Klar ist aber auch: Selbst der stabilste Kompromiss ist zeitlich begrenzt. Die Verhältnis­se in einer offenen Gesellscha­ft verändern sich permanent, immer neue Lösungen sind gefragt. Endzuständ­e gibt es nicht.

Und das spiegelt sich nun wiederum in der Kunst von Burkhart Beyerle. Vier Grafiken des 2021 verstorben­en Konstanzer Künstlers hat der Oberbürger­meister 2019 für die Kunstsamml­ung der Stadt erworben, von der Galerie Lutze in Friedrichs­hafen. Brands Pressespre­cherin Monika Blank hatte ihm die Arbeiten empfohlen, und der OB war einverstan­den. Auf Beyerles Blättern des Zyklus’ „Der Reiter übern Bodensee“geht es bunt drunter und drüber: Beyerle hat alte Gewässerka­rten des Bodensees mit neuen grafischen Formen überdruckt. Rote Brezeln und schwarze Buchstaben wogen in einem frisch hingewisch­ten Blau. Und auch diese Elemente sind teilweise schon wieder beschnitte­n, überdruckt, in ihrem ursprüngli­chen Sinn entstellt worden.

Weil die Kunst im Gang vor Brands Büro „etwas Einladende­s, Freundlich­es, Aufmuntern­des“haben sollte, hängt Beyerles „Reiter übern Bodensee“(2019) nun genau dort. Die vier Grafiken strahlen jenen anarchisch­en Spaß am Aufbruch aus, den auch Beyerle umtrieb. Endpunkte kannte dieser Künstler nicht. Scheinbar abgeschlos­sene Blätter hat er sich immer wieder erneut vorgenomme­n, hat sie mehrfach verändert – bis sie verkauft und seinem Zugriff entzogen waren. Nun hängen sie also vor dem Amtszimmer des Friedrichs­hafener Oberbürger­meisters und verkünden ihre Botschaft: Beständig ist allein der Wandel.

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FOTO: MICHAEL HÄFNER Holz und Stahl gehen eine Verbindung ein: Im Büro von Oberbürger­meister Andreas Brand steht die Plastik „Miteinande­r“von Waltraud Späth.

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