Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Ein Flieger aus der Kiste
Laupheimer heben mit selbst gefertigtem Flugzeug ab – Projekt begeistert auf Social Media
- Am Anfang standen viele hölzerne Kisten: Dirk Drees und Thomas Gervens vom Bundeswehr-luftsportring in Laupheim haben gemeinsam ein Flugzeug gebaut. In den letzten zwei Jahren haben sie Teil für Teil der Sling TSI zusammengesetzt. Drees Frau Diana hat den Flugzeugbau mit der Kamera begleitet, der sowohl auf Tik-tok und Instagram unter dem Namen „Apfelkuchen Flugzeugbau“zum Internet-hit avancierte.
Das Münsterland im Kalten Krieg: Düsenjäger donnern kaum 100 Meter über den Häusern der Region hinweg – für Dirk Drees beginnt als Kind die Faszination für die Luftfahrt, die ihn bis heute nicht loslässt. Mit 15 Jahren beginnt der heute 53-Jährige mit der Ausbildung zum Segelf liegen. Auch beruf lich verbandelt sich der Coesfelder mit dem Fliegen und studiert Luft- und Raumfahrttechnik.
Die Arbeit führt ihn 2006 schließlich nach Laupheim, wo er unter anderem an der Entwicklung des Airbus A350 mitwirkt. Aus seinem Büro hat er freien Blick auf die Landebahn des Laupheimer Flugplatzes. Die startenden Sportflugzeuge beobachtend, reift in Drees der Wunsch, selbst am Steuerknüppel eines motorisierten Fliegers zu sitzen. Im Jahr 2019 beginnt er beim Bundeswehr-luftsportring eine Flugausbildung und nach einem Jahr besitzt er die Lizenz für Motorflugzeuge.
Die Pandemie legt den internationalen Flugverkehr lahm, es ist ein harter Schlag für Flugzeugbauer und deren Zulieferer. Auch für Dirk Drees bedeutet die Krise eine beruf liche Veränderung. Im Urlaub mit seiner Frau Diana fragt die 48-Jährige ihren Mann nach seinem größten Traum. „Ich habe eine halbe Minute überlegt und dann gesagt: Ich würde gerne mal ein eigenes Flugzeug bauen“, sagt er. Seine Frau ermutigt ihn, das Projekt in die Tat umzusetzen und dafür eine Auszeit zu nehmen.
Im aktuellen Vereinsvorsitzenden Thomas Gervens fand Dirk Drees bereits während seiner Flugausbildung einen Freund, der, wie der Zufall es will, ebenfalls aus seiner Heimatstadt Coesfeld stammt. „Er war damals auch Flugschüler“, erinnert sich Drees zurück an ihre erste Begegnung. Als Drees seinem Kumpel von seinen Plänen erzählt, ein eigenes Flugzeug zu bauen, ist der begeistert – auch Gervens träumt von einem Selbstbau. Die Männer schließen sich für das Projekt zusammen.
Nach einigen Überlegungen fassen die beiden Flugbegeisterten eine Sling TSI ins Auge. Das Flugzeug ist nur als Bausatz des südafrikanischen Herstellers Sling Aircraft erhältlich. „Die Maschine
gibt es nicht fertig zum Kaufen. Wer die gebaut hat, gibt sie nicht mehr her“, schildert Drees.
Kurz vor Weihnachten 2022 wird es ernst: Ein Importeur von Sling Aircraft in Rotterdam bringt zwei Maschinen des einmotorigen, viersitzigen Kitflugzeugs in den Verkauf, die mit dem Containerschiff angeliefert werden. Fast 100.000 Euro kostet der Bausatz der Sling TSI, allerdings ohne Motor, Propeller und Avionik. Nach dem Jahreswechsel testen die Männer ein Probe-flugzeug in den Niederlanden auf Herz und Nieren. „Ich bin geflogen und überglücklich aus dem Flugzeug ausgestiegen. Es folgte der Handschlag mit den Holländern“, sagt Drees.
Eine Woche später flitzt Drees mit seinem T4-transporter und einem großen Anhänger nach Rotterdam und bringt den Flugzeugrumpf und die in unzählige Kisten verpackten dazugehörigen Einzelteile nach Laupheim. „Der Bus war bis unter die Decke voll“, erinnert er sich. Bevor es an die Montage gehen kann, steht noch die Inventur bevor. Die beiden Männer mieten sich eine Fläche im Hangar des Vereins und arbeiten die Teilelisten Stück für Stück ab. Rund vier Wochen dauert es, bis am Ende feststeht, was fehlt und nachbestellt werden muss.
Für jede Komponente des Bausatz-flugzeugs wie etwa Rumpf, Flügel oder Cockpit gibt es ein Handbuch, das den Aufbau erklärt. „Das ist wie ein Lego-bausatz für Große“, sagt Drees und lacht. Schließlich machen sich die Männer an die Arbeit, Kiste um Kiste wird geleert und die einzelnen Baugruppen entstehen.
Nach und nach wächst die Sling TSI. Fast von Anfang an begleitet Diana Drees die Arbeiten mit der Kamera. „Ich hatte wenig Bezug zu dem, was in der Werkstatt geschieht“, sagt sie. Doch viele Bekannte hätten sie mit Fragen zum
Projekt ihres Mannes gelöchert. Diese habe sie aufgegriffen und in einem Video beantwortet. „Wir wollten es eigentlich anonym halten“, sagt Diana Drees. Unter dem Namen „Apfelkuchen Flugzeugbau“lädt sie das erste Video bei Tik Tok hoch.
„Dass unseren Flugzeugbau jemanden interessieren könnten, daran haben wir anfangs nicht gedacht“, erläutert Diana Drees. Sofort trudeln die ersten Fragen von Zuschauern ein, die Anstoß zu neuen Videos sind. „Wir haben schnell gemerkt, dass wir einen Nerv getroffen haben.“Inzwischen folgen dem Kanal auf Instagram rund 22.500 Menschen. Zum Kult bei den Followern ist Diana Drees Satz „Hase, sach mal...“geworden, mit dem sie ihre Videos beginnt. Darin beantworten ihr Mann und gelegentlich auch Gervens viele Fragen zur Montage. „Es ist schon cool, was ich seither alles gelernt habe“, sagt Drees.
Laut Hersteller benötigt der Bau der Sling TSI rund 1500 Stunden. „Wir sind am Ende beim Doppelten herausgekommen“, sagt Dirk Drees. Zwischendrin heißt es für ihn und Gervens immer wieder nachlesen und nachfragen. „Man stößt auf viele Themen, die man vorher nicht gesehen hat“, sagt Drees. Höchste Priorität habe immer die Sicherheit beim Bau des Flugzeugs gehabt. „Es ist erst einmal nichts anderes als einen Oldtimer zu restaurieren, aber am Ende gibt es eine Dimension, die einem als Erbauer Angst macht und nichts verzeiht“, schildert Dirk Drees.
In einem fortlaufenden Prozess wurden die Arbeiten von Drees und Gervens von einem Prüfer abgenommen. Am Ende stand eine niederländische Zulassung der Sling TSI. „Die Holländer geben dir da mehr Vertrauensvorschuss“, schildert Drees. Dies liege unter anderem daran, dass die ersten
vier in Europa zugelassenen Modelle des südafrikanischen Flugzeugbauers alle von der niederländischen Prüfbehörde abgenommen wurden. Fliegen darf das Flugzeug allerdings überall in ganz Europa.
„Im Süden sind wir die Ersten mit einer solchen Maschine“, schildert Drees. Vor Kurzem starteten er und Gervens in Laupheim zum Jungfernflug unter zahlreichen Zuschauern bei strahlendem Sonnenschein. Als Erstes brachte ein Testpilot das Flugzeug in die Luft, Dirk Drees darf als erster als Passagier mitfliegen. Es folgen Tests verschiedener Betriebszustände. Der Pilot bringt die Maschine mit verschiedenen Manöver an ihre Grenzen. Nach geglückter Abnahme dürfen Drees und Gervens selbst an den Steuerknüppel – zwei Jahre nachdem sie begonnen hatten, die ersten Teile zusammenzufügen.
„Ich war danach f ix und fertig“, sagt Dirk Drees, der immer noch sichtlich berührt ist. Nie habe sich das gemeinsame Projekt nach Arbeit angefühlt. „Es hilft, wenn man einen guten Kumpel hat“, sagt er. Nicht selten hätten die beiden erst gegen 10 Uhr abends das Licht in der Werkstatt ausgeschaltet. Am Ende kostete der Flugzeugbau mehr als 200.000 Euro.
Eine lange Pause will sich Drees aber nicht gönnen. Gedanklich hängt er bereits beim nächsten Projekt. Nachdem er nun Blut geleckt hat, möchte er noch eine zweite Sling TSI bauen. „Ich habe viel Erfahrung gesammelt und ganz viele neue Ideen“, sagt er. Anstatt eines Motors könnte er sich bei seiner nächsten Sling etwa eine spritsparendere und langlebigere Turbine vorstellen.
Jetzt steht allerdings erst einmal die Aero-messe in Friedrichshafen an. Dort sind Dirk und Diana Drees mit der Sling TSI gelandet und präsentieren sich und ihren erfolgreichen Kanal.