Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Streit und Rätselraten um Schülerkosten
SPD-Minister Stoch wirft der CDU Rechenfehler vor, doch die hält an ihren Zahlen fest
STUTTGART - Kostet ein Gemeinschaftsschüler in Baden-Württemberg den Steuerzahler wirklich mehr als doppelt so viel wie ein Gymnasiast oder zweieinhalb Mal soviel wie ein Realschüler?
Um diese Frage ist zwischen SPDSchulminister Andreas Stoch und CDU-Bildungsexperte Georg Wacker ein ebenso heftiger wie zäher Streit ausgebrochen. Stoch wirft der CDU-Opposition vor, im Vorwahlkampf mit fehlerhaften Rechnungen ein Zerrbild grober Ungleichbehandlung zu zeichnen. „Wir haben im Ministerium auf verschiedenen Wegen versucht, den Rechenweg Wackers nachzuvollziehen“, sagt Stoch. Doch nur mit einem Modell, dem Teilen der Personalausgaben durch die prognostizierte Schülerzahl, komme man zumindest in die Nähe der CDU-Zahlen.
Völlig unterschiedliche Zahlen
Das Ministerium liefert gänzlich andere Werte. Allein bei den Personalkosten pro Schüler kommt die Regierung bei Gemeinschaftsschulen auf 5830 Euro, Wacker auf 7043 Euro. Bei Realschulen liegt der Wert laut Ministerium bei 3920 Euro, Wacker hat 2795 Euro errechnet. Die CDU habe mehrere Sondereffekte ignoriert, heißt es im Ministerium. So sei das voraussichtlich starke Anwachsen der Schülerzahl an Gemeinschaftsschulen nicht berücksichtigt. Und noch wichtiger: Unter den Lehrkräften, die die CDU den Gemeinschaftsschulen zurechnet, seien auch welche, die an auslaufenden Real- und Werkrealschulen sowie Grundschulen am selben Standort arbeiten.
Doch Wacker steckt nicht zurück: Die Zahlen, mit denen das Ministerium operiere, seien teilweise noch von 2011: „Unsere Daten stammen aus dem Doppelhaushalt 2015/2016. Wenn die nicht stimmen, stimmt auch etwas mit dem Haushalt nicht.“ Sind die Zuordnungen unsauber, könne das Prinzip der Haushaltsklarheit verletzt sein, so Wacker.
Klar ist tatsächlich wenig. Das Thema ist ziemlich verzwickt. Das geht schon los bei der Frage, wer was bezahlt: Lehrer sind Sache des Landes, die Schulkosten hingegen Angelegenheit der Kommunen. Dafür wiederum bekommen Städte und Gemeinden Geld vom Land, je nach Schulart in unterschiedlicher Höhe. Für Haupt-, Werkreal- und Gemeinschaftsschulen schießt das Land in diesem Jahr 1312 Euro pro Schüler zu. Bei Gymnasien (680 Euro) und Realschulen (651 Euro) ist es deutlich weniger.
Realschulen pro Kopf günstiger
Grund: Diese Schulen sind meist deutlich größer, daher verteilen sich Fixkosten auf mehr Köpfe. Auch bei den vom Land zu zahlenden Lehrern lässt Größe die Kosten tendenziell kleiner werden: Weil die Klassen oft voller sind, bevor der Klassenteiler greift, kommen eher mehr Schüler auf einen Lehrer: Bei Realschulen geht das Ministerium von 1,38 Lehrerwochenstunden pro Schüler aus, bei Werkrealschulen von 1,51.
Wäre die Schullandschaft ein Industriebetrieb, würde das Controlling angesichts der Kosten für die kleinen Standorte wohl Alarm geben. Doch ein solches Benchmarking der besonders kostengünstigen Ausbildung (hier liegt die Realschule vorne) ist auch gar nicht gewollt: „Da die unterschiedlichen Schularten unterschiedliche Ziele verfolgen, erscheint Benchmarking nicht als geeignete Methode“, heißt es in einer parlamentarischen Antwort des Ministeriums. Eine Vielzahl unterschiedlicher Regeln und Erlasse (Ganztagszuweisungen, bilinguale Züge, Hochbegabtenzüge etc.) machen die Angelegenheit noch komplizierter.
Für Wacker sind dies Ausreden. In einem Schreiben an Parteimitglieder listet er die mutmaßliche Ungleichbehandlung auf: Eine Mittlere Reife koste den Steuerzahler an der Realschule 20 000 Euro, an der Gemeinschaftsschule 49 000 Euro, rechnet er hoch. Laut CDU laufen dem Kultusminister die Kosten für die neue Schulart aus dem Ruder.
Der Streit ruft mittlerweile auch andere Beteiligte auf den Plan: Kurz nach Ostern schrieb die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Doro Moritz, einen Brief an Stoch. Angesichts der „Vielzahl unterschiedlicher Zahlen“bittet Moritz den Minister um „zeitnahe“Aufklärung, wie hoch die Personalkosten für die Gemeinschaftsschulen nun tatsächlich sind.