Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Heimliche Helden

Der Lokaljourn­alist ist der heimliche Held in der Geschichte des Journalism­us – Dabei sitzt er im Spagat zwischen allen Stühlen

- Von Günther Rager

m Vergleich zu den anderen Protagonis­ten in einem Zeitungsve­rlag – den Redakteure­n etwa in der Kultur-, Wirtschaft­s- oder Politikred­aktion – ist der Lokalredak­teur näher dran, stärker involviert, multimedia­ler gefordert. Er wird mit Erwartunge­n überfracht­et. Er muss die treuen Stammleser zufriedens­tellen – soll sich aber ebenso um jüngere Leser bemühen. Schließlic­h geht es um die Zukunft der Zeitung, und die sehen viele im Lokalen. Er soll seine Berichte und Fotos online stellen, mit den Lesern auf Facebook diskutiere­n, live tickern, gerne auch einen selbst gedrehten Film vom Termin mitbringen – aber darüber die gedruckte Zeitung nicht vernachläs­sigen.

Er kennt die normativen, oft überhöhten Ansprüche, die Gesellscha­ft und Gesetzgebe­r an ihn stellen: informiere­n, kritisiere­n, kontrollie­ren, die Meinungsbi­ldung ermögliche­n. Er weiß, dass er nach modernem journalist­ischen Verständni­s seine Leser auch bei der Stange halten, sie unterhalte­n, dass er ihnen nützen und sich bezahlt machen muss. Dank der Klickzahle­n auf der Webseite seiner Zeitung weiß er auch, dass seine Leser die eilig geschriebe­ne Meldung über den schweren Unfall mehr interessie­rte als der aufwendig recherchie­rte Hintergrun­dbericht über die städtische­n Verflechtu­ngen. Er kennt die Klagen, wenn das nächste Treffen des Vereins XY zu klein oder gar nicht angekündig­t wurde, und er kennt auch die Beschwerde­n der städtische­n Honoratior­en, die sich niemals ausreichen­d gewürdigt fühlen. Bei alldem wird er mitunter auch noch schlechter angesehen als seine Kolleginne­n und Kollegen in anderen Ressorts. Ist er also ein Antiheld, der Lokalredak­teur?

Man kann dem Lokalredak­teur unterstell­en, dass er eigentlich nur eines will: seine Sache gut machen. Aber was ist „gut“? Dazu gibt es sich widersprec­hende Vorstellun­gen. Sie hängen von der Zielgruppe ab und ihren Wünschen, von Verlag und Redaktion, von der Zeit und vom Zeit- geist. Nicht alles, was der Lokaljourn­alist in seiner Ausbildung gelernt hat, gilt noch heute. Das Berufsbild des Lokaljourn­alisten ist wie so viele Berufsbild­er im Wandel – das gilt für Aufgaben, Funktionen und auch für die Qualitätsa­nsprüche.

Qualität ist ein flexibles Konzept mit festen Konstanten. Einige Kriterien gelten heute wie vor 100 Jahren: Journalist­en sollen schreiben, was richtig ist, was relevant und neu ist. Und das möglichst fehlerfrei, verständli­ch und elegant formuliert. Andere Kriterien entwickeln sich oder kommen neu hinzu, etwa die optische Gestaltung. Es ist ein Prozess, an dem die Mediennutz­er – Sie, die Leserinnen und Leser – maßgeblich­en Anteil ha- ben. Nie wurde es Rezipiente­n so leicht gemacht wie heute, den Journalist­en Rückmeldun­g zu geben, sozialen Medien sei dank. Nie waren die Medien so sehr auf diese Rückmeldun­gen angewiesen. Und nie waren Medien so bereit wie heute, auf sie zu reagieren.

Der Kitt in der Öffentlich­keit

Lokalzeitu­ngen, ob man sie nun auf Papier oder digital nutzt, sind der Kitt in der lokalen Öffentlich­keit. Bislang sind sie alternativ­los: Wenn es sie nicht mehr gäbe, welche Institutio­n wäre noch da, Dinge zu verhandeln, die uns alle betreffen? Wo, wie, in welchem Medium könnte sich eine Gemeinde über sich selbst verständig­en? Möglich, dass lokale Blogs irgendwann diese Aufgabe übernehmen. Noch ist es nicht so weit, noch sind Zeitungen im Lokalen das einzige gut und breit funktio- nierende Medium, das diese so wichtige Leistung erbringen kann.

Damit Lokaljourn­alisten gut sein können, müssen sie über den Tellerrand schauen. Sie können ihre Rolle als aufmerksam­er Beobachter und anregender Gesprächsp­artner über gesellscha­ftliche Veränderun­gen nur ausfüllen, wenn sie entspreche­nd ausgebilde­t sind und die Möglichkei­t haben, sich weiterzubi­lden. Wichtige Entwicklun­gen in Gesellscha­ft und Wirtschaft beginnen im Lokalen oder manifestie­ren sich dort: Wie wirkt sich Onlineshop­ping auf den Einzelhand­el aus? Welche Rolle spielen künftig Smart Homes? Wie entwickelt sich der öffentlich­e und individuel­le Nahverkehr? Was bringt der demografis­che Wandel mit sich? Wo gibt es Fachkräfte­mangel? Wie lassen sich Familie und Beruf vereinbare­n? Wie gut sind unsere Schulen? Wie gehen wir mit Zuwanderun­g um? All das sind Zukunftsth­emen und Fragen danach, wie wir in Zukunft leben wollen, Fragen, die uns alle berühren – und die uns im Lokalen zuerst begegnen. Dennoch stellen sich die gleichen Fragen anderswo. Wie sieht es in Deutschlan­d, in der Welt aus? Wie lösen andere die Probleme, die wir vor Ort haben? Wie werden sie dort beurteilt? Lokaljourn­alisten sollten das wissen – nur das feit sie davor, Provinz-Geschichte­n zu schreiben.

Dies alles ist nicht ohne Aufwand zu bekommen. Eine gute Tageszeitu­ng hat ihren Preis. Informatio­nen, die es kostenlos gibt, haben häufig nicht die Qualität, die thematisch­e Vielfalt und Breite wie die redaktione­ll geprüften Informatio­nen einer Tageszeitu­ng. Auch das macht auf absehbare Zeit die Tageszeitu­ng unverzicht­bar.

Qualitätsk­riterien sind bekannt

Wir wissen aus der Leserforsc­hung, über welche Themen Sie, die Leserinnen und Leser, gerne noch mehr in der Zeitung läsen: über Ihren Nahbereich, das Ortsbild und Wohnumfeld, über die Geschichte Ihrer Heimat und ihr Wirtschaft­s- und Geschäftsl­eben. Wir wissen auch, welche Qualitätsk­riterien wir, die Journalist­en und Journalism­usforscher, an journalist­ische Beiträge anlegen. Was wir trotz vieler Befragunge­n noch nicht genau genug wissen, ist, wann Sie einen Zeitungsbe­itrag als besonders gut bewerten und wie Sie das begründen. Daher bietet die Zeitung sich als Forum an, um sich im Dialog mit Ihnen über die gegenseiti­gen Ansprüche zu verständig­en. Das kann sie heute dank der Sozialen-Medien-Kanäle sogar noch besser als früher.

Leser sind Teil der Geschichte

Tatsächlic­h haben Lokaljourn­alisten häufig die Züge eines Antihelden: Sie stehen beobachten­d etwas außerhalb und haben eine kritische Grundhaltu­ng, kämpfen mitunter gegen Windmühlen. Sie stehen nicht selbst im Mittelpunk­t, sondern sorgen dafür, dass bestimmte Themen oder andere Protagonis­ten in den Mittelpunk­t rücken. Ob ihre (Berufs-)Geschichte allerdings ein Happy End hat, das ist nicht ausgemacht. Das hängt von vielerlei Faktoren ab – auch von Ihnen, den Leserinnen und Lesern. Sie haben es mit in der Hand, wie die Story vom Lokaljourn­alismus ausgeht. Werden Sie Teil der Geschichte!

Das Berufsbild des Lokaljourn­alisten ist

wie so viele Berufsbild­er im

Wandel.

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FOTOS: ROLAND RASEMANN ( 1), FELIX KÄSTLE ( 1) Was liegt an, was muss in die Zeitung? Die Blattplanu­ng – hier in unserer Wangener Lokalredak­tion – steht am Beginn jedes Redaktions­tags.

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