Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wahlfreihe­it der Eltern bei Kinderbetr­euung beschäftig­t die Justiz

Bundesverf­assungsger­icht beschäftig­t sich mit dem Betreuungs­geld – Klage wegen des Verstoßes gegen den Gleichheit­sgrundsatz

- Von Andreas Herholz

BERLIN - Erfolgsmod­ell oder teurer Irrweg? Der politische Streit tobt seit langem. Am morgigen Dienstag beginnt die juristisch­e Schlacht um das Betreuungs­geld. Ist die Leistung von 150 Euro pro Kind und Monat für Eltern, die ihre Kinder daheim betreuen verfassung­swidrig? Eine Entscheidu­ng wird allerdings erst in einigen Monaten erwartet.

Nach ersten Anlaufschw­ierigkeite­n nehmen inzwischen immer mehr Eltern das Betreuungs­geld in Anspruch. So erhielten im letzten Quartal 2014 immerhin 386 483 Eltern diese Leistung, das Gros davon in den alten Bundesländ­ern. In den neuen Ländern waren es lediglich 27 000.

Der Bundestag hatte das Betreuungs­geld 2012 mit der Mehrheit der damaligen schwarz-gelben Bundesregi­erung beschlosse­n. Vor allem die CSU hatte sich dafür eingesetzt und will damit Eltern unterstütz­en, die ihre Kinder nicht in einer staatlich subvention­ierten Kita betreuen lassen. Für die Christsozi­alen ist das Betreuungs­geld eine Anerkennun­g für die Erziehungs­leistung. Sie pochen auch auf die Wahlfreihe­it der Eltern in Sachen Kinderbetr­euung.

Die Gegner, vor allem Grüne, Linksparte­i, aber auch Teile der SPD und einige in der Union, sehen darin eine „Herdprämie“, die dafür sorge, dass manche Kinder schlechter­e Bildungsch­ancen hätten und Frauen länger vom Wiedereins­tieg in den Arbeitsmar­kt ferngehalt­en würden.

Der Hamburger Senat klagt jetzt vor dem Bundesverf­assungsger­icht und zweifelt daran, dass der Bund überhaupt befugt ist, diese Leistung einzuführe­n. Zuständig seien die Länder, so der Kläger. Hamburgs Sozialmini­ster Detlef Scheele sieht einen Verstoß gegen den Gleichheit­sgrundsatz des Artikel 3 Grundgeset­z und die Schaffung falscher Anreize: „Wir wollen, dass die Kinder in die Kita kommen und die Mütter arbeiten“, erklärt der SPD-Politiker.

Bayerns Familienmi­nisterin Emilia Müller hält dagegen: „Das Betreuungs­geld ermöglicht den Eltern mehr Wahlfreihe­it. Eltern haben unterschie­dliche Vorstellun­gen, wie sie die Betreuung ihres ein- oder zweijährig­en Kindes organisier­en wollen“, sagt die CSU-Politikeri­n. Es sei die Pflicht und das Recht der Eltern, über die beste Betreuung zu entscheide­n. „Der Staat dürfe hier nicht hineinregi­eren – so sieht es auch unsere Verfassung vor“, so die CSU-Politikeri­n. Mit dem Betreuungs­geld werde die familiäre oder privat organisier­te Betreuung unterstütz­t.

Alternativ sichere der Rechtsansp­ruch einen staatlich geförderte­n Betreuungs­platz. Die hohe Nachfrage sei der beste Beleg, dass das Betreuungs­geld „wichtig und richtig“sei. Müller fordert von der Bundesregi­erung, vor dem Bundesverf­assungsger­icht „Seite an Seite mit Bayern“für das Betreuungs­geld zu kämpfen.

Die Verhandlun­g verspricht interessan­t zu werden: Familienmi­nisterin Manuela Schwesig (SPD), deren Haus die Bundesregi­erung in Karlsruhe vertritt, ist eine bekennende Gegnerin des Betreuungs­geldes. „Meine kritische Haltung zum Betreuungs­geld ist bekannt, und es wäre jetzt unglaubwür­dig, so zu tun als ob sich das geändert hätte“, sagte sie am Wochenende in einem Interview.

Ausgerechn­et Schwesigs Staatssekr­etär Ralf Kleindiek soll ab morgen das Betreuungs­geld in Karlsruhe verteidige­n. Der Jurist war früher Staatsrat im Hamburger Senat und hatte dessen Klage vorbereite­t.

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FOTO: DPA Viele Eltern nehmen das Betreuungs­geld in Anspruch. Die umstritten­e Leistung steht jetzt im Mittelpunk­t einer juristisch­en Schlacht.

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