Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wahlfreiheit der Eltern bei Kinderbetreuung beschäftigt die Justiz
Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit dem Betreuungsgeld – Klage wegen des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz
BERLIN - Erfolgsmodell oder teurer Irrweg? Der politische Streit tobt seit langem. Am morgigen Dienstag beginnt die juristische Schlacht um das Betreuungsgeld. Ist die Leistung von 150 Euro pro Kind und Monat für Eltern, die ihre Kinder daheim betreuen verfassungswidrig? Eine Entscheidung wird allerdings erst in einigen Monaten erwartet.
Nach ersten Anlaufschwierigkeiten nehmen inzwischen immer mehr Eltern das Betreuungsgeld in Anspruch. So erhielten im letzten Quartal 2014 immerhin 386 483 Eltern diese Leistung, das Gros davon in den alten Bundesländern. In den neuen Ländern waren es lediglich 27 000.
Der Bundestag hatte das Betreuungsgeld 2012 mit der Mehrheit der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung beschlossen. Vor allem die CSU hatte sich dafür eingesetzt und will damit Eltern unterstützen, die ihre Kinder nicht in einer staatlich subventionierten Kita betreuen lassen. Für die Christsozialen ist das Betreuungsgeld eine Anerkennung für die Erziehungsleistung. Sie pochen auch auf die Wahlfreiheit der Eltern in Sachen Kinderbetreuung.
Die Gegner, vor allem Grüne, Linkspartei, aber auch Teile der SPD und einige in der Union, sehen darin eine „Herdprämie“, die dafür sorge, dass manche Kinder schlechtere Bildungschancen hätten und Frauen länger vom Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ferngehalten würden.
Der Hamburger Senat klagt jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht und zweifelt daran, dass der Bund überhaupt befugt ist, diese Leistung einzuführen. Zuständig seien die Länder, so der Kläger. Hamburgs Sozialminister Detlef Scheele sieht einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Grundgesetz und die Schaffung falscher Anreize: „Wir wollen, dass die Kinder in die Kita kommen und die Mütter arbeiten“, erklärt der SPD-Politiker.
Bayerns Familienministerin Emilia Müller hält dagegen: „Das Betreuungsgeld ermöglicht den Eltern mehr Wahlfreiheit. Eltern haben unterschiedliche Vorstellungen, wie sie die Betreuung ihres ein- oder zweijährigen Kindes organisieren wollen“, sagt die CSU-Politikerin. Es sei die Pflicht und das Recht der Eltern, über die beste Betreuung zu entscheiden. „Der Staat dürfe hier nicht hineinregieren – so sieht es auch unsere Verfassung vor“, so die CSU-Politikerin. Mit dem Betreuungsgeld werde die familiäre oder privat organisierte Betreuung unterstützt.
Alternativ sichere der Rechtsanspruch einen staatlich geförderten Betreuungsplatz. Die hohe Nachfrage sei der beste Beleg, dass das Betreuungsgeld „wichtig und richtig“sei. Müller fordert von der Bundesregierung, vor dem Bundesverfassungsgericht „Seite an Seite mit Bayern“für das Betreuungsgeld zu kämpfen.
Die Verhandlung verspricht interessant zu werden: Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), deren Haus die Bundesregierung in Karlsruhe vertritt, ist eine bekennende Gegnerin des Betreuungsgeldes. „Meine kritische Haltung zum Betreuungsgeld ist bekannt, und es wäre jetzt unglaubwürdig, so zu tun als ob sich das geändert hätte“, sagte sie am Wochenende in einem Interview.
Ausgerechnet Schwesigs Staatssekretär Ralf Kleindiek soll ab morgen das Betreuungsgeld in Karlsruhe verteidigen. Der Jurist war früher Staatsrat im Hamburger Senat und hatte dessen Klage vorbereitet.