Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Am Arbeitsplatz wird weniger gemobbt
Konkurrenzdruck lässt nach, jedoch werden Erwachsene häufiger im Internet diffamiert
BERLIN - Mal werden Beschäftigte ignoriert, mal ständig heruntergeputzt, mal lancieren böswillige Vorgesetzte oder Kollegen herabsetzende Gerüchte in der Firma. Mobbing kennt viele Facetten. 1,6 Millionen Arbeitnehmer werden täglich mit derlei Herabwürdigungen konfrontiert. Das ergab eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Die Folgen sind oft weitreichend. Jeder zweite Betroffene erkrankt ob des Alltags im Betrieb. Drei von zehn wechseln den Arbeitsplatz innerhalb der Firma und jeder fünfte kündigt.
Doch es gibt auch gute Nachrichten. „In vielen Bereichen hat sich die Situation entspannt“, berichtet der Diplom-Psychologe Martin Figgen vom Landesinstitut für Arbeitsgestaltung in Nordrhein-Westfalen. Als Grund nennt der Experte die sich nach und nach verbessernde Lage am Arbeitsmarkt. Der Konkurrenzdruck innerhalb der Unternehmen lasse nach. Damit entfällt ein Motiv für die Täter. Doch die Entwarnung gilt nicht generell. „Nach wie vor gibt es Probleme in den sozialen Berufen und im Gesundheitswesen“, sagt Figgen.
Chef aufklären
Besonders häufig betroffen sind Angestellte kleiner und kleinster Firmen wie zum Beispiel Arztpraxen. Insbesondere schwangere Frauen werden hier zu Opfern, indem ein starker Druck auf sie ausgeübt wird. Manche melden sich dann bei der Mobbing-Line des Landes. Dort helfen Fachleute den Beschäftigten. „Wir bieten ein Gespräch mit den Arbeitgebern an, falls der Betroffene es wünscht“, erläutert Figgen. Der Chef werde dann zum Beispiel über die gesetzlichen Grundlagen bei einer Schwangerschaft informiert. Oft wüssten die Vorgesetzten gar nicht, wie die Rechtslage aussieht. Allein schon diese Aufklärung kann für Abhilfe sorgen.
„Die Mobbing-Line ist ein großer Erfolg“, stellt der Experte fest. Mittlerweile gibt es in allen Bundesländern Beratungsstellen für die Opfer. Dahinter stehen kirchliche Verbände wie die Caritas oder auch die Gewerkschaften. Notwendig ist die Hilfestellung allemal, auch wenn das Problem derzeit nicht mehr so drückend zu sein scheint. Derzeit beobachtet das Landesamt andere Prioritäten bei den Arbeitnehmern. So seien soziale Probleme mit Kollegen oder Vorgesetzten auf dem Vormarsch. In der letzten Befragung durch die Behörden gab jeder vierte Beschäftigte an, dass es in der Firma zwischenmenschliche Schwierigkeiten gibt. „Burnout und Trauma sind die aktuellen Themen“, beobachtet Figgen. Davon seien mittlerweile viele Arbeitnehmer betroffen.
Neid und starre Hierarchien
Mit der Verbreitung des Internets ist zudem eine noch junge Form des Mobbing, das Cybermobbing, auf dem Vormarsch. Im öffentlichen Netz werden dabei Gerüchte, peinliche Fotos oder Beleidigungen Ein- zelner platziert. Das unter Jugendlichen schon länger verbreitete Phänomen hat inzwischen auch die Welt der Erwachsenen erreicht. Dies sei nicht nur ein Phänomen der Arbeitswelt, hat das Karlsruher Bündnis gegen Cybermobbing herausgefunden. Ein Drittel der in einer Studie genannten Fälle ereigne sich im privaten Umfeld.
Die Ergebnisse der Befragung von mehr als 6000 Teilnehmern an der Online-Umfrage ergab ein erschreckendes Bild. In jedem zweiten Fall waren Vorgesetzte Täter oder Mittäter. Neid und starre Hierarchien nannten die meisten Befragten als häufigste Ursache beim Mobbing im Betrieb. Und nur die wenigsten Unternehmen haben Präventionsmaßnahmen dagegen eingeleitet.
Experten raten: zur Wehr setzen
Doch wie verhalten sich Arbeitnehmer, wenn sie ins Visier eines böswilligen Kollegen geraten? Experten raten einhellig dazu, Mobbing nicht still hinzunehmen, sondern sich dagegen zu wehren. Erste Anlaufadresse ist der Vorgesetzte, sofern dieser nicht der Auslöser des Problems ist. In diesem Falle wäre der Betriebsrat eine alternative Anlaufstelle. Auch gibt es bundesweit ein Netz von externen Beratungsstellen. So unterhält der DGB zum Beispiel in den einzelnen Bundesländern telefonische Anlaufstellen für Mobbingopfer.