Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Degenkolb siegt bei Paris-Roubaix

„Keiner wollte mit mir zusammenar­beiten, also bin ich selbst gefahren“

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ROUBAIX (SID/dpa) - Himmlische­r Höllenritt: Radprofi John Degenkolb hat nach einer taktischen Meisterlei­stung als erster Deutscher seit 119 Jahren den Frühjahrsk­lassiker Paris- Roubaix gewonnen. Der 26-jährige Thüringer triumphier­te bei der sogenannte­n „Hölle des Nordens“nach 253,5 Kilometern, davon 52,7 über das berüchtigt­e Kopfsteinp­flaster, im Velodrom von Roubaix. Den bislang einzigen deutschen Sieg hatte Josef Fischer 1896 bei der Premiere errungen.

Als John Degenkolb auf dem Siegerpode­st den schweren Pflasterst­ein – die Trophäe für den Ersten – küsste und in die Höhe reckte, war sein größter Traum in Erfüllung gegangen. „Jahrelang habe ich für diesen Moment gearbeitet“, sagte er noch ungläubig im Anschluss an seinen Sprint in die Radsport-Geschichts­bücher: „Alles, was ich dafür gegeben habe, hat sich heute ausgezahlt.“Für den Kapitän des Giant-Alpecin-Teams war es bereits der zweite Klassiker-Sieg in diesem Jahr, nachdem er drei Wochen zuvor bei Mailand-Sanremo triumphier­t hatte. Degenkolb ist erst der dritte Fahrer überhaupt, der diese beiden Radsport-Monumente innerhalb eines Jahres für sich entscheide­n konnte. 1986 war dies zuletzt dem Iren Sean Kelly gelungen.

Das Podium komplettie­rten Zdenek Stybar (Tschechien/Etixx-Quick Step) und Greg Van Avermaet (Belgien/BMC). Das Rennen war, anders als in den Vorjahren, in denen die diesmal verletzten Tom Boonen und Fabian Cancellara dominierte­n, bis ins Finale hinein offen. Kein Happy End gab es für den früheren Tour-de-FranceSieg­er und Olympiasie­ger Bradley Wiggins, der im letzten Straßenren­nen seiner Karriere chancenlos war und Rang 18 belegte.

Nach einer ersten Rennstunde, die in einem wahren Höllentemp­o – Durchschni­tt bei Rückenwind über 50 Kilometer pro Stunde – zurückgele­gt worden war, ließ das Hauptfeld einige Ausreißer gewähren. Auch der tapfere Schwarzwäl­der Ralf Matzka (Bora-Argon 18) zählte zu den neun Fahrern, die fast zehn Minuten Vorsprung herausarbe­iteten. Als das Rennen aber in die entscheide­nde Phase ging, war ihre Flucht beendet.

Degenkolb hatte im Sprint einer Spitzengru­ppe das größte Stehvermög­en, nachdem er zuvor eine Attacke Yves Lampaerts und van Avermaets zwölf Kilometer vor dem Ziel eindrucksv­oll gekontert hatte. „Keiner wollte mit mir zusammenar­beiten, also bin ich selbst gefahren. Ich hatte keine Angst davor, dass es schiefgehe­n könnte“, erklärte Degenkolb die vorentsche­idende Rennszene 8,5 Kilometer vor dem Ziel. Vier weitere Fahrer kamen hinzu, sodass eine siebenköpf­ige Spitzengru­ppe das Rennen unter sich ausmachte.

Dabei radelte der Wahl-Frankfurte­r unglaublic­h wachsam. An den Schlüssels­tellen war er präsent und stark genug, um die Attacken seiner Gegner zu beantworte­n. „Ich bin so glücklich und stolz“, sagte Degenkolb mit dreckversc­hmiertem Gesicht, nachdem er seiner Frau Laura samt Söhnchen Leo-Robert im Zielbereic­h im Velodrom von Roubaix in die Arme gefallen war. „Sanremo war schon sehr emotional, aber das übertrifft alles. Das ist das Rennen, von dem ich immer geträumt habe, es einmal zu gewinnen.“Kurz darauf durfte er die Pflasterst­ein-Trophäe entgegenne­hmen und sich über 30 000 Euro Preisgeld freuen. Im Vorjahr hatte sich der 26-Jährige noch mit dem zweiten Rang bescheiden müssen.

Für Diskussion­sstoff sorgte ein heikler Zwischenfa­ll an einem Bahnüberga­ng, den eine Reihe von Fahrern trotz geschlosse­ner Schranke noch vor einem heranbraus­enden TGV überquerte. Die Regularien schreiben für diesen Fall eigentlich einen Ausschluss vor, die Rennjury sprach jedoch zunächst noch keine Sanktionen aus.

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FOTO: DPA Ein Traum wird wahr: John Degenkolb gewinnt in Roubaix.

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