Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Lebend hinter der eigenen Leiche gehen
Josef Hader spielt den Schriftsteller Stefan Zweig in Maria Schraders „Vor der Morgenröte“
RAVENSBURG - Maria Schrader beleuchtet in ihrem Film „Vor der Morgenröte“die letzten Jahre im Leben des Schriftstellers Stefan Zweig im Exil. Josef Hader, der österreichische Kabarettist, spielt die Hauptrolle und zeichnet ein beeindruckendes Porträt eines verzweifelten Mannes und Künstlers, der nicht nur seine Heimat, seine Sprache, seine Geschichte verliert, sondern vor allem seinen Glauben an die Menschheit und die Menschlichkeit.
Stefan Zweig (1881-1942) mag heute vor allem durch seine postum erschienenen Werke „Schachnovelle“und seine Biografie „Die Welt von Gestern“bekannt sein. Aber in den 1920er- und 1930er-Jahren war er durch seine Erzählungen „Der Amokläufer“und „Brennendes Geheimnis“weltberühmt. „Sternstunden der Menschheit“, sein Band mit historischen Porträts, war Schullektüre. Stefan Zweig war einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit. „Sein literarischer Ruhm reichte bis in die letzten Winkel der Erde“, schrieb Thomas Mann über seinen Kollegen. Doch als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war es vorbei. Zweig bekam Publikationsverbot. Seine Bücher wurden verbrannt. In „Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers“zitiert er Grillparzer: „Ich bin heute als Schriftsteller (...) einer, der lebend hinter seiner eigenen Leiche geht.“
Zweig floh – zunächst nach England, dann nach Brasilien. Dort setzt der Film ein und erzählt in fünf Episoden von Rio, über Buenos Aires, Bahia, New York bis Petrópolis von der Weltkatastrophe, die zu Zweigs persönlicher wurde.
Gegen risikolose Rituale
Man schreibt das Jahr 1936. Im noblen Jockey-Klub von Rio de Janeiro wird alles für einen Empfang hergerichtet. Wie ein General schreitet der Oberkellner noch einmal die Reihen der Serviererinnen ab, zupft das üppige Arrangement tropischer Blumen in der Mitte zurecht. Wir merken: Es muss ein hoher Gast sein, der da erwartet wird. Die Tür geht auf und hereinkommt Stefan Zweig. Ehrfurchtsvoll begrüßt ihn die brasilianische Hautevolee. In fließendem Französisch bedankt sich der so geehrte Dichter, zeigt sich überwältigt von der Gastfreundschaft aber auch von einem Land, in dem die unterschiedlichen Rassen scheinbar friedlich miteinander leben.
Er wird ein Buch über dieses Land schreiben. Das wird zwar in fünf Sprachen übersetzt, aber im Land selbst durchaus kritisch aufgenommen. Die Linke wirft dem Schriftsteller aus dem alten Europa vor, die Diktatur Getúlio Vargas’ allzu unkritisch geschildert zu haben. Doch das erfahren wir erst im vorletzten Kapitel. Da ist die Verzweiflung des überzeugten Pazifisten schon ins Unerträgliche gewachsen.
Mit seinem Pazifismus eckt Zweig an – bei den Schriftstellern in Europa, bei der liberalen Presse in den USA. Zweigs Haltung zu Deutschland wird als zu indifferent empfunden. Doch Zweig, der als scheu und zurückhaltend gilt, ist nicht bereit in den Chor der Entrüstung einzustimmen. Als sein Kollege Emil Ludwig (Charly Hübner) 1936 auf dem PENKongress in Buenos Aires eine geharnischte Rede wider Deutschland und die nationalsozialistische Gewaltherrschaft hält, verbirgt Zweig sein Gesicht. Er habe geweint, hieß es in der Presse. An Friderike Zweig, seine erste Ehefrau, schreibt er, dass er sich nicht habe fotografieren lassen wollen, weil er die Märtyrerrolle so widerlich fand.
Unkonventionelle Erzählstruktur
Im anschließenden Gespräch mit der Weltpresse wird er einem New Yorker Journalisten in den Block diktieren: „Ich kann und ich werde nicht auf der anderen Seite der Welt im Raum voller Gleichgesinnter ein Urteil sprechen. Das ist in meinen Augen geradezu obszön und würde bedeutungslos verhallen. Jede Widerstandsgeste, die kein Risiko in sich birgt und keine Wirkung hat, ist nichts als geltungssüchtig.“
„Vor der Morgenröte“ist ein Stationendrama und Josef Hader darin die Hauptperson. Der Wiener Kabarettist kann sich gegen darstellerische Kapazitäten wie Barbara Sukowa (Zweigs erste Frau) oder Matthias Brandt (Journalist Ernst Feder aus Berlin) bestens behaupten. Die stille Distinguiertheit des Wiener Großbürgers vermittelt Hader ebenso wie die Überforderung eines Mannes, der durch die unzähligen Hilfeersuchen am Ende seiner Kräfte ist.
Die Regisseurin verlangt viel vom Zuschauer. Die verschiedenen Orte, die vielen Personen, der historische Hintergrund, die nicht lineare Erzählweise – all das mag verwirren. Aber das Fragmentarische ist die Stärke dieses Films. Schraders Inszenierung ist konventionellen Filmbiografien hier überlegen, und sie beweist: Man kann von einem bedrängenden Schicksal auch ohne Kitsch erzählen.
Zweig und seine zweite Frau Lotte (Aenne Schwarz) nehmen sich im Exil in Petrópolis das Leben. Nur einen Augenblick lang ist im Spiegel der Schranktür kurz das tote Paar im Bett zu sehen. Die Bestürzung über diesen Tod aber ist spürbar in den Personen, die fassungslos im Haus umhergehen und dem Abschiedsbrief lauschen, den der Berliner Freund Feder verliest: „Ich grüße alle Freunde! Mögen Sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe Ihnen voraus.“