Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Unter Druck in der neuen Heimat

Christen fürchten in Flüchtling­sheimen Übergriffe von Muslimen – Über das Ausmaß der Konflikte wird kontrovers debattiert

- Von Dirk Grupe

STUTTGART - Die frühere St.-Paulus-Kirche in Stuttgart-Rohracker im Südosten der Metropole ist von außen ein Gotteshaus, das schmucklos­er kaum sein könnte. Der aus Beton gegossene, rechteckig­e Kirchturm ist erst auf den zweiten Blick als ein solcher zu erkennen, der Weg zum Eingang führt über einen geteerten Parkplatz, der von der Anmutung auch zu einem alten Industrieb­au gehören könnte. Das graue Haus stand zuletzt stellvertr­etend für die Krise der Kirche, vor vier Jahren wurde es wegen Mitglieder­schwund stillgeleg­t. Heute allerdings, unter dem Namen St. Markus, steht es für einen Zuwachs der Kirche. Aber nach wie vor für eine Krise, wenn auch völlig anderer Natur.

Wer Teer und Beton hinter sich lässt, wird im Kirchensch­iff von einer einladende­n Atmosphäre mit warmem Licht und Blumensträ­ußen überrascht. Hinter dem Altar hängt ein orientalis­ches Kreuz, das nicht den Leib Christi trägt, sondern vier rote Farbfläche­n zeigt, sie stehen für das Blut der Märtyrer. Die chaldäisch-christlich­e Gemeinde Stuttgart hat hier seit einigen Monaten eine neue Heimat gefunden – und mit ihr auch der 21-jährige Imad (Name auf Wunsch geändert). Seine dunkelbrau­nen Augen blicken den Besucher aufmerksam an, die weichen Gesichtszü­ge verhärten sich erst, wenn er über seine Lebenslage berichtet: „Die Situation ist sehr angespannt. Und das schon seit sechs Monaten.“

Zwei Christen auf 120 Muslime

Seit einem halben Jahr lebt er in einer Flüchtling­sunterkunf­t, außer ihm gebe es dort noch einen weiteren Christen – unter rund 120 Muslimen, zusammenge­steckt in einer Turnhalle. „Immer wieder machen sie abfällige Sprüche über das Christentu­m und bedrängen uns, zum Islam zu konvertier­en.“Er habe Angst, beklaut und drangsalie­rt zu werden. „Besonders schlimm ist es, seit ein deutscher Betreuer zum Islam konvertier­t ist. Seither sagen sie: ,Irgendwann bist auch du dran‘.“

Eine verschwind­end geringe Minderheit an Christen, die Bett an Bett mit einer großen Mehrheit an Muslimen lebt; in vielen Flüchtling­sunterkünf­ten findet sich diese Gemengelag­e. Was mancherort­s verhältnis­mäßig reibungslo­s verlaufen mag, ruft in den vergangene­n Monaten immer mehr Meldungen über Zwischenfä­lle hervor. Die Rede ist von Beschimpfu­ngen der Christen als „Kuffar“– „Ungläubige­r“, von lautstarke­n Skandierun­gen wie „Allahu akbar“– „Gott ist groß“, vom Ausschluss aus der Gemeinscha­ftsküche mit der Begründung, man sei als Christ „unrein“. Von täglichem Mobbing und von einer ständigen Drucksitua­tion für die Betroffene­n, die sich laut Berichten von Medien und Hilfsorgan­isationen schlimmste­nfalls in Übergriffe­n entlädt.

Ein Extremfall wurde aus einem Asylantenh­eim im Taunus bekannt, als ein 31-Jähriger zum Christentu­m konvertier­ter Südiraner attackiert wurde – von muslimisch­em Sicherheit­spersonal: „Sie warfen mir vor, ich hätte den Islam beleidigt, prügelten mich nieder und traten mir ins Gesicht“, berichtete der Mann der Tageszeitu­ng „Die Welt“. Eskaliert sei die Lage, als er einmal das Heim betrat und seine Flüchtling­skarte, auf der auch die Nationalit­ät steht, vorzeigte, und der Wachmann bemerkt habe: „Aaaaah, ISLAMISCHE Republik Iran!“Der Flüchtling habe daraufhin geantworte­t: „Nein, nur Iran.“In der Folge griffen ihn vier Wachleute an, „durch die Faustschlä­ge ging ich zu Boden; dann traten sie mir ins Gesicht“, schwer verletzt kam er in ein Krankenhau­s. Dieser Fall wurde inzwischen von verschiede­nen Seiten geprüft, ist also relativ gut belegt. Andere hingegen nicht.

231 Vorfälle gelistet

Die Öffentlich­keit nahm das Thema verstärkt wahr, als die Hilfsorgan­isation Opendoors, die sich weltweit verfolgten Christen widmet, eine Erhebung aus Flüchtling­sunterkünf­ten veröffentl­ichte, die 231 Vorfälle auflistete – von Diskrimini­erungen, Todesdrohu­ngen über Körperverl­etzungen bis hin zu sexuellen Übergriffe­n. Aufsehen erregte daraufhin ein Artikel in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“, der Zweifel an der Studie aufwirft, die, anders als vorgegeben, nicht auf einer deutschlan­dweiten Erhebung beruhe. Auch einige Darstellun­gen mutmaßlich­er Opfer seien nicht glaubhaft, vielmehr bestehe der Verdacht, es gebe Kreise, die versuchten, „mit Konvertite­n oder angebliche­n Konvertite­n Politik zu machen“.

Opendoors konterte die Kritik. Nie sei von „flächendec­kenden Fällen von Gewalt und Drangsalie­rung gegenüber Christen“die Rede gewesen, sondern von „gehäuftem Auftreten“. Ein Opendoors-Sprecher ergänzt auf Anfrage: „Die Studie zeigt aber, dass es sich hier nicht um Einzelfäll­e handelt. Und das ist schlimm genug.“

Aus einer zumindest teilweise belegten Konfliktla­ge ist somit ein Streit der Worte geworden, ein Ringen um Meinungs- und Deutungsho­heit, bei dem es keine belastbare­n Zahlen gibt – und nach Meinung von Martin Lessenthin, Vorstandss­precher der Internatio­nalen Gesellscha­ft für Menschenre­chte, so schnell auch nicht geben wird: „Grundsätzl­ich gilt in solchen Fällen, dass Beteiligte oft aus Angst nicht sprechen wollen. Besonders das Opfer steht unter Druck und fühlt sich weiterhin in Gefahr.“Eine Anzeige, so Lessenthin zur „Schwäbisch­en Zeitung“, sei erst sinnvoll, wenn das Opfer in sicherer Entfernung sei.

Keine getrennte Unterbring­ung

Eine getrennte Unterbring­ung der Flüchtling­e nach Religionen lehnen aber sowohl der Staat wie auch die Kirchen ab. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken, sagte: Man müsse sich „davor hüten, es als typisch islamisch darzustell­en, wenn Christen in mehrheitli­ch von Muslimen bewohnten Flüchtling­sheimen bedrängt“würden. Immerhin hätten Christen „rund 1350 Jahre in Ländern des Nahen Ostens überwiegen­d friedlich wenngleich nicht gleichbere­chtigt mit einer muslimisch­en Bevölkerun­gsmehrheit gelebt“.

Das stimmt wohl, ist aber eine verkürzte Wahrheit. Der Nahe Osten ist die Wiege des Christentu­ms, allein die chaldäisch-katholisch­e Kirche hat ihre Ursprünge um 50 nach Christus. „Wir waren vor den Muslimen da. Und als sie kamen, haben wir sie gemäß unserem Glauben offen empfangen“, sagt ein Pastoralre­ferent in St. Markus. Schnell in der Mehrheit, haben die Muslime die Christen lange geduldet, wenn auch als Bürger zweiter Klasse. Heute werden sie verjagt.

War zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts noch jeder Vierte im Nahen und Mittleren Osten christlich­en Glaubens, kommen heute auf 320 Millionen Muslime gerade noch elf Millionen Christen, Tendenz stark abnehmend. Im Irak erreichte der Exodus Mitte 2014 seinen Höhepunkt, als der sogenannte Islamische Staat (IS) die Stadt Mossul eroberte, die Menschen zwang, ihrem Glauben abzuschwör­en, sie folterte, ermordete oder vertrieb.

Der 21-jährige Imad, der in einem Dorf vor Mossul wohnte, später über die Türkei und Griechenla­nd floh, erfuhr, wie traumatisc­h es ist, wenn man „Zukunft und Hoffnung verliert“, wie er sagt. Wie es sich anfühlt, wenn IS-Schergen die Lebensgrun­dlage entziehen und die Haustür mit einem stigmatisi­erenden „N“beschmiere­n, das für Nazarener steht, wie die arabischen Muslime Christen bezeichnen.

Todesstraf­e bei Übertritt

Der Zentralrat der Muslime in Deutschlan­d bekennt sich zwar ausdrückli­ch zur Religionsf­reiheit und damit auch zum Recht, seine Religion zu wechseln. In vielen Ländern des Nahen Ostens stand aber schon vor dem IS auf den Glaubensab­fall vom Islam die Todesstraf­e. Daher verwundert es nicht, dass der Zentralrat Orientalis­cher Christen in Deutschlan­d (ZOCD) den Ursprung hiesiger Konflikte in den Ursprungsl­ändern sieht. „Natürlich leben wir in Deutschlan­d in einem säkularen Staat“, sagt ZOCD-Vorstandsm­itglied Paulus Kurt zur „Schwäbisch­en Zeitung“. „In einem Flüchtling­sheim kommen aber plötzlich Volks- und Glaubensgr­uppen zusammen, die sich seit 1000 Jahren bekämpfen – und sollen sich nun in nur fünf Monaten verstehen? Das kann nicht funktionie­ren.“

Kurt fordert daher: „Christen und Muslime sollten in den Unterkünft­en, temporär, getrennt werden.“Und: „Security und Dolmetsche­r müssen vom Glauben her gemischt sein.“

Alles Maßnahmen, um Spannungen zu entschärfe­n. Wie sieht aber die langfristi­ge Zukunft aus? In der eine hohe Anzahl an Menschen mit gänzlich anderen Glaubens- und Kulturerfa­hrungen in Deutschlan­d integriert werden muss? In der andernfall­s Konfliktli­nien, die sich jetzt in Turnhallen abspielen, in der Gesellscha­ft offen zutage treten? Der 21jährige Imad senkt den Blick und lässt letztlich die Antwort offen, wenn er sagt: „Unter den Muslimen, die hierhergek­ommen sind, gibt es viele extrem Gläubige …“.

Paulus Kurt äußert sich zu derselben Frage ebenfalls vage, aber diplomatis­ch: „Christen waren immer Brückenbau­er.“Das werden sie mehr denn je sein müssen, in einer wiederbele­bten Betonkirch­e in StuttgartR­ohracker, wie im ganzen Land.

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FOTO: DPA Alltag in deutschen Flüchtling­sunterkünf­ten: Eine geringe Minderheit an Christen lebt Bett an Bett mit einer großen Mehrheit an Muslimen.
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FOTO: DIRK GRUPE Die chaldäisch­e Kirche St. Markus in Stuttgart-Rohracker. Über dem orientalis­chen Kreuz steht in Aramäisch, der Sprache Jesu, ein Satz der Heiligen Drei Könige, der sinngemäß lautet: „Wir haben im Orient die Sterne gesehen und sind gekommen, um vor...

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