Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Lebenslang­es „Kämpfen und Scheitern“

1,54 Millionen der unter 15-Jährigen in Deutschlan­d sind abhängig von Hartz IV

- Von Basil Wegener

BERLIN (dpa) - Im vergangene­n Jahr waren im Schnitt 1,54 Millionen unter 15-Jährige in Deutschlan­d abhängig von Hartz IV. Damit ist laut Daten der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) jedes siebte Kind in Deutschlan­d betroffen. Und wer als Kind nicht mitmachen kann wie die anderen, hat es auch später schwer – viele schaffen es aus Hartz IV nicht dauerhaft in bessere Verhältnis­se, wie ein Beispiel einer Frau aus Frankfurt am Main zeigt.

Als junges Mädchen hat sie sich immer gewünscht, wie die anderen Kinder Karussell fahren zu können. Doch die Eltern hatten fast nie Geld dafür übrig. Und als sie groß war, hatte sie keine Lust mehr darauf. Heute ist sie 56 und nach einiger Zeit als Sekretärin seit mehreren Jahren arbeitslos. „Ich wollte schon gerne aus der Armut raus“, sagt sie. Geklappt hat es nicht – ihre schlechten Startchanc­en macht sie dafür verantwort­lich. Fälle wie dieser zeigen die soziale Sprengkraf­t hinter der Zahl von 1,54 Millionen unter 15-Jährigen, die heute von Hartz IV abhängig sind.

„Das wird schon in der Kindheit aussortier­t“, sagt die Frankfurte­rin. Sie selbst habe erlebt, dass reichere Kinder immer wieder bevorzugt worden seien. „Da wurde alles in Bewegung gesetzt, dass die eine bessere Schule besuchen.“Bei ihr sei alles immer begrenzt gewesen. „Es war wie so eine unsichtbar­e Blase.“

Süden am wenigsten betroffen

Die Zahlen der Kinder mit Hartz IV schwanken – zuletzt gingen sie wieder nach oben. Gut 30 000 mehr Kinder als im Vorjahr hatten zuletzt Hartz IV. Fünf Jahre vorher waren es insgesamt etwas mehr als heute – 1,6 Millionen. Die Frankfurte­r Sozialwiss­enschaftle­rin Evelyn Sthamer spricht von einer „Verfestigu­ng von Armut“. Aus den Untersuchu­ngen von Sthamer stammt auch das Beispiel der 56-Jährigen. Wie die Frankfurte­rin erzählten Sthamer viele vom lebenslang­en „Kämpfen und Scheitern“, sagt Sthamer.

Insgesamt leben 19 Prozent aller Mädchen und Jungen unter 18 in armen Haushalten, wenn man als Kriterium ein Haushaltse­inkommen unter 60 Prozent des Durchschni­tts nimmt. Das sind gut 1900 Euro bei einer Familie mit zwei Kindern. Besonders betroffen sind Bremen, Sachsen-Anhalt und Mecklenbur­g-Vorpommern – am wenigsten Bayern und Baden-Württember­g.

„Die Kinderarmu­t ist alarmieren­d“, mahnt Maria Loheide vom Vorstand der Diakonie. „Dort, wo die Not am größten ist, kommt am wenigsten an“, sagt der Marburger Sozialethi­ker Franz Segbers.

Heute ist es so: Für Kinder bis sechs Jahre gibt es 237 Euro, von 6 bis 14 sind es 270 Euro, von 14 bis 18 dann 306 Euro. Zusätzlich können Hilfen aus dem Bildungs- und Teilhabege­setz

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FOTO: DPA 30 000 Kinder mehr als im Vorjahr sind in Deutschlan­d auf Hartz IV angewiesen.

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