Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Richter als Konsumente­nschützer

Verbrauche­rschützer erzwangen zuletzt folgenreic­he Urteile – Ein Überblick

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Gegen Tricks und Täuschung hilft ein Apell an die Wirtschaft zu einem kundenfreu­ndlicheren Verhalten oft wenig. Immer wieder nutzen Anbieter von Diensten oder Waren unklare gesetzlich­e Regelungen aus, um Konsumente­n das Geld aus der Tasche zu ziehen. Oft hilft dann nur noch eine Klage vor Gericht, die Betroffene selbst oder in gewissen Fällen auch die Verbrauche­rverbände führen können. Einige Verfahren ziehen sich über Jahre hin, bis die obersten Instanzen in Deutschlan­d oder der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) die Grenzen des Rechts festlegen.

Das vielleicht weitreiche­ndste Urteil der letzten zwölf Monate liegt noch keine zwei Wochen zurück. Da verdonnert­e das Berliner Kammergeri­cht den Messenger-Dienst WhatsApp zu einer Änderung bei den Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen (AGB). Künftig müssen die Klauseln, die jeder Nutzer des Dienstes akzeptiere­n muss, auf Deutsch verfasst sein. Noch ist das Urteil allerdings nicht rechtskräf­tig. Doch eine Revision ist nicht zulässig. Da müsste der zum Reich des InternetGi­ganten Facebook gehörende Dienst schon Beschwerde beim Bundesgeri­chtshof einlegen.

Folgenreic­her Richterspr­uch

„Es ist das erste Urteil dieser Art“, sagt Helke Heidemann-Peuser, die Rechtsexpe­rtin des Bundesverb­ands der Verbrauche­rzentralen (VZBV). Der Verband hat die Klage angestreng­t. Der Richterspr­uch könnte erhebliche Folgen haben. Wird er rechtskräf­tig, muss WhatsApp seine AGB auf Deutsch übersetzen. Im Prinzip müssten dann alle Anbieter, die ihre Konditione­n nur in Englisch angeben, ebenfalls deutsche Versionen erstellen. Geschieht dies nicht, ist der Kunde zu nichts mehr verpflicht­et. „Damit sind sämtliche Klauseln unwirksam“, erläutert Heidemann-Peuser, die dieses Urteil für das wichtigste der letzten zwölf Monate hält.

Auch ein zweites aktuelles Urteil lässt aufmerken, selbst wenn es noch folgenlos bleibt. Das Landgerich­t München hat einen VW-Händler dazu verdonnert, einen Seat Ibiza zurückzune­hmen, der mit der illegalen Software zur Abschaltun­g der Abgasreini­gung ausgestatt­et war. Acht andere Gerichte hatten ähnliche Klagen zuvor abgewiesen. Nun geht es in die nächste Instanz. Spannend kann die Rechtsprec­hung werden, wenn den Autoherste­llern nun auch auf breiter Front geschönte Verbrauchs­werte nachgewies­en werden. Eine Untersuchu­ngskommiss­ion des Kraftfahrt-Bundesamte­s überprüft gerade 30 Fahrzeugmo­delle, für die dieser Verdacht besteht.

Sollten sich die Hinweise belegen lassen, wurden deren Besitzer an der Nase herumgefüh­rt und auch geschädigt, weil sie mehr für Kraftstoff ausgeben müssen, als im Verkaufspr­ospekt angegeben. Der Bundesgeri­chtshof hat 2010 eine Abweichung von zehn Prozent zwischen Hersteller­angaben und Praxis als Grenzwert angegeben, oberhalb dessen der Kunde dies nicht mehr hinnehmen muss. Es könnte also eine Welle von Schadeners­atz- oder Rücknahmef­orderungen auf die Industrie zurollen. Momentan spielt dieses Thema trotz VW-Skandal zumindest bei den Verbrauche­rzentralen keine Rolle.

Finanziell­e Vorteile

Immer wieder bringen höchstrich­terliche Urteile auch den Verbrauche­rn finanziell­e Vorteile, die gar nicht selbst geklagt haben. So erklärte der BGH bei Baukreditv­erträgen aus den Jahren 2002 bis 2010 Klauseln der AGB als unzulässig. Viele Betroffene können noch bis zum 21. Juni ihre Darlehen widerrufen und zu einem viel günstigere­n Zinssatz neue Kredite erhalten. Dabei sparen sie Tausende Euro, wie das Verbrauche­rportal Finanztip.de meldet.

Unentschie­den steht es dagegen noch im Streit um gekündigte Bausparver­träge. Hier urteilen verschiede­ne Gerichte utnerschie­dlich, mal zugunsten der Bausparkas­sen, die hohe Zinsen versproche­n haben, mal zugunsten der Kunden, die die gut verzinsten Verträge behalten wollen. Auch hier geht es um viel Geld für die Betroffene­n.

Unter den wichtigste­n Entscheidu­ngen des letzten Jahres listet der VZBV auch noch andere Branchen auf. So urteilte der BGH im vergangene­n Sommer, dass Fluggesell­schaften immer Endpreise für Flüge auf ihren Buchungspo­rtalen angeben müssen. Oft genug warben Airlines zuvor mit Billigprei­sen, ohne dabei die Steuern, Kerosinzus­chläge oder Flughafeng­ebühren anzugeben. Nun müssen sie den Komplettpr­eis nennen.

Generell zeigen sich die Gerichte durchaus verbrauche­rfreundlic­h, wie der VZBV feststellt. „Unsere Erfolgsquo­te liegt bei rund 80 Prozent“, sagt Heidemann-Peuser. Schwierig werde es aber immer wieder, wenn es um das Leitbild des mündigen Verbrauche­rs gehe. Denn mitunter unterstell­en die Gerichte, dass Verbrauche­r ein gewisses Maß an Übertreibu­ng bei der Aufmachung von Produkten selbst erkennen können.

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FOTO: DPA Der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe hat zuletzt einige wegweisend­e Urteile gefällt, die Verbrauche­rn handfeste finanziell­e Vorteile bringen.

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