Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Richter als Konsumentenschützer
Verbraucherschützer erzwangen zuletzt folgenreiche Urteile – Ein Überblick
BERLIN - Gegen Tricks und Täuschung hilft ein Apell an die Wirtschaft zu einem kundenfreundlicheren Verhalten oft wenig. Immer wieder nutzen Anbieter von Diensten oder Waren unklare gesetzliche Regelungen aus, um Konsumenten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Oft hilft dann nur noch eine Klage vor Gericht, die Betroffene selbst oder in gewissen Fällen auch die Verbraucherverbände führen können. Einige Verfahren ziehen sich über Jahre hin, bis die obersten Instanzen in Deutschland oder der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Grenzen des Rechts festlegen.
Das vielleicht weitreichendste Urteil der letzten zwölf Monate liegt noch keine zwei Wochen zurück. Da verdonnerte das Berliner Kammergericht den Messenger-Dienst WhatsApp zu einer Änderung bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Künftig müssen die Klauseln, die jeder Nutzer des Dienstes akzeptieren muss, auf Deutsch verfasst sein. Noch ist das Urteil allerdings nicht rechtskräftig. Doch eine Revision ist nicht zulässig. Da müsste der zum Reich des InternetGiganten Facebook gehörende Dienst schon Beschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen.
Folgenreicher Richterspruch
„Es ist das erste Urteil dieser Art“, sagt Helke Heidemann-Peuser, die Rechtsexpertin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV). Der Verband hat die Klage angestrengt. Der Richterspruch könnte erhebliche Folgen haben. Wird er rechtskräftig, muss WhatsApp seine AGB auf Deutsch übersetzen. Im Prinzip müssten dann alle Anbieter, die ihre Konditionen nur in Englisch angeben, ebenfalls deutsche Versionen erstellen. Geschieht dies nicht, ist der Kunde zu nichts mehr verpflichtet. „Damit sind sämtliche Klauseln unwirksam“, erläutert Heidemann-Peuser, die dieses Urteil für das wichtigste der letzten zwölf Monate hält.
Auch ein zweites aktuelles Urteil lässt aufmerken, selbst wenn es noch folgenlos bleibt. Das Landgericht München hat einen VW-Händler dazu verdonnert, einen Seat Ibiza zurückzunehmen, der mit der illegalen Software zur Abschaltung der Abgasreinigung ausgestattet war. Acht andere Gerichte hatten ähnliche Klagen zuvor abgewiesen. Nun geht es in die nächste Instanz. Spannend kann die Rechtsprechung werden, wenn den Autoherstellern nun auch auf breiter Front geschönte Verbrauchswerte nachgewiesen werden. Eine Untersuchungskommission des Kraftfahrt-Bundesamtes überprüft gerade 30 Fahrzeugmodelle, für die dieser Verdacht besteht.
Sollten sich die Hinweise belegen lassen, wurden deren Besitzer an der Nase herumgeführt und auch geschädigt, weil sie mehr für Kraftstoff ausgeben müssen, als im Verkaufsprospekt angegeben. Der Bundesgerichtshof hat 2010 eine Abweichung von zehn Prozent zwischen Herstellerangaben und Praxis als Grenzwert angegeben, oberhalb dessen der Kunde dies nicht mehr hinnehmen muss. Es könnte also eine Welle von Schadenersatz- oder Rücknahmeforderungen auf die Industrie zurollen. Momentan spielt dieses Thema trotz VW-Skandal zumindest bei den Verbraucherzentralen keine Rolle.
Finanzielle Vorteile
Immer wieder bringen höchstrichterliche Urteile auch den Verbrauchern finanzielle Vorteile, die gar nicht selbst geklagt haben. So erklärte der BGH bei Baukreditverträgen aus den Jahren 2002 bis 2010 Klauseln der AGB als unzulässig. Viele Betroffene können noch bis zum 21. Juni ihre Darlehen widerrufen und zu einem viel günstigeren Zinssatz neue Kredite erhalten. Dabei sparen sie Tausende Euro, wie das Verbraucherportal Finanztip.de meldet.
Unentschieden steht es dagegen noch im Streit um gekündigte Bausparverträge. Hier urteilen verschiedene Gerichte utnerschiedlich, mal zugunsten der Bausparkassen, die hohe Zinsen versprochen haben, mal zugunsten der Kunden, die die gut verzinsten Verträge behalten wollen. Auch hier geht es um viel Geld für die Betroffenen.
Unter den wichtigsten Entscheidungen des letzten Jahres listet der VZBV auch noch andere Branchen auf. So urteilte der BGH im vergangenen Sommer, dass Fluggesellschaften immer Endpreise für Flüge auf ihren Buchungsportalen angeben müssen. Oft genug warben Airlines zuvor mit Billigpreisen, ohne dabei die Steuern, Kerosinzuschläge oder Flughafengebühren anzugeben. Nun müssen sie den Komplettpreis nennen.
Generell zeigen sich die Gerichte durchaus verbraucherfreundlich, wie der VZBV feststellt. „Unsere Erfolgsquote liegt bei rund 80 Prozent“, sagt Heidemann-Peuser. Schwierig werde es aber immer wieder, wenn es um das Leitbild des mündigen Verbrauchers gehe. Denn mitunter unterstellen die Gerichte, dass Verbraucher ein gewisses Maß an Übertreibung bei der Aufmachung von Produkten selbst erkennen können.