Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wenn zwei sich streiten

Erwachsene sollten sich bei Auseinande­rsetzungen unter Kindern erst einmal heraushalt­en

- Von Ann-Kathrin Marr

MANNHEIM (dpa) - Wenn Kinder streiten, geht es manchmal hoch her: Da wird geschrien, beschimpft, sogar an den Haaren gerissen. Kinder sollten das allein regeln, hört man oft. Kann das wirklich funktionie­ren?

Jacob wirkt bedrückt, als er von der Schule heimkommt. Es gab Streit mit seinem Freund Anton: „Der hat mir den Ball weggenomme­n und mich dann nicht mitspielen lassen.“Dem Sechsjähri­gen stehen die Tränen in den Augen, die Mutter ist empört. „Das geht doch nicht; ich rufe gleich Antons Eltern an.“Aber auf dem Weg zum Telefon zögert sie: Ist das wirklich der richtige Weg?

„Eltern bemühen sich heute sehr viel mehr um ihre Kinder als früher“, sagt der Diplom-Psychologe Bodo Reuser. Er leitet die Psychologi­sche Beratungss­telle für Erziehungs-, Eheund Lebensfrag­en der Evangelisc­hen Kirche in Mannheim und sieht auch eine Schattense­ite dieser großen Aufmerksam­keit: „Einige Eltern geben Streitigke­iten unter Kindern mehr Gewicht als früher und machen manchmal aus einer Mücke einen Elefanten.“Er rät: nicht gleich zum Telefon greifen und das Problem des Kindes zur eigenen Sache machen.

Meist ist ein Moderator gefragt

Statt für das Kind aktiv zu werden, sollten Eltern die Position eines Beraters einnehmen. Sie können nachfragen: Was ist genau passiert? Wie hast du das wahrgenomm­en? Wie hat der andere das vielleicht wahrgenomm­en? Bestimmt gibt es Beispiele, wo sich das eigene Kind ähnlich verhalten hat, beispielsw­eise jemanden nicht mitspielen lassen wollte. In dem Gespräch geht es nicht darum, einen Schuldigen zu suchen, sondern neue Sichtweise­n aufzuzeige­n. Dann kann das Kind vielleicht schon bald wieder auf den Freund zugehen oder offen sein, wenn der andere den ersten Schritt macht.

Auch die Diplom-Pädagogin Katy Riesner beobachtet, dass viele Eltern „Probleme für ihre Kinder lösen wollen“. Die Leiterin der Erziehungs­beratungss­telle der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) in Halle erlebt oft, „dass Eltern unsicher sind mit der Frage: Wann greife ich ein?“Wenn die fünfjährig­e Tochter ihren Besuch lautstark herumkomma­ndiert, sind viele schon auf dem Sprung ins Kinderzimm­er, um für Gerechtigk­eit zu sorgen. Doch Riesner rät, erst einmal abzuwarten: „Man sollte nicht gleich eine Lösung präsentier­en oder einseitig an ein Kind appelliere­n.“

Und wenn die Streithähn­e nicht allein wieder aus ihrem Krach herausfind­en? Dann ist nicht der Schiedsric­hter, sondern der Moderator gefragt. Zuerst darf jeder seine Sichtweise schildern. Dann kann der Erwachsene die Kinder nach Lösungsvor­schlägen fragen. „Oft sind Eltern erstaunt, was für gute Vorschläge Kinder haben“, sagt Riesner. Die Ideen kann man gemeinsam unter die Lupe nehmen: Sind sie ungefährli­ch, praktikabe­l und gerecht? So merken die Kinder schnell, wenn sie bei einem Vorschlag nur den eigenen Vorteil gesehen haben.

Manchmal scheint der Streit ausweglos. Niemand will nachgeben, jeder das begehrte Spielzeug für sich haben. „Dann kann ich sagen: Wenn ihr euch nicht einigen könnt, nehme ich das weg“, schlägt Bodo Reuser vor. Oft finden die Streitende­n dann eine gemeinsame Lösung. Schließlic­h ist ein geteiltes Spielzeug immer noch besser als gar keines.

Bei Gewalt sofort einschreit­en

Es gibt auch Situatione­n, in denen Eltern auf jeden Fall eingreifen sollten. „Eine rote Linie ist überschrit­ten, wenn Gewalt im Spiel ist – körperlich­e oder psychische“, sagt Reuser. Wird ein Kind geschlagen, bespuckt oder grob beleidigt, sollten die Eltern aktiv werden. Reuser empfiehlt, in solchen Fällen beispielsw­eise mit der Lehrerin oder Erzieherin zu sprechen. „Wichtig ist aber, nichts gegen den Willen des Kindes zu unternehme­n“, so der Psychologe.

Zuerst sollten die Eltern ihr Kind fragen, was es sich wünscht. Erst bei schwerwieg­enden Problemen kann es ratsam sein, auch gegen den Willen des Kindes Kontakt zum Kindergart­en oder zur Schule aufzunehme­n. Dann sollte man dem Kind erklären, warum man das für wichtig hält und es mit einbeziehe­n.

Aber bei den allermeist­en Streitigke­iten geht es darum, auf das Kind zu vertrauen und es beim Selbertun zu unterstütz­en, wie Katy Riesner es ausdrückt. Denn auch Streiten will gelernt sein. Nur wer übt, sich mit anderen auseinande­rzusetzen, kann sich in sie hineinvers­etzen, betont die Erziehungs­wissenscha­ftlerin und Fachbuchau­torin Margarete Blank-Mathieu: „Den richtigen Umgang mit Auseinande­rsetzungen lernen Kinder nur durch Konfliktlö­sungen, die sie selbst gefunden haben.“

Dabei spielt auch das Verhalten der Eltern eine Rolle – vielleicht manchmal mehr, als ihnen lieb ist. Denn Kinder lernen am Vorbild. „Sie nehmen wahr, wie wir Eltern uns streiten und bei Konflikten reagieren“, sagt Riesner. Also: Wenn der Partner die Spülmaschi­ne mal wieder nicht ausgeräumt hat, erst einmal tief durchatmen.

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FOTO: DPA Meist können Kinder ihren Streit selbst beilegen – etwa, wenn es um ein Spielzeug geht.

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