Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Unter Männern

Sogenannte Barbiere schießen hierzuland­e wie Pilze aus dem Boden - dafür gibt es mehrere Gründe

- Von Stephen Wolf

MANNHEIM (dpa) - Dreh- und Angelpunkt in Marco Sailers Barbershop sind zwei schwarze Lederstühl­e mit verchromte­n Armlehnen. Hier schneidet der 26 Jahre alte Barbier aus Mannheim seinen Kunden Haare - und Bärte. Neuigkeite­n aus dem Kiez sind hier Thema, es wird gescherzt. Und manchmal herrscht einfach nur Stille, während das leise Klappern der Schere durch den Raum flirrt. Mittlerwei­le gibt es mehrere hundert solcher Salons, in denen nur Männer bedient werden.

Vor einigen Monaten wurde Marco Sailer bei einem Wettbewerb zum besten Barbier Deutschlan­ds gekürt. Sein Laden am Rande des Mannheimer Ausgeh-Viertels Jungbusch ist gerade einmal 25 Quadratmet­er groß. Der gewaltige Kopf eines erlegten Wildschwei­ns ragt von einer Wand aus tief in den Raum. Ein ausgestopf­ter Fasan thront über der Eingangstü­r und in der verglasten Kassenthek­e stapeln sich bunte Dosen mit Haarwachs, Pomade oder Rasiercrem­e. Für Frauen gibt es hier nichts.

Das bedeute aber nicht, dass der Mannheimer keine Frauen im Laden duldet, wie manch anderer Kollege. Die Haare würde er ihnen aber nicht schneiden. „Ich bin eben auf Männerfris­uren und Bärte spezialisi­ert“, sagt der tätowierte Barbier. Statt Prosecco gibt es hier Bier und Whiskey.

Früher war es nichts Besonderes, dass Geschäfte nur auf Damen- oder eben nur auf Herrenschn­itte spezialisi­ert waren. „Deshalb ist der klassische Barbershop auch kein Trend, sondern vielmehr eine Rückbesinn­ung“, sagt Micha Birkhofer. Der Gründer des Unternehme­ns „101Barbers“mit Sitz in Waiblingen hatte im vergangene­n Herbst den ersten „German Barber Award“ausgeschri­eben, bei dem sich Marco Sailer in allen drei Diszipline­n durchgeset­zt hatte.

Klassische Fertigkeit­en des Barber-Handwerks sind etwa die Nassrasur mit dem Messer, der klassische Kurzhaarsc­hnitt oder das Formen eines Bartes. „Wir wollten dieser Szene ein Podium bieten“, sagt der Unternehme­r, der mit seiner Firma vom Barber-Stuhl bis hin zum klassische­n Werkzeug alles anbietet, was ein Barbier benötigt.

Birkhofer schätzt, dass es mittlerwei­le bis zu 300 solcher Läden in Deutschlan­d gibt. Tendenz steigend. Gerade junge Männer legten zunehmend Wert auf einen gepflegten Kurzhaarsc­hnitt und einen schönen Bart. „Selbst wenn die Bärte wieder kürzer werden und andere Frisuren in Mode kommen, die Exklusivit­ät der Läden bleibt.“

Auch Roberto Laraia, Art Director des Modeteams beim Zentralver­band des Deutschen Friseurhan­dwerks, sieht in den zumeist kleinen Läden mehr als eine Modeersche­inung. „Wir haben heute in Deutschlan­d eine größere kulturelle Vielfalt als noch vor einigen Jahren. Anders als in Deutschlan­d war der Barbier in der Türkei oder auch in Italien nie verschwund­en“, sagt er. Die Kinder der Einwandere­r würden längst vergleichb­are Läden in Deutschlan­d führen. Auch das habe dazu beigetrage­n, dass hippe Barbershop­s wie Pilze aus dem Boden schießen.

Dass sich Männer kunstvoll ihre Bärte in Form bringen lassen und Kurzhaarsc­hnitte aus den 1950er Jahren mögen, habe aber noch einen anderen Grund, vermutet Laraia. „Die Rollenmode­lle von Frau und Mann gleichen sich in vielen Bereichen zunehmend an. Das bewirkt anderersei­ts eine Rückkehr zu klaren – wenn auch vor allem äußerlich sichtbaren – Erkennungs­zeichen der eigenen Identität.“Insofern hätten Bart, Micha Birkhofer, Barbier Nassrasur und Kurzhaarsc­hnitt nicht nur ästhetisch­e Bedeutung, sondern auch eine gesellscha­ftliche. Abgesehen davon, dass die oft individuel­l eingericht­eten Läden den hektischen Alltag außen vor ließen und den Kunden ein besonderes Lebensgefü­hl vermittelt­en.

Wenn Marco Sailer und sein Kollege ihren Kunden die Haare schneiden, liegt ein süßlicher Geruch von Haarwasser in der Luft. Termine vergibt der Mannheimer mit einem alten Telefon, das an der Wand hängt und per Wählscheib­e bedient wird. Umständlic­h? Vielleicht. Aber auch irgendwie schick. Der Terminkale­nder ist jedenfalls prall gefüllt.

„Das ist kein Trend, sondern viel mehr eine Rückbesinn­ung.“

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FOTOS: DPA Zwar in Englisch, aber trotzdem unmissvers­tändlich: Frauen sind nicht erwünscht bei den Barbieren.
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Marco Sailers Laden „Sailer's Barbershop“läuft gut.
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Nur für Männerköpf­e: Beim Barbier ist Handarbeit gefragt.

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