Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Unter Männern
Sogenannte Barbiere schießen hierzulande wie Pilze aus dem Boden - dafür gibt es mehrere Gründe
MANNHEIM (dpa) - Dreh- und Angelpunkt in Marco Sailers Barbershop sind zwei schwarze Lederstühle mit verchromten Armlehnen. Hier schneidet der 26 Jahre alte Barbier aus Mannheim seinen Kunden Haare - und Bärte. Neuigkeiten aus dem Kiez sind hier Thema, es wird gescherzt. Und manchmal herrscht einfach nur Stille, während das leise Klappern der Schere durch den Raum flirrt. Mittlerweile gibt es mehrere hundert solcher Salons, in denen nur Männer bedient werden.
Vor einigen Monaten wurde Marco Sailer bei einem Wettbewerb zum besten Barbier Deutschlands gekürt. Sein Laden am Rande des Mannheimer Ausgeh-Viertels Jungbusch ist gerade einmal 25 Quadratmeter groß. Der gewaltige Kopf eines erlegten Wildschweins ragt von einer Wand aus tief in den Raum. Ein ausgestopfter Fasan thront über der Eingangstür und in der verglasten Kassentheke stapeln sich bunte Dosen mit Haarwachs, Pomade oder Rasiercreme. Für Frauen gibt es hier nichts.
Das bedeute aber nicht, dass der Mannheimer keine Frauen im Laden duldet, wie manch anderer Kollege. Die Haare würde er ihnen aber nicht schneiden. „Ich bin eben auf Männerfrisuren und Bärte spezialisiert“, sagt der tätowierte Barbier. Statt Prosecco gibt es hier Bier und Whiskey.
Früher war es nichts Besonderes, dass Geschäfte nur auf Damen- oder eben nur auf Herrenschnitte spezialisiert waren. „Deshalb ist der klassische Barbershop auch kein Trend, sondern vielmehr eine Rückbesinnung“, sagt Micha Birkhofer. Der Gründer des Unternehmens „101Barbers“mit Sitz in Waiblingen hatte im vergangenen Herbst den ersten „German Barber Award“ausgeschrieben, bei dem sich Marco Sailer in allen drei Disziplinen durchgesetzt hatte.
Klassische Fertigkeiten des Barber-Handwerks sind etwa die Nassrasur mit dem Messer, der klassische Kurzhaarschnitt oder das Formen eines Bartes. „Wir wollten dieser Szene ein Podium bieten“, sagt der Unternehmer, der mit seiner Firma vom Barber-Stuhl bis hin zum klassischen Werkzeug alles anbietet, was ein Barbier benötigt.
Birkhofer schätzt, dass es mittlerweile bis zu 300 solcher Läden in Deutschland gibt. Tendenz steigend. Gerade junge Männer legten zunehmend Wert auf einen gepflegten Kurzhaarschnitt und einen schönen Bart. „Selbst wenn die Bärte wieder kürzer werden und andere Frisuren in Mode kommen, die Exklusivität der Läden bleibt.“
Auch Roberto Laraia, Art Director des Modeteams beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks, sieht in den zumeist kleinen Läden mehr als eine Modeerscheinung. „Wir haben heute in Deutschland eine größere kulturelle Vielfalt als noch vor einigen Jahren. Anders als in Deutschland war der Barbier in der Türkei oder auch in Italien nie verschwunden“, sagt er. Die Kinder der Einwanderer würden längst vergleichbare Läden in Deutschland führen. Auch das habe dazu beigetragen, dass hippe Barbershops wie Pilze aus dem Boden schießen.
Dass sich Männer kunstvoll ihre Bärte in Form bringen lassen und Kurzhaarschnitte aus den 1950er Jahren mögen, habe aber noch einen anderen Grund, vermutet Laraia. „Die Rollenmodelle von Frau und Mann gleichen sich in vielen Bereichen zunehmend an. Das bewirkt andererseits eine Rückkehr zu klaren – wenn auch vor allem äußerlich sichtbaren – Erkennungszeichen der eigenen Identität.“Insofern hätten Bart, Micha Birkhofer, Barbier Nassrasur und Kurzhaarschnitt nicht nur ästhetische Bedeutung, sondern auch eine gesellschaftliche. Abgesehen davon, dass die oft individuell eingerichteten Läden den hektischen Alltag außen vor ließen und den Kunden ein besonderes Lebensgefühl vermittelten.
Wenn Marco Sailer und sein Kollege ihren Kunden die Haare schneiden, liegt ein süßlicher Geruch von Haarwasser in der Luft. Termine vergibt der Mannheimer mit einem alten Telefon, das an der Wand hängt und per Wählscheibe bedient wird. Umständlich? Vielleicht. Aber auch irgendwie schick. Der Terminkalender ist jedenfalls prall gefüllt.
„Das ist kein Trend, sondern viel mehr eine Rückbesinnung.“